Warum das Match des Gastgebers und – nach Ansicht vieler – Geheimfavoriten auf den EM-Titel Deutschland gegen den – nach Ansicht vieler – krassen... EM-Auftakt: Warum Deutschland vor Schottland gewarnt sein sollte

Warum das Match des Gastgebers und – nach Ansicht vieler – Geheimfavoriten auf den EM-Titel Deutschland gegen den – nach Ansicht vieler – krassen Außenseiter Schottland alles Andere als einen klaren Sieg des DFB bedeuten muss.

Ankick: 14.6.2024, 21.00 Uhr
Austragungsort: Allianz Arena München, 75.000 Zuschauer
Schiedsrichter: Clement Turpin, 42, Frankreich

Die UEFA schickt mit dem Franzosen wie gewohnt einen ihrer Topleute in das Eröffnungsspiel. Für den 42-jährigen Turpin, der 2022 das Champions-League-Finale zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool geleitet hat, ist es nach der Euro 2016 und 2020 sowie der WM 2018 und 2022 das fünfte große Turnier.

Mögliche Aufstellungen

Deutschland: Neuer – Kimmich, Tah, Rüdiger, Mittelstädt – Andrich, Kroos – Musiala, Gündogan, Wirtz – Havertz
Schottland: Gunn – Hendry, Hanley, Tierney – Robertson, Gilmour, McTominay, Ralston – Christie, McGinn – Adams

Ausgangslage

Deutschland

Man denke einige Monate zurück, in denen keiner auch nur einen Pfifferling auf die Deutschen gesetzt hätte.

Im letzten Jahr setzte es Niederlagen gegen Polen, Kolumbien, Japan, Österreich die Türkei, dazu zwei Unentschieden gegen die Ukraine und ein Unentschieden gegen Mexiko. Gewonnen konnte hingegen zwei Mal gegen Frankreich, gegen Holland, die USA und zuletzt gegen Griechenland werden. Was sich gezeigt hat: Das DFB-Team hat Probleme selbst das Spiel zu machen und tut sich gegen Teams leichter, die offensiv agieren.

Julian Nagelsmann hat in Vorbereitung auf die EM vieles geändert. Manuel Neuer kehrt wieder ins Tor und Toni Kroos generell ins Team zurück, Joshua Kimmich rückt wieder rechts in die Verteidigung.

Basierend auf der Qualität des Kaders zählt die DFB-Auswahl nicht mehr zur Weltspitze, doch Deutschland ist der Inbegriff einer Turniermannschaft. Und die EM im eigenen Land lässt zurückdenken an das Sommermärchen 2006. Das Team um Coach Nagelsmann muss und wird bei dieser EM wieder über sich hinauswachsen.

Die Marschroute für das erste Spiel ist klar: Aus einem gesicherten 4-2-3-1 erst gar keine Diskussionen aufkommen lassen und die schnellen Flügelspieler Witz und Musiala von Beginn in Position bringen. Gündogan und seine Mannen werden ab Minute 1 versuchen Schottland unter Druck zu setzen und ein frühes Tor zu schießen. Umso länger es 0:0 steht, umso größer wird der Druck auf das Team und damit die Chance auf eine Überraschung der Schotten.

Deutschland kommt aber mit Siegen über Frankreich und Holland und zuletzt Griechenland mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein nach München.

Schottland

Die Schotten gehen stark ersatzgeschwächt in das Auftaktspiel gegen Deutschland. Mit Lyndon Dykes, Nathan Patterson, Lewis Ferguson und Aaron Hickey muss Coach Steve Clarke gleich auf mehrere Topspieler verzichten.

Wie die Schotten das Spiel gegen die Deutschen angehen werden und vor allem mit welcher Formation ist noch unklar. In der Qualifikation hat Steve Clarke sein Team taktisch meist nach dem Gegner ausgerichtet. Vom klassischen 3-4-2-1 über ein 4-3-3, ein 4-2-3-1 oder auch ein 5-4-1 haben die Bravehearts eine breite Palette an Systemen mit denen sie agieren können. Klar ist aber, dass wir von den Schotten kein Offensivspektakel erwarten dürfen.

Das Prunkstück der Schotten ist nach wie vor die Defensive, die man erst einmal knacken muss. Offensiv fehlt es den Bravehearts an Waffen. Der nominelle Mittelstürmer Lyndon Dykes ist verletzt und auch sonst fehlt es Steve Clarke an einem Topmann fürs Sturmzentrum.

Seit jeher stark sind die Schotten bei Standardsituationen, wenn die groß gewachsenen Innenverteidiger aufrücken. Das Team hat sich aber vom altbekannten Kick & Rush weiterentwickelt und agiert mittels zügigem Passspiel durch das Mittelfeld zur Chancenerarbeitung.

Betrachtet man die letzten Spiele vor der EM, so leiden die Mannen von der Insel an einer leichten Formschwäche. Anders in der Quali, die man souverän hinter Spanien als Gruppenzweiter in einer Gruppe mit Norwegen, Georgien und Zypern meisterte. Keine einfache Gruppe, aber die Schotten haben in acht Spielen lediglich acht Tore zugelassen und sogar die Spanier mit 2:0 geschlagen.

Ausblick

Für Deutschland ist im heutigen Auftaktspiel Vorsicht geboten, denn Schottland ist vor allem in jenen Bereichen stark, die für Deutschland problematisch sind. Speziell im Spiel gegen Österreich hat man gesehen, was die Deutschen gar nicht mögen: Pressing, robuste Zweikämpfe und ein schnelles Spiel in die Offensive. Und genau das liefern die Schotten.

Dass Schottland die Räume eng machen wird, ist klar. Es wird vor allem die Ruhe und Erfahrung von Toni Kroos und Ilkay Gündogan brauchen, um mit ihren Pässen das schottische Bollwerk auszuhebeln. Die Bravehearts lassen kaum etwas zu, stehen tief, machen die Räume eng und versuchen im Konter meist über ihre schnellen Außenverteidiger zu Chancen zu kommen.

Apropos Toni Kroos: Seine Standards müssen heute noch präziser als sonst ausgeführt werden, denn in der Luft lassen die Schotten kaum etwas zu, was wohl auch dazu führen wird, dass sich Julian Nagelsmann für den schnelleren und englanderprobten Kai Havertz im Zentrum entscheiden wird und gegen Niklas Füllkrug. Denn die schottischen Innenverteidiger sind zwar extrem kopfball- und zweikampfstark aber nicht unbedingt wendig und schnell, was Havertz Vorteile bringen sollte. Man darf also gespannt sein, ob die Deutschen ihre eigenen Stärke bei Standardsituationen heute ausspielen können.

Apropos Standardsituationen: Eine Stärke der Schotten, die Deutschland vor Probleme stellen wird. Wenn die großgewachsenen Innenverteidiger der Bravehearts aufrücken, wird es brandgefährlich.

Dass Schottland keine Mannschaft von Traurigkeit ist und robust in die Zweikämpfe geht, ist bekannt. Ebenso, dass Kroos und Gündogan kaum Zeit und Platz haben werden, das Spiel in Ruhe aufzubauen. Was dazu kommt, ist, dass Schottland im zentralen Mittelfeld mit viel Power agiert. Scott McTominay, John McGinn, Billy Gilmour und Callum McGregor ziehen im Zentrum die Fäden und werden versuchen Kroos und Andrich mehr ins Defensivspiel der Deutschen einzubinden als ihnen dies lieb ist.

Fakt ist: Der Druck liegt heute bei Deutschland. Der Gastgeber muss gewinnen, will er nicht gleich zu Beginn des Turniers Diskussionen über die Stärke der eigenen Mannschaft aufkommen lassen. Für die Schotten geht es heute darum für eine Sensation zu sorgen, wichtiger sind aber die Spiele gegen die Schweiz und Ungarn.

Die letzten drei Aufeinandertreffen gewann Deutschland jeweils knapp (2:1, 2:1, 3:2). Deutschland ist Favorit, es sollte aber nicht verwundern, wenn den Schotten heute eine Überraschung gelingt und das Spiel Unentschieden endet.

Patrick Stummer, abseits.at

Patrick Stummer