Tiefseelenforschern hätte er wohl den Vogel gezeigt. Eine intakte Persönlichkeit, mag sie auch herb und schwierig wirken, muss man nicht analysieren. Denn da gibt... Anekdote zum Sonntag (15) – Ernst sein ist alles

Ernst HappelTiefseelenforschern hätte er wohl den Vogel gezeigt. Eine intakte Persönlichkeit, mag sie auch herb und schwierig wirken, muss man nicht analysieren. Denn da gibt nichts zu analysieren. Der Happel hatte seine Art und sein Erfolg gab ihm mehr als Recht. Selbst seine Feinde standen ihm seine Genialität zu, daran gab es kein Vorbeikommen.

Der Mozart unter den Fußballgelehrten wirkte wie ein Richard Wagner und gerade das machte seinen Kult erst aus. Nicht nur, dass der Wiener mit einer ordentlichen Portion Feingefühl in den Füßen gesegnet war, gehörte er auch im Oberstübchen zu den Fittesten. Unwidersprochen hat sein Trainerwirken den europäischen Fußball für immer verändert. Was „Aschyl“ berührte, wurde zu Gold. Zum ganz, ganz großen Coup fehlten 1978 nur ein paar Zentimeter. Aber ausreichend Heiligenverehrung in Holland, Deutschland, Belgien und Österreich ist dem Wiener trotzdem sicher.

Glück ist, wenn man seine Natur voll ausleben kann: Ernst Happel war Spieler durch und durch: „Ein Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag.“ Das stimmt sicherlich. Doch manchmal brauchte auch ein Ernst Happel Erholung vom Kicken und die fand er nicht nur bei Rauchen, sondern vor allem beim Glücksspiel. Im Café Ritter traf er sich zum Schnapsen und „Schwarze Katze“-Spielen. Verspürte er den Wunsch nach mehr Nervenkitzel, suchte er das Casino auf. „Wer gewinnen will, muss Risiko nehmen.“, pflegte die Rapid-Legende zu sagen. Darum teilte er auch lapidar sein Gehalt auf: Eine Portion sprach er sich zu, einen Teil bekam die Familie, das letzte Drittel blieb zum (Ver)Spielen über. Immer wenn ihm seine familiären und fußballerischen Aufgaben Zeit ließen, stand Happel am grünen Tisch. Er liebte den Thrill einer guten Partie. Dringend auf der Suche nach Erholung kam der 52-Jährige 1978 von der Weltmeisterschaftsendrunde aus Argentinien zurück und sehnte sich nach einem verdienten Wörthersee-Urlaub. Doch für den Vize-Wödmasta stand vorher noch ein Empfang bei der königlichen Familie in Den Haag auf dem Programm.

Die Elftal und ihr österreichischer Coach wurden trotz Finalniederlage gegen den Gastgeber mit offenen Armen von der niederländischen Bevölkerung willkommen geheißen und traten zum Termin bei Staatsoberhaupt Königin Juliana an. Happel, mürrisch wie eh und je und sich nach Entspannung in heimatlichen Gefilden sehnend, wurde merklich ungeduldig, als er beim Sektempfang auf ihre Majestät warten musste. Der nur gebrochen niederländisch sprechende Wiener wandte sich schließlich an Prinz Willem-Alexander, damals ein Stöpsel von 11 Jahren: „Na, wann kommt denn endlich dei‘ Omama? Sag ihr, ich hab’s eilig, ich muss nämlich nach Velden ins Casino.“ Anzunehmen, dass der Junior wahrscheinlich weder mit dem Begriff „Velden“ noch mit „Casino“ viel anfangen konnte. So war Ernst. Hätte es ihn nicht gegeben, hätte man ihn erfinden müssen. Nach Beglückwünschungen und Small-Talk durfte der notorische Hasardeur endlich seiner Erholung am Kartentisch entgegenfahren. Typisch Happel: Er lebte für den Fußball und das Spiel und hatte für Nebenschauplätze, gleich wie exklusiv und vornehm sie waren, nicht viel übrig.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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