Wackelkandidat Russland: Weiterkommen wäre keine Überraschung, Ausscheiden auch nicht…
WM 2014 | Taktikanalyse 3.Juni.2014 Alexander Semeliker 0
Russland wird die WM-Endrunde in einer 4-3-3-Grundformation in Angriff nehmen. Aufgrund der Gruppengegner, die in ihrer Spielweise durchaus stark variieren, wird Fabio Capello auch sein Team regelmäßig anpassen müssen. Das Um und Auf werden dabei die drei zentralen Mittelfeldspieler sein, die aufgrund ihrer Flexibilität sehr anpassungsfähig sind.
Die russischen Spieler zeigen gegen den Ball durchaus großen Einsatz. Das Pressing wird hoch angelegt, wobei der ballnahe Flügel auf eine höhere, zentralere Position schiebt, während sich der ballferne zurückzieht. In der so entstehenden asymmetrischen 4-1-4-1-/4-4-2-Ordnung bestimmen vor allem die Zentrumsspieler die Strukturen. Mit Denisov als ordnendem Strategen und den beiden jagenden Achtern werden die Räume früh zugestellt. Auch die Außenverteidiger schieben relativ aggressiv nach vorne bzw. zur Seite um die Halbräume zu schließen. Ein großes Problem stellen allerdings die Innenverteidiger dar, deren Antizipationsspiel sehr konservativ ausgelegt ist. Die „Schnittzweikämpfe“ beim Herausrücken sollten jedoch gewonnen werden, da die beiden Abstriche im Antritt machen müssen.
Nur fünf Gegentore kassierten die Russen in den zehn Qualifikationsspielen – in keinem mehr als eins. Das suggeriert eine hohe defensive Stabilität. Tatsächlich haben sie kaum sichtbare Probleme im Spiel gegen den Ball. Müssen sie das Spiel machen, sorgt die gute Ballzirkulation und das engagierte, wenn auch nicht perfekte Gegenpressing für Stabilität. Auch wenn sie als Außenseiter passiv stehen, brennt aufgrund der physisch starken Innenverteidiger wenig an. Problematisch ist es, wenn man auf ein Team auf Augenhöhe trifft und die Aufgaben von vornherein nicht klar verteilt sind. Nach Umschaltmomenten sind die Russen nämlich am ehesten verwundbar – etwas, das angesichts der Gruppengegner allerdings am häufigsten vorkommen dürfte.
Fabio Capello vertraut im Großen und Ganzen auf einen die gleichen ca. 11 bis 14 Spieler und weicht von der 4-3-3-Grundordnung nur unwesentlich ab. Die Besetzung im Mittelfeld erlaubt aber situative Anpassungen und effektive Umstellungen im kleinen, aber entscheidenden Maße. Vor allem Shirokov kann auch aus taktischer Sicht enorm viele verschiedene Aufgaben übernehmen. Die weitreichendste Umstellung wäre schon ein 4-2-3-1 mit Dzagoev im zentralen offensiven Mittelfeld und einer klaren Sechser-Achter-Zehner-Staffelung im Zentrum. Im Angriff erlaubt die dünne Stürmerdecke keine Ausfälle und in der Abwehr sind die Spielertypen schlicht dieselben. Der erste Anzug sitzt also gut, dahinter wird es eng.
Ein Turnierspezialist ist Russland auf keinen Fall. Seit der Abspaltung von der Sowjetunion ist man bei sechs Endrunden-Teilnahmen nur bei der EM 2008 über die Gruppenphase hinausgekommen. Die Vorzeichen für das Turnier in Brasilien erinnern durchaus an jene vor der letzten EM. Auch damals musste man auf dem Papier von den Russen den Aufstieg in die KO-Phase fordern, sie scheiterten jedoch. Capello hat nun an der einen oder anderen Stellschraube gedreht. Das letzte Testspiel gegen die Slowakei hat man zwar optisch dominiert, allerdings erst durch ein Joker-Tor von – na klar – Kerzhakov gewonnen. Auf dem Weg nach Brasilien testet Russland noch gegen Marokko, nachdem man gegen Norwegen zuletzt 1:1 remisierte.
Das russische Team hat fraglos seine Vorzüge, vor allem das Mittelfeld-Trio weiß mit taktischer Flexibilität zu überzeugen. Allerdings ist der Eindruck vom doch nicht so schlagfertigen Riesen keineswegs ein falscher. In der Offensive fehlt eine international taugliche Alternative zu Kerzhakov, im Abwehrzentrum die Spritzigkeit. Die taktische Flexibilität beschränkt sich auf die individuellen Qualitäten der ersten elf Spieler, was gerade aufgrund der verschiedenartigen Gegner eine richtige Herausforderung wird. Ein Weiterkommen wäre keine Überraschung, ein Ausscheiden allerdings genauso wenig.
Mögliche Aufstellungen
Russland wird wohl das gesamte Turnier in der gewohnten 4-3-3-Formation bestreiten, die jedoch sehr flexibel interpretiert wird. Die polyvalenten Achter und Flügelstürmer können ohne weiteres 4-1-2-3-, 4-2-1-3-, 4-1-4-1- oder 4-3-2-1-Staffelungen herstellen.
Als Alternativ-System könnte ein 4-2-3-1 in Frage kommen, das Capello auch gegen die Slowakei testen ließ. Dabei gäbe es mit Denisov als Sechser, Fayzulin als Achter und Dzagoev als Zehner eine klare Aufgabenabgrenzung auf der Zentralachse. Auf die rechte Flügelposition könnte Samedov rücken. Unterm Strich wäre diese Variante, die sich auch aus der obigen herstellen lässt, aber statischer.
Das B-Team der Russen würde wie folgt aussehen.
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Alexander Semeliker
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