Immer wieder erreichen uns Anfragen, ob wir nicht Trainingsübungen oder ganze Trainingseinheiten veröffentlichen können, um Trainern einen Einblick in fremde Arbeit zu gewähren oder... Trainingsformen (4) – Imitationsspiele, Overloads und Chaosübungen

SpielszeneImmer wieder erreichen uns Anfragen, ob wir nicht Trainingsübungen oder ganze Trainingseinheiten veröffentlichen können, um Trainern einen Einblick in fremde Arbeit zu gewähren oder schlichtweg ein paar Ideen zu geben. Die Gründe für diese Suche ist der Mangel an publizierten nützlichen Übungen. Toptrainer im Hochleistungsfußball machen meist ein Geheimnis aus ihren Übungen, um keinen Wettbewerbsvorteil zu verlieren oder Einblick in die Vermittlung wichtiger taktischer Aspekte zu vermeiden.

Viele Trainingsbücher wiederum sind veraltet, stellen nur einzelne Übungen dar und erfüllen wichtige Anforderungen an ein Training nur unzureichend. Deswegen sollen in diesem kleinen Fünfteiler ein Beispiel für einzelne gute Übungen gezeigt werden, auch wenn das natürlich nicht ausreichend ist – ein Training muss in puncto Trainingssteuerung, Spielphilosophie und Eigenheiten der Spieler und des Teams immer spezifisch angepasst werden. Trotzdem könnten diese Übungen eventuell für die eine oder andere interessante Idee bei den Lesern sorgen.

In diesem Teil geht es um etwas abstraktere und unorthodoxe Übungsformen.

Aufgaben- und Imitationsspiele

Beim ersten Beispiel geht es um Trainingsformen, welche die Spieler zwingen sollen sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten. Aufgabenspiele sind hierbei nur der Anfang – und werden auch häufig genutzt. Ernst Happel beispielsweise hatte zahlreiche Trainingsformen, wo nur die nominellen Abwehrspieler Tore erzielen durften. Sie mussten von hinten lange Wege richtig timen, nach vorne rücken und technisch gekonnt abschließen sowie Abschlusssituationen richtig erkennen. Auch die Kommunikation war wichtig. Neben der Ausdauer forderte das natürlich auch Spielintelligenz, Antizipation und Technik bei den Verteidigern. Sie lernten außerdem auch, wie sich die gegnerischen Stürmer im Rückraum bewegen.

Solche Aufgabenspiele können aber noch weitreichender und komplexer gestaltet werden. So müssen Angriffe auf eine bestimmte Art und Weise abgeschlossen werden oder nur bestimmte Spieler dürfen den Ball erobern. Dadurch können individuelle Rollen sehr spezifisch fokussiert und taktische Feinheiten präzisiert werden.

Imitiationsspiele gehen bereits einen Schritt weiter. Hier haben die Spieler die Aufgabe sich in ihren Bewegungen auf eine bestimmte Art und Weise so zu verhalten, wie ein anderer Spieler. Dem Spieler kann ein visuelles Beispiel gegeben werden, z.B. ein internationaler Star oder ein Mitspieler, aber auch bestimmte Vorgaben oder eher ein vages Bild. Je nachdem, was man als Orientierungspunkt nimmt, kann man nicht nur die Umsetzung und die taktische Intelligenz eines Spielers messen, sondern auch seine Analysefähigkeit testen oder wie er sich bestimmte Rollen und Positionen vorstellt.

Desweiteren ist es möglich auf diese Art und Weise Spielern das Analysieren von Situationen schrittweise beizubringen und ihnen gleichzeitig zu zeigen, wie andere Spieler oder gar Vorbilder bestimmte Situationen lösen (insbesondere im Verbund mit Videobeispielen) und diese den Spielern aus taktischer Sicht näher zu bringen. Damit kann man sogar in Einzelfällen die Entwicklung eines Spielers in speziellen Aspekten oder zu einem bestimmten Spielertypen hin steuern.

Diese Vorgehensweise nutzte z.B. der legendäre Basketballtrainer Phil Jackson vereinzelt, insbesondere in der Gegnervorbereitung. So ließ er vor den NBA-Finals 2001 einen seiner Spieler den Star des gegnerischen Teams, Allen Iverson, simulieren – sogar inklusive des Ellenbogenstutzens. Auch die deutsche Nationalelf 1974 simulierte Johan Cruijffs Spielweise vor dem WM-Finale durch Günter Netzer, der im Trainingsspiel nicht seine statische Spielweise ausübte, sondern den niederländischen Superstar kopieren sollte.

Aufgaben- und Imitationsaufgaben sind aber nur ein einfacher Aspekt, der auf unübliche Art und Weise umgesetzt werden könnte. Stattdessen gäbe es auch die Möglichkeit mit hochkomplexen und überfordernden Trainingsübungen neue Reize zu setzen.

Chaosübungen und Overloadspiele

Wie der Titel schon sagt, sollen hier durch Chaos und durch Überforderung der Spieler möglichst große Reize gesetzt werden und die Spieler in sehr komplexen Situationen maximal viele Informationen aufzunehmen. Die meisten anderen Übungen konzentrieren sich fast nur auf das richtige Aufnehmen von Informationen und das schnelle Verarbeiten im Verbund mit einer richtigen Entscheidungsfindung. Stattdessen geht es bei diesen Überladungsübungen darum, dass möglichst viele Informationen möglichst häufig und schnell aufgenommen werden.

In einem Kleingruppenspiel Sechs gegen Sechs wird über ein eher längliches und horizontal enges Spielfeld gespielt – Rot gegen Blau zum Beispiel. Ein weiteres Spielfeld der gleichen Form mit zwei anderen Mannschaften (aber ebenfalls Rot gegen Blau) liegt quer über dem anderen Spielfeld. Sie erzeugen quasi ein Kreuz, in welchem die Mitte der zwei Spielfelder überlappt. In dieser Zone spielen Rot und Blau jeweils gemeinsam und die Spieler in dieser Zone spielen gleichzeitig für beide Mannschaften.

Neben einem enormen Fokus auf Spielintelligenz und Schulterblicke kommt auch noch ein großes Maß an Kommunikation und die schnelle Auffassungsgabe der Bewegungen des eigenen Zweitteams hinzu. Wenn Spieler von Blau 1 den Ball in der Mitte von Blau 2 erhält, muss er enorm schnell die Situation von Blau 2 (alternativ hellblau und dunkelblau oder grün und blau gegen gelb und rot) erspähen und strategisch geschickt handeln, das aber so schnell machen, dass er seinem Stammteam nicht fehlt.

Dies überlädt die Spieler natürlich kognitiv enorm, sorgt aber für extreme Reizsetzung und komplett andere Anforderungen als sonst. Auch Doppelrollen über zwei Übungen hinweg – zum Beispiel ein fixer Außenspieler in einem Rondo und ein Außenspieler in einer Spielform einer anderen Gruppe im Training – wären hierbei interessant. Dazu kommen klassische Chaosspiele mit drei Mannschaften, die gegeneinander spielen, oder Spiele, wo man mit zwei Bällen agiert.

Hierbei müssen sehr komplexe Entscheidungen getroffen werden, wo die Spieler jeweils die Dynamik des Angriffs, die Wichtigkeit der Ballposition aus strategischer Sicht, die Effektivität der eigenen Staffelung diesbezüglich und auch die Entscheidungen ihrer Mitspieler analysieren müssen.

Eine andere Übung wäre ein Feld, in welchem ein zentrales Rechteck als Spielfeld dient, aus diesem Spielfeld aber vier Wege von den Ecken aus diagonal zu einem mittelgroßen Tor führen. Ein Torwart auf beiden Seiten steht zwischen diesen diagonalen Kanälen und muss sprinten, um das Tor zu verteidigen. Die Verteidiger müssen das berücksichtigen, während der Torwart auch situativ ins Feld rücken darf, um Angriffe abzufangen. Das fordert das Herausrücken des Torwarts ebenso wie Unterzahlverteidigungen, langfristig intelligente Zirkulation und leitendes Verteidigen auch in strafraumnahen Zonen.

Diese Übungen erzeugen also einen sehr speziellen und einmaligen Ablauf im Training, der aber häufig gewöhnungsbedürftig ist und nicht für jedes Team taugt. Außerdem gibt es keine wissenschaftlichen Forschungen zur Effektivität solcher Übungen, selbst im Spitzensport werden sie nicht oder kaum genutzt. Desweiteren sollte jeder auf eigene Gefahr hin überlegen, ob und auf welche Art und Weise er seiner Mannschaft solche Übungen zumuten kann.

Wer etwas Innovatives probieren, dabei aber im klassischen Bereich bleiben möchte, dem sei der nächste Artikel ans Herz gelegt.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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