Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (48) –  Shaka Hislop (KW 48)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an: In der 48. Ausgabe unserer Serie rekapitulieren wir das Leben von Shaka Hislop, einem Torwart, dem es nicht genug war, nur Bälle zu halten…

„Unsere Arbeit soll Menschen inspirieren. Wir zeigen, was alles möglich ist.“, erzählt der ehemalige NASA-Chef Thomas Zurbuchen in einem Interview. Den 1968 geborenen Wissenschaftler führte sein Weg aus einer strengchristlichen Familie im Berner Oberland bis an die Spitze der amerikanischen Weltraumbehörde. Der Doppelstaatsbürger Zurbuchen, der sich für zahlreiche amerikanische Satellit- und Teleskopprogramme verantwortlich zeichnet, trat letztendlich im September 2022 von seinem Posten zurück. Ganz so weit – wie Zurbuchen – hat es der, ein Jahr später als der Astrophysiker zur Welt gekommene Shaka Hislop nicht gebracht: Er absolvierte „lediglich“ im Rahmen seines Studiums ein Praktikum bei der NASA. Die Mission andere Menschen zu inspirieren hat Shaka aber – auf und außerhalb des Fußballplatzes – immer ernst genommen. Sein Griff nach den Sternen lohnte sich; Hislop kann es mit Händen, Herz und Hirn.

Starman

Die Eltern des späteren Premier League-Tormanns stammen aus Trinidad. Hislop wurde jedoch in London geboren und Neil Shaka genannt. Sein zweiter Vorname ist eine Referenz an einen Zulu-Anführer: „Ich habe ihn immer Neil gegenüber vorgezogen. Ich bin stolz auf meine afrikanische Herkunft.“, lacht Hislop. Als Zweijähriger zog Shaka mit seiner Familie zurück in die Heimat seiner Eltern, wo er aufwachsen sollte. Schon als junger Teenager maß der Älteste von drei Söhnen bereits gute 1,90 Meter und wurde von seinen Mitspielern beim Kicken daher meist ins Tor gestellt. Zähneknirschend fügte sich Shaka, denn eigentlich wollte er Tore schießen und sie nicht verhindern. Schon als Junger träumte er von einer Karriere als Kicker: „Eigentlich wollte ich immer professionell Fußball spielen, trotzdem habe ich aber nicht alles auf eine Karte gesetzt.“ Ein Sportstipendium ermöglichte ihm ein Maschinenbaustudium am Howard-College in den USA. Während andere aspirierende Jung-Spieler schon auf dem Weg zum Profi waren, absolvierte Hislop im Sommer seines letzten Studienjahres ein Internship bei der NASA. Eine Erfahrung um die ihn – damals wie heute – tausende Student:innen beneideten. Doch Shaka sollte nicht als Raumfahrttechnologe auf „Space Odyssee“ gehen, sein Weg führte– mit seinem Abschluss in der Tasche – zurück in sein Geburtsland, wo er als Teil der Baltimore Blasts eine England-Tournee absolvierte. In einem Freundschaftsspiel gegen Aston Villa machte er so gute Figur, dass er von Scouts des FC Readings entdeckt wurde und einen Vertrag angeboten bekam.

Bei den Royals gelang Shaka jener kometenhaften Aufstieg, wie er ihn zuvor zigfach am Himmel beobachten konnte. Er blieb drei Jahre lang im Städtchen zwischen London und Oxford und führte den Kultklub von der dritten Liga bis beinahe in die Premier League. Nachdem der Aufstieg gegen Bolton Wanderers knapp nicht geschafft wurde, wechselte der Tormann 1995 zu Newcastle United. Die Fans in Reading vergaßen Hislop jedoch nicht und wählten ihn sogar ins All-Star-Team.

Dabei waren die ersten Wochen in England zunächst hart für den jungen Tormann, der in nullkommanix vom Studenten zum Profisportler mutieren musste, gewesen. Hislop erinnerte sich an den Kulturschock, die Kälte und seine fehlende Kondition: „Wenn ich keinen Zwei-Jahres-Vertrag unterschrieben hätte, weiß ich nicht, ob ich geblieben wäre.“ Er biss sich durch und machte sich mit seinen Reflexen rasch einen Namen auf der Insel. Später – als er bei West Ham unter Vertrag war – begannen sie ihn „shotstopper“ zu rufen, denn Hislop antizipierte gut und saugte sämtliche Kracher aus der Ferne wie mit Magnethandschuhen an. Selbst gefinkelte Lupfer-Freistöße konnte den Riesen mit den langen Armen meist nicht überraschen.

Bei Newcastle machte Shaka einen weiteren Schritt nach vorne: Die Fans erschienen noch zahlreicher als in Reading, Trainer Kevin Keegan wusste die Mannschaft zu Höchstleistungen zu motivieren. In drei Jahren bei den Schwarz-Weißen konnte der Nationalspieler Trinidads einmal den Vizemeistertitel feiern und durfte im Europapokal gegen Barcelona und Dynamo Kiew spielen. Als er seinen Stammplatz verloren hatte, wechselte Shaka zu West Ham United, um mehr Spielpraxis zu sammeln. Er blieb bis 2002, wobei er unter Harry Redknapp Stammgoalie war. Als er jedoch degradiert wurde, folgte er dem zwischenzeitlich entlassenen Redknapp nach Portsmouth und wirkte dort maßgeblich am Aufstieg der Südengländer mit. 2005 folgte ein weiteres Intermezzo bei den Hammers: Im FA Cup-Finale 2006 verlor er mit West Ham das Elfmeterschießen gegen Liverpool. Nach zehn Spielen für den FC Dallas in den USA erklärte der Schlussmann seine Karriere schließlich nach über 200 Premier League-Spielen für beendet.

Den stolzesten Tag seiner Laufbahn erlebte Hislop– laut Eigenaussage – jedoch nicht in einem nationalen Punktspiel, sondern als er für sein Land bei einer Weltmeisterschaft auflaufen durfte und mit einer Bombenleistung Schweden ein 0:0 abrang. Er, der einst als 29-jähriger bereits einmal für die U 21 (!) Englands gespielt hatte, habe sich an jenem Junitag im Jahr 2006 schon auf 90 Minuten auf der Ersatzbank eingestellt, als sich der Einser-Goalie beim Aufwärmen verletzte hatte. „Shaka, du spielst.“, habe ihm der Trainer kurz angebunden mitgeteilt. Hislop, der zwei Jahre zuvor eigentlich schon seinen Rücktritt aus dem A-Team wegen der langen Reisezeit zwischen Europa und der Karibik erklärt hatte, sprang ohne zu zögern ein: „Keine Sorge, Trainer.“, antwortete er, obwohl ihm die Knie vor Anspannung und Freude zitterten.

„Es gibt keine größere Berufung für uns Menschen als für Gleichberechtigung zu kämpfen.“

Genau diese Attitüde legte der fünffache Vater auch außerhalb des Platzes an den Tag. Viele wissen nicht, dass der Torhüter einst federführend an der Entstehung der „Show Racism the Red Card“-Aktion, die als bekannteste Anti-Rassismus-Kampagne Englands gilt, beteiligt war.

Shaka erzählt, er sei 1990 als Newcastle-Spieler bei einer Tankstelle von Jugendlichen zunächst rassistisch beleidigt worden. Als ihn diese jedoch als Torwart der Magpies erkannt hatten, hätten die Rotzbuben plötzlich Autogramme von ihm gefordert. In diesem Moment sei ihm schlagartig bewusst geworden, dass es seine Aufgabe sei sich als Prominenter lautstark gegen Diskriminierung zu positionieren. So kann man die Legende noch heute auf der offiziellen Internetpräsenz von „Show Racism the Red Card“ nachlesen. Tatsächlich wurde die Erkenntnis, etwas zum Gute verändern zu können, in Shaka jedoch schon viel früher gelegt: Ausschlaggebend war dabei eine Episode aus dem Leben seines Vaters, der im London der 60er-Jahre als junger Student von weißen Polzisten Sachbeschädigung in die Schuhe geschoben bekommen hatte. George Hislop verklagte daraufhin erfolgreich die Polzisten, studierte Jura, und arbeitete später in seiner Heimat als Anwalt und Richter. „Er hat das System versucht besser zu machen. Das habe ich von ihm gelernt.“, sagt Shaka. Gemeinsam mit seinem damaligen Teamkameraden John Beresford habe er in einer High School im Nordosten des Vereinigten Königreichs in den 90ern seinen ersten Anti-Rassismus-Vortrag gehalten; bis heute sind viele dazugekommen. „Show Racism the Red Card“ animiert aktive Fußballer sich klar gegen Fremdenhass zu positionieren, Hislop ist Schirmherr und finanziert die Aktion. Für dieses Engagement wurde er bereits mehrfach – u.a. mit einer Ehrendoktorwürde – ausgezeichnet. In seiner Rede anlässlich der Verleihung der Promotionsurkunde forderte er die jungen Studenten auf – trotz der Herausforderungen der modernen Welt – weiter gegen Fremdenhass und Diskriminierung zu kämpfen und nannte dies „die größte Berufung der Menschheit“. Shaka Hislop arbeitet heute hauptsächlich als Fußballexperte bei einem nordamerikanischen TV-Sender. Er genießt bis heute Kultstatus und weiß diesen zu nutzen.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag