Der deutsche Profifußball könnte heuer wieder einmal sein eigenes, kleines Fußballmärchen schreiben. Die erste Episode dazu wurde bereits in der Herbstsaison abgeliefert. Ein Aufsteiger,... Ein Aufsteiger rockt die 2. Bundesliga – das Kieler Fußballwunder

Der deutsche Profifußball könnte heuer wieder einmal sein eigenes, kleines Fußballmärchen schreiben. Die erste Episode dazu wurde bereits in der Herbstsaison abgeliefert. Ein Aufsteiger, Liganeuling und vor der Saison der Top-Abstiegskandidat Holstein Kiel verwundert die zweite Liga. Die Mannschaft vom Ex-Tiroler Markus Anfang überwintert auf dem zweiten Platz und damit auf einem direkten Aufstiegsrang. Jetzt wollen die „Störche“ auch in der Rückrunde weiter abheben, die Bundesliga ist das große Ziel. Grund genug für uns, dort vor dem Rückrundenstart am kommenden Dienstag einmal etwas genauer hinzusehen. Was ist in Kiel passiert und wie stehen die Chancen, dass das Wunder auch im Frühjahr weitergeht bzw. vollendet wird?

Schleswig Holstein – Kiel

In Deutschland gibt es noch immer einen weißen Fleck auf der Fußball-Landkarte. Bis heute stellt das Bundesland Schleswig-Holstein als einziges noch nie einen Erstligisten. Damit soll es sich in der Region am nördlichsten Zipfel der Republik, direkt an der Grenze zu Dänemark, bald ändern. Eine Truppe von No-Names ist dabei, Geschichte zu schreiben. Liest man auf Sportseiten von der Stadt Kiel, denkt man zuerst eher an die Handballer, seines Zeichens deutscher Serien- und Rekordmeister. Doch heuer ist alles anders: Die Kicker sorgen in der 240.000 Seelen großen Ostsee-Hafenstadt für Furore.

Der goldene Herbst

Vom 6. bis zum 17. Spieltag führte der Aufsteiger überraschend die Liga an und krönte sich somit zum Herbstmeister. Mit nur zwei knappen Ein-Tore-Niederlagen überraschte man sämtliche Experten in der Hinrunde. Zuletzt stockte der Motor etwas, mit nur einem Sieg und fünf Punkteteilungen aus den letzten sieben Spielen verlor man etwas vom anfänglichen Elan. Durch die erste klarere Niederlage, einem 1:3 in der vorgezogenen Frühjahrsrunde gegen Sandhausen, rutschte man vor der Winterpause noch hinter Fortuna Düsseldorf auf den zweiten Platz zurück.

Ein wesentlicher Baustein des Höhenflugs ist Marvin Ducksch. Mit elf Volltreffern steuerte die St. Pauli Leihgabe seinen Teil bei. Ähnlich wie Spielmacher Dominick Drexler, dessen zehn Tore und sechs Assists sich selbst bis in die Premier League rumgesprochen haben, Newcastle soll eifrig um den 27-Jährigen werben. Hinten hält der Deutsch-Amerikaner Kenneth Kronholm die Abwehr zusammnen, mit 23 Gegentoren liegt die Defensivleistung noch im Rahmen. Doch das Prunkstück ist klar die Offensive, bereits 37-mal musste des Gegners Tormann den Ball aus dem Netz fischen – das ist ligaspitze!

Der Erfolgsgarant mit Österreichbezug

Markus Anfang, der zur Jahrtausendwende über hundert Spiele für den FC Tirol machte, heißt der Vater des Erfolgs. Knapp vorm Karriereende kehrte er noch für ein Kurzgastspiel zu Wacker Innsbruck retour, ehe er wenig später auf die Trainerbank wechselte. Bei den Stationen Kapellen-Erft und der U17 von Bayer Leverkusen verdiente er sich seine Sporen. Dann rief Kiel, ein Verein der bestenfalls zum Mittelmaß der dritten Liga gehört. Nach dem erstmaligen Aufstieg in die zweite Bundesliga gleich in seiner ersten Saison auf der Holsteinischen Trainerbank, geht der Erfolgslauf auch in Liga zwei munter weiter. Mit einer bunten Truppe aus billigen, aber hungrigen No-Names formte der 43-Jährige einen Aufstiegsaspiranten. Dies führte natürlich aber auch zu Begehrlichkeiten um seine Person, immer wieder kursiert der Name des Blondschopfs bei Trainerwechseln im deutschen Fußball. Doch die Aussicht das Wunder in Kiel mit dem Bundesliga-Aufstieg zu vollenden, hält Anfang weiter beim KSV. Zumindest bislang! Mit Niklas Hoheneder ist übrigens auch ein echter Österreicher im Kader des Überraschungsteams, allerdings kommt der 31-Jährige nur sporadisch von der Ersatzbank zu Kurzeinsätzen.

Die Show soll weitergehen

Heute startet der Vize-Winterkönig daheim gegen Union Berlin in die Rückrunde. In Kiel träumt man schon vom zweiten Teil des Märchens, inklusive eines Happy-Ends. Rational betrachtet wird es schwierig. Der Rückstand auf den Tabellenführer beträgt zwar nur einen Punkt, doch viel wesentlicher ist der Blick auf die verfolgende Konkurrenz. Die lauert in Schlagdistanz hinter dem begehrten zweiten, fixen Aufstiegsplatz. Nürnberg rangiert punktegleich mit 33 Zählern am Relegationsplatz drei. Die Kluft zum Verfolgerfeld um Ingolstadt, Sandhausen, Union Berlin, Duisburg, Bielefeld oder Regensburg ist zwar am ersten Blick ein passables Polster, im Endeffekt aber auch nur eine kleine Mini-Negativserie entfernt. Personaltechnisch ist man um Konstanz bemüht, dementsprechend passiv agierte man am Transfermarkt. Kiel geht mit dem gleichen Kader wie im Herbst in die Rückrunde, große Sprünge wären durch die bescheidene Finanzsituation ohnehin kaum möglich gewesen. Da vertraut man ganz dem kühlen norddeutschen Naturell auf die eingespielten Hinrunden-Helden, die immerhin – bislang – alle gehalten werden konnten.

Klappt der Aufstieg tatsächlich, wäre dies eine Riesen-Sensation. Spielort gebe es für die Bundesliga übrigens nach heutigem Stand noch keinen. Das Holstein-Stadion mit seinen 11.000 Plätzen erfüllt nicht die strengen Lizenz-Bestimmungen des DFL. Doch die Lizenz wird selbstverständlich beantragt, im Hintergrund wird nämlich schon längst fleißig gearbeitet. Sollte das sportliche Wunder tatsächlich gelingen, soll es nicht am Umfeld scheitern. Immerhin verfolgen alle im Verein, wenn nicht sogar in der Stadt oder sogar das ganze Bundesland ein großes Ziel: In der nächsten Saison die Superstars vom FC Bayern, Dortmund oder Schalke erstmals im hohen Norden begrüßen zu dürfen.

Werner Sonnleitner, abseits.at

Werner Sonnleitner

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