Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (36): Lieber Mesut Özil!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an einen kontroversen Spielmacher …

Lieber Mesut Özil!

Ein Tweet, der die persönliche Laufbahn und das Schicksal eines ganzen Fußballvereins beeinflusst. Der (moderne) Schmetterlingsflügelschlag, der (viral) ein Erdbeben auslöst. Was nach Fake News, nach der einfachen und bequemen Erklärung für komplexe Vorgänge in der Welt gilt, ist für dich Realität geworden: Nachdem du via Twitter auf die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung an der Minderheit der Uiguren aufmerksam gemacht hast, hat sich dein Verein postwendend von dir distanziert. China macht dich gerade zur persona non grata, der Fernsehsender CCTV hat sogar die Übertragung des Spiels zwischen den Gunners und Manchester City aus seinem Programm gestrichen. Und das alles aufgrund von politischen Meldungen, die von weitaus einflussreicheren Mächten ebenfalls kritisiert wurden. Man darf nicht vergessen: Die Vereinten Nationen (und zahlreiche Länder) haben diese Menschrechtsverletzungen der fernöstlichen Diktatur bereits verurteilt. Und was machen die Medien, wenn ein Profifußballer seinen Senf dazugibt? Sie poltern unter der Headline.

„Wirbel um Özil-Tweet“. Ganz ehrlich: Das ist nicht notwendig!

Lieber Mesut, es ist schon wahr, du bist sicher kein Lamperl. Das Foto mit Erdogan, die ellenlange Debatte, der unfeine Rücktritt – das alles lässt dich in keinem guten Licht dastehen. Was genau passiert ist und wer, woran, weshalb die Schuld trägt, bleibt rätselhaft und ist nicht prozentual auszudifferenzieren. Dazu ist die chose bei weitem zu komplex. Bleiben wir deshalb beim aktuellen Fall. Dein Tweet lautete übrigens so: „Korane werden verbrannt, Moscheen geschlossen und islamische Schulen verboten. […] Westliche Medien und Staaten weisen seit Monaten daraufhin. Wo aber sind die muslimischen Staaten und Medien?“ Scheinbar hat kaum jemand wahrgenommen, dass du hier nicht nur auf eine humanitäre Katastrophe hinweist, sondern auch jene innermuslimische Kritik übst, die von Intellektuellen wie Ahmad Mansour und Hamed Abdel-Samad, immer so schmerzlich vermisst wird. Das ist doch immerhin etwas.

Natürlich macht das nicht vergessen, welche Politik du auch unterstützt hast. Wie auch immer dein Verhältnis zu Erdogan ist, das musst du selbst wissen. Das musst du vor deinem eigenen Gewissen verantworten. Der Beelzebub in dieser Geschichte ist jedoch jener Verein dessen Trikot du trägst. Arsenal zog schneller als Lucky Luke und sein Schatten zusammen und machte rasch klar, dass es sich ausschließlich um deine Privatmeinung handle. Ausschlaggebend dafür sind natürlich nur monetäre Interessen des Londoner Klubs. Der Markt in China ist für Premier-League-Vereine unglaublich wichtig. Arsenal agiert hier als Wirtschaftsunternehmen und nicht als „unpolitischer Fußballverein“, als der sie sich im Gegentweet darstellen. In diesem Fall sind die Interessen klar. Genauso wie die Schuldfrage.

In spannender Erwartung wie es weitergeht

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag