Gegen die Mythen<\/strong><\/h3>\nDas Fazit des Buches ist traurig: Die FIFA interessiere sich nicht f\u00fcr die Aufarbeitung der fu\u00dfballerischen Kolonialgeschichte. Zwar pr\u00e4sentiere sie sich als \u201eEntwicklungshelfer\u201c und F\u00f6rderer kleiner Nationen, paktiere aber gleichzeitig mit den Superreichen und brauche die \u201eKleinen\u201c nur um den Fu\u00dfball zu einer weltumspannenden Industrie zu machen: \u201eUnd so bleibt koloniales Denken in der Struktur des Fu\u00dfballs festgeschrieben.\u201c<\/em> Fu\u00dfball sei kein Gastgeschenk der Eroberer der \u201eNeuen Welt\u201c gewesen, die Briten etwa hatten versucht indische S\u00f6ldner mit der Aufnahme in Kricket- und Fu\u00dfballklubs gesund und bei Laune zu halten. Der Mythos von der friedlichen und zuf\u00e4lligen Verbreitung des Fu\u00dfballs m\u00fcsse – laut Blaschke – endlich get\u00f6tet werden. Wie immer leisten Privatvereine mit Rundg\u00e4ngen und Workshops tolle Arbeit, allein die Global Player machen nicht mit. Bayern M\u00fcnchen oder Borussia Dortmund z.B. nehmen Sponsorgeld egal von wem es kommt.<\/p>\nArik Brauer hat sein Protestlied einst nicht gegen eine bestimmte Gruppe gerichtet, sondern gegen jeden, der sich angesprochen f\u00fchlt. \u00c4hnlich ist es mit \u201eSpielfeld der Herrenmenschen\u201c. Welche:r Leser:in ertappt sich nicht, wenn der Politikwissenschaftler und Historiker Gareth Evans mit gewissen Sport-Vorurteilen aufr\u00e4umt: \u201eWarum etwa dominieren seit den 1990er-Jahren L\u00e4ufer aus Ostafrika die mittleren und langen Distanzen? Evans spricht nicht von Muskelfasern oder leichten Knochen, sondern von der Umgebung.\u201c<\/em> Das Trainieren im kenianischen Hochland, die Aussicht ohne viel Ausr\u00fcstung einen Weg aus der Armut zu finden sowie ausreichend Konkurrenz, die sich gegenseitig pushte, f\u00fchrten zu einer \u201ekritischen Masse\u201c <\/em>unter schwarzen L\u00e4ufern. Im gleichen Atemzug wird mit der (US-amerikanischen) Legende, wonach Schwarze schlechter schwimmen, daf\u00fcr aber (genetisch) \u00fcber eine bessere Sprungkraft verf\u00fcgen, aufger\u00e4umt: Basketball sei schlicht fester Bestandteil der afroamerikanischen Popkultur; zur Gegenprobe k\u00f6nne man leicht recherchieren, dass die meisten Hochsprung-Olympiasieger wei\u00df seien. Der Schwimmsport sei f\u00fcr viele Afroamerikaner noch immer weit weg; schlie\u00dflich habe sie die Rassendiskriminierung 400 Jahre lang von Str\u00e4nden, Schwimmb\u00e4dern und dem Schulsport ferngehalten.<\/p>\nDoch nicht nur Entmystifizierung ist Teil des Buches, es geht auch um pers\u00f6nliche Schicksale, wie etwa jenes von Heinz Kerz, der 1920 als Sohn einer Deutschen und eines schwarzen franz\u00f6sischen Soldaten im Rheinland geboren wurde. Kerz erlebte die Diskriminierung der Nazis in zuspitzender Form: Zun\u00e4chst der Ausschluss aus dem Fu\u00dfballverein, dann Zwangssterilisation und letztendlich KZ-Haft. Kerz kehrte nach dem Krieg in seine Heimat zur\u00fcck, sah \u00fcber die Schuld seiner Mitmenschen gro\u00dfz\u00fcgig hinweg und engagierte sich ehrenamtlich als Fu\u00dfball- und Schwimmlehrer.<\/p>\n
Trend zur\u00fcck<\/strong><\/h3>\nSpieler wie Eus\u00e9bio – ein Ausl\u00e4nder nach dem Geschmack der eingangs zitierten Kampagne – d\u00fcrfen bei der Erarbeitung des Themas nat\u00fcrlich nicht fehlen. Der aus dem heutigen Mosambik stammende Mittelst\u00fcrmer galt in Portugal als \u201eSymbolfigur der Anpassung\u201c<\/em>: Ein Afrikaner, der sich mit Disziplin und Bescheidenheit seinen Platz in der Gesellschaft verdiente. Jahrzehnte sp\u00e4ter erlitt Gerald Asamoah ein \u00e4hnliches Schicksal: Dem in Ghana geborenen DFB-Nationalspieler wurde in einer Talkshow \u00f6ffentlichkeitswirksam ein Bekenntnis zu Deutschland abgerungen. Total daneben. Pr\u00e4gnant zusammenfassen kann man die Behandlung von Kickern mit Migrationshintergrund am Beispiel des algerischst\u00e4mmigen Weltfu\u00dfballers Karim Benzema: \u201e\u201aDie Erfolge dieser Spieler werden h\u00e4ufig mit der franz\u00f6sischen Kultur verkn\u00fcpft, aber f\u00fcr ihre Verfehlungen macht man die Herkunft verantwortlich.\u2018\u201c<\/em><\/p>\n\u201eSpielfeld der Herrenmenschen\u201c <\/em>ist Geschichtswissen abseits staubiger Lehrb\u00fccher und langweiliger Zahlen-Kolonnen, durchbrochen von pers\u00f6nlichen Geschichten, wie der von Lydia Hatzenberg, die sich im Fu\u00dfballverband Namibias f\u00fcr Frauen und M\u00e4dchen engagiert. Blaschke erz\u00e4hlt auch, wie Fu\u00dfball f\u00fcr viele mexikanisch Auswanderer im Gro\u00dfraum Los Angeles als Br\u00fccke in die alte Heimat dient oder dass in Brasilien, das die gr\u00f6\u00dfte schwarze Bev\u00f6lkerung (51%) nach Nigeria hat, schwarze Fu\u00dfballer immer noch wie Ware gehandelt werden.<\/p>\nDer politische Trend der von Blaschke beleuchtenden Schaupl\u00e4tze geht aktuell fast immer nach rechts: Die konservative britische Regierung m\u00f6chte jene Migrant:innen, die es in Schlauchbooten \u00fcber den \u00c4rmelkanal schaffen, schnell abschieben; der portugiesische Abgeordnete Andr\u00e9 Ventura hetzt gegen Einwanderung, sch\u00fcrt Impfskepsis. Indien, das vor dem Einfluss der britischen Kolonialmacht als sexuell liberal galt, lehnte die Ehe f\u00fcr alle im Oktober 2023 und Brasiliens Pr\u00e4sident Bolsonaro? Kein Kommentar. Zur\u00fcck – aber nicht im politischen Sinn – geht auch die Tendenz bei Spielern, die schon in zweiter oder dritter Generation in Europa leben: Allein bei der WM-Endrunde 2018 waren es 29 in Frankreich geborene Spieler, die im Kader von L\u00e4ndern standen, in denen sie nicht geboren wurden. Der prominenteste unter ihnen: Riyad Mahrez, der unweit von Paris geboren wurde und f\u00fcr Algerien – das Heimatland seiner Eltern – spielt. Im \u00dcbrigen hatten 14 der 22 Spieler der siegreichen franz\u00f6sischen Nationalmannschaft afrikanische Wurzeln.<\/p>\n
Wo dunkelh\u00e4utige Menschen im Fu\u00dfball heutzutage am Meisten fehlen? Als Trainer:innen oder Vereinsfunktion\u00e4r:innnen. Die Macht der wei\u00dfen Mittelschicht sei im gesamten Vereinsleben verteilt und halte an ihren Pfr\u00fcnden fest. Trainer:innen, die Hire-and-Fire sowieso in ihrer Jobbeschreibung haben, bekommen noch weniger Chancen, wenn sie schwarz sind. In England, das u.a. von der Windrush-Generation – Auswanderern aus britischen Karibik-Kolonien – nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut wurde, ist die Bilanz besonders mager: \u201eAktuell sind in den 92 englischen Profiklubs weniger als 20 nicht-wei\u00dfe Trainer besch\u00e4ftigt, die allermeisten als Assistenten.\u201c<\/em> Der Weg ist noch weit.<\/p>\n\u201eSpielfeld der Herrenmenschen\u201c<\/em> von Ronny Blaschke ist 2024 bei die Werkstatt erschienen und kostet (in \u00d6sterreich) \u20ac\u00a023,50.<\/p>\n\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"Wer erinnert sich noch daran, als \u00d6FB-Teamspieler wie Alaba, Junuzovi\u0107 oder Kavlak an einer Kampagne mitwirkten, die behauptete, es sei egal, wo man geboren sei, schlie\u00dflich z\u00e4hle nur die Leistung? Solche Werbungen sind ein Eingest\u00e4ndnis daf\u00fcr, dass ein Problem besteht. Abgesehen von der unguten Verkn\u00fcpfung, dass Anderswogeborene sich erstmal mit…<\/p>\n","protected":false},"author":65,"featured_media":85986,"comment_status":"closed","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_expiration-date-status":"","_expiration-date":0,"_expiration-date-type":"","_expiration-date-categories":[],"_expiration-date-options":[]},"categories":[8],"tags":[7277,7279,11244,29886],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/94355"}],"collection":[{"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/users\/65"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=94355"}],"version-history":[{"count":1,"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/94355\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":94356,"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/94355\/revisions\/94356"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/media\/85986"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=94355"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=94355"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/abseits.at\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=94355"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}