Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (13) –  Willi Kraus (KW 13)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. In der dreizehnten Folge dieser Artikelreihe erinnern wir an Willi Kraus, dem nicht nur Torraub ein Begriff war…

Das Gesetz, vor dem alle gleich sind – sogar Fußballer – verfolgte Willi Kraus bis ins Grab. Der Termin beim Landgericht Essen stand schon, als der Ex-Stürmer im Oktober 2008 65-jährig starb: Er hätte sich wenige Tage später wegen eines Waffendeliktes verantworten müssen. Unglaublich, dass Kraus eine einst vielversprechende Fußballkarriere opferte, um nachts auf Diebestour zu gehen. Die Brechstange mit der er (umgangssprachlich) fremde Abwehrriegel knackte, setzte er in realiter bei Einbrüchen in Geschäftslokale ein. Als 25-jähriger wechselte er von Eintracht Gelsenkirchen wegen eines Banküberfalls in die Haftanstalt, seine sportliche Karriere war damit vorbei und Kraus sollte die „schiefe Bahn“, auf die er geraten war, ein Leben lang nicht mehr verlassen.

Schwerer Junge aus dem Ruhrgebiet

„Der geht dahin, wo es weh tut.“, sagte man über den Stürmer Willi Kraus einst in den Kneipen des Ruhrpotts. Die Fans wussten damals gar nicht, wie Recht sie damit hatten. Denn der Offensivspieler war zwar auf dem Platz eine echte Kämpfernatur und ein typischer Schalker mit Zug zum Tor, machte aber auch außerhalb des Spielfeldes keine Gefangenen: Immer wieder gab es Ärger mit Kraus.

Im Mai 1943 in Essen geboren spielte Willi Kraus schon als Teenager in der Jugendabteilung des FC Schalke 04 – unter anderem mit dem später legendären Reinhard „Stan“ Libuda. Im Gegensatz zu diesem konnte sich Kraus jedoch in der Kampfmannschaft von S04 aber nicht durchsetzen. Kraus feierte zwar als 19-jähriger in der Oberliga sein königsblaues Debüt, wechselte danach aber in die Niederlande. Eine Saison lang spielte er als Verteidiger für die Go Ahead Eagles Deventer, danach transferierte er zu Tennis Borussia Berlin, wo er sich seine Bundesligareife holte. Er wurde mit TeBe Regionalligameister und erzielte in der Bundesligaaufstiegsrunde in sechs Spielen drei Tore. Schalke begann sich erneut für das einstige Eigengewächs zu interessieren und holte den aus dem Essener Stadtteil Kray stammenden Spieler zurück in den Ruhrpott. Diese Investition in Kraus sollte zunächst voll aufgehen: Mit 16 Toren in der Saison 1966/67 hielt der Stürmer mit dem Bürstenhaarschnitt die Gelsenkirchner in der Bundesliga. Kraus war zweikampfstark, spielte aufopferungsvoll und lauffreudig. Er brachte alles mit, um ein Publikumsliebling zu werden und hätte eigentlich auf einer Wolke aus Glück schweben sollen.

Doch in dem gelernten Elektriker sah es wohl anders aus. Zeitzeugen beschrieben ihn als „Mann mit zwei Gesichtern“: Einerseits galt Kraus als jovial, kumpelhaft, liebenswürdig. Geduldig gab er Schulkindern Autogramme oder ließ in der Kabine für soziale Zwecke sammeln. Andererseits war der Schalke-Stürmer aufbrausend und cholerisch. Diese Facette seiner Persönlichkeit nahm irgendwann überhand.

„Er hat immer Stunk gemacht. Und dann beim nächsten Training tat er, als wäre nichts passiert.“, erzählte Mitspieler Günter Herrmann. Nachdem Kraus mehrmals in Herrmanns Espresso-Bar randaliert hatte, wurde ihm zwar Lokalverbot erteilt, das hinderte Willi jedoch nicht daran dort mit einer ausgerissenen Parkuhr aufzutauchen. Ein anders Mal schlug er einen Angestellten von Herrmann krankenhausreif, worauf ihn Schalke mit einer Geldstrafe belegte. Heutzutage wohl ein Entlassungsgrund. Kraus gelobte Besserung, die Öffentlichkeit wusste jedoch nicht, dass er bereits tief im kriminellen Milieu steckte.

Den Anfang vom Ende seiner sportlichen Karriere markierte eine Routinekontrolle der Autobahnpolizei: Beamte fanden in Kraus Auto Diebesgut in Form von Strickhemden und Schokolade sowie eine geladene Pistole und Propangasflaschen, die der Fußballer zum Sprengen von Tresoren verwendet hatte. Gegen Kraus wurde nun wegen Verdachtes auf drei Einbruchsdiebstählen in Konsumläden im Raum Osnabrück ermittelt. Sein Verein entließ ihn daraufhin fristlos. Der Offensivfußballer wurde schließlich wegen der Einbruchsdiebstähle schuldig gesprochen und verlor deswegen seine Spielerlizenz. Im Prozess hatte er zu Protokoll gegeben, sein Gehalt mit Diebestouren aufgebessert zu haben.

Galerist statt Strafraumkobra

Kraus wollte seine Spielerkarriere aber noch nicht aufgeben und auch einige Fußballfreunde hatten ihn noch nicht abgeschrieben. Mithilfe eines Rechtsanwaltes holte er sich seine Lizenz zurück. Kaiserslautern und der Wuppertaler SV nahmen von einer Verpflichtung jedoch Abstand. In der Regionalliga setzte sein ehemaliger Mitspieler Willi Koslowski durch, dass der ehemalige Holland-Legionär einen Vertrag bei Eintracht Gelsenkirchen unterschreiben konnte. Koslowski, der sechs Jahre älter als Kraus war, war überzeugt seinen Namensvetter auf den rechten Weg zurückzuführen. Dieses Unterfangen scheiterte aber nur kurze Zeit später: Am 16. September 1968 ließ sich der Angreifer wegen einer angeblichen Knöchelverletzung vom Training befreien, am 17. September wurde er nachts mit zwei Mittätern nach Einbrüchen in Lebensmittelgeschäfte geschnappt. Für eine Beute von 100 D‑Mark, Zigaretten und Spirituosen hatte Kraus seine Fußballkarriere geopfert.

Der endgültige Schlusspfiff erfolgte wenig später: Im Alter von 25 Jahren wurde er wegen eines Banküberfalls zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. Statt auf den Trainingsplatz zu gehen, „transferierte“ der gebürtige Essener immer wieder von Justizvollzugsanstalt zur Bewährungshilfe: Insgesamt saß er über 20 Jahre im Gefängnis. Der Angreifer, der einst für seinen schnörkellosen Stil bekannt war, machte auch in seiner „zweiten Karriere“ keine halben Sachen und ließ kaum ein Delikt aus: Körperverletzung, Drogenhandel, Einbruch, Sachbeschädigung. Einmal gelang ihm auch die Flucht aus dem Gefängnis.

Zwar wurde Kraus von Bekannten immer noch als höflich und zuvorkommend beschrieben, sein Strafregister sprach allerdings Bände. Da half es auch nichts, dass er alles versuchte um nicht bestraft zu werden: Schon in seinem ersten Prozess hatte der Fußballer auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert: In Folge eines Verkehrsunfalls würde er schon bei minimalem Alkoholgenuss nicht mehr wissen, was er tue. Diese Argumentation blieb jedoch erfolglos.

Willi Koslowski glaubte dagegen zu wissen, warum sein Kumpel letztendlich kriminell wurde: „Er hat sich mit falschen Freunden umgeben und war jemand, den man leicht überreden konnte.“ Tatsächlich suchte der Offensivspieler schon während seiner sportlichen Laufbahn gern die Bars der Halbwelt auf, während seiner Mitspieler lieber in gediegenere Kneipen gingen. Kraus entwickelte ein Faible für Waffen und schlief im Trainingslager mit einer Pistole unter dem Kopfpolster. Irgendwann konnte sich der Regionalmeister von 1965 nicht mehr aus diesem Dunstkreis befreien und sollte nur mehr auf dem Gefängnishof kicken. Eine traurige Bilanz.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag