Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (35) –  Miroslav Klose (KW 35)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Spätzünder, Stürmerstar, Rekordtorschütze, Weltmeister – diese Schlagwörter charakterisieren den ehemaligen DFB-Angreifer Miroslav Klose….

Den Salto ließ er aus: Nachdem Júlio César an diesem 8. Juli in der 23. Minute seinen ersten Abschluss blocken konnte, schob der damals 36‑jährige den Nachschuss unhaltbar ein und machte sich mit seinem 16. Treffer zum Rekordtorschützen bei Weltmeisterschaftsendrunden. Diesmal jubelte „Miro“ auf Knien. Er konnte noch nicht wissen, dass er bald noch mehr Grund zur Freude haben sollte. Der 7:1-Sieg gegen Gastgeber Brasilien war nur ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum vierten Stern für die DFB-Elf.

Als das Finale vorbei war, sah man Klose auf dem Feld weinen. Flankiert von seinen Zwillingssöhnen, ließ der Mittelstürmer seinen Emotionen freien Lauf. „Ich bin so dankbar, dass ich das erleben durfte.“, erklärte er ein halbes Jahr später. Typisch Klose. Der Angreifer galt trotz seiner vielen Tore und Erfolge stets als bescheiden und zurückhaltend. Da überrascht es, dass er als Mitspieler von Lukas Podolski auf die Frage, ob dieser bei Bayern München noch mehr Spiele und Streicheleinheiten bräuchte, einst sarkastisch antwortete: „Streicheleinheiten? Da müssen wir uns eine Katze kaufen!

Star und Zimmermann

Mit jenem Podolski verbindet Klose nicht nur die Position, der zweite Vorname und die Berufe der Eltern, sondern auch – und vor allem – die Herkunft. Genauso wie der sieben Jahre jüngere Spieler wurde Miroslav in Polen geboren. Er verließ seine oberschlesische Heimat allerdings schon vor seinem ersten Geburtstag, als sein Vater einen Vertrag als Fußballprofi bei AJ Auxerre unterschrieb. Sechs Jahre lang lebten die Kloses in Frankreich, bis die Familie beschloss nach Deutschland auszuwandern. Plötzlich waren sie Flüchtlinge; eine Zeit, die den kleinen „Mirek“, wie er damals gerufen wurde, geprägt hat. Der Wille, hart zu arbeiten und seine Bescheidenheit scheinen Überbleibsel aus diesen Tagen zu sein. Als „Spätaussiedler“ – Zuwanderer deutscher Abstammung aus einem Staat des Ostblocks – erlebte Klose einen Kulturschock. 1985 zog man in die Pfalz, wo man bei Verwandten unterkam und der spätere Legionär strandete in Kusel, einem beschaulichen, 5.000‑Einwohner-Ort, umgeben von Wäldern und Hügeln.

„Er war niemand, der sich in den Vordergrund gedrängt hat. Er war zurückhaltend.“, erzählt sein Volksschullehrer. Er könnte auch über den erwachsenen Miroslav Klose sprechen. Im Fußball zeigte er aber schon als Bub eine andere Seite seiner Persönlichkeit und gab beim SG Blaubach-Diedelkopf von Anfang an Vollgas. Klose war in jungen Jahren kein Ausnahmetalent, aber ein begeisterter Kicker: So spielte er schon als Teenager neben dem jeweiligen Nachwuchsteam auch in der Kampfmannschaft des Kreisligisten. Heute ist das Stadion in Kusel nach ihm benannt.

„Ich habe immer gespürt, dass ich Fußballer werden will.“, erzählt er; doch viele seiner Jugendtrainer winkten damals ab. Besonders schmerzte das Urteil eines Coaches, der ihn schon am ersten Tag eines einwöchigen Kreisauswahltrainingslagers nachhause schickte. „Mireks erstes Auswahlspiel war die A‑Nationalmannschaft.“, lacht ein früherer Mitspieler. Klose gab seinen Traum aber trotz Rückschläge nicht auf: Er absolvierte eine Lehre zum Zimmermann, ehe er sich als Amateur voll auf das Kicken konzentrierte. Als Zwanzigjähriger wurde er beim FC 08 Homburg zufällig vom Trainer der K’lautern-Amateure entdeckt. Der spätere WM-Rekordtorschütze war schnell, ehrgeizig und ein Musterprofi, bevor er seinen ersten Profivertrag unterschrieb. „Ich kann noch besser werden!“, lautete sein Standard-Spruch bei Lob des Trainers.

„Noch fünf Bälle!“

Der gebürtige Schlesier wollte es unbedingt schaffen: Während seine Mitspieler schon frisch geduscht waren, ließ sich „Miro“ noch Flanken servieren. Dem Platzwart rief er regelmäßig zu: „Nur noch fünf Bälle, dann bin ich fertig.“ Sein Traum war die Bundesliga. Dass es zu so viel mehr reichen würde, ahnte er damals noch nicht. Am Betzenberg machte er sich rasch einen Namen: In vier Saisonen bei den „roten Teufeln“ schrammte er nur knapp an der Torjägertrophäe vorbei und hielt die Pfälzer mit seinen Treffern in der Liga.

Doch, die Tatsache, dass Klose diese astronomische Karriere, die in Rio de Janeiro ihren Höhepunkt fand, hinlegen konnte, hatte letztendlich mit Glück zu tun: Eigentlich wurde „Miro“ nur aufgrund von Länderspielabstellungen zunächst zu den FCK-Profis hochgezogen. Nachdem sein Debüt mit einem Sieg für die Heimmannschaft endete, waren die Weichen schließlich gestellt. Der Stürmer perfektionierte beim vierfachen Deutschen Meister sein Kopfball-, sein Kombinationsspiel und feilte an seinem Abschluss. Er mutierte zu einem typischen Mittelstürmer der 90er-Jahre.

Mit der Nummer 18 auf dem Rücken und Mittelscheitel auf dem Kopf feierte er 2001 gegen Albanien sein Debüt für die deutsche Nationalmannschaft: Flugkopfball, Siegtor, Salto – das erste von 71 Toren für die DFB-Elf. Im Sommer 2002 war er dabei, als Deutschland überraschend im WM-Finale in Japan und Südkorea stand. Die Niederlage war für den Buben, dem einst keine Profikarriere zugetraut wurde, besonders bitter und er brauchte lange, um diese zu verdauen. Der Angreifer setzte sich zwar immer nur kleine Ziele – „Erst mal gut trainieren, dann Stammspieler werden, dann Torschützenkönig, dann eine Mannschaft höher spielen.“ – im Endspiel wollte er aber bedingungslos gewinnen.

Nach seinem Wechsel zu Werder Bremen entwickelte sich Klose zu einem noch mannschaftsdienlicheren Angreifer. Er blieb drei Jahre lang, wurde Torschützenkönig und folgte 2007 dem Lockruf aus München. Für den Sympathieträger war es ein ungewöhnliches Gefühl bei seinem Abschied von den Werder-Anhänger ausgepfiffen zu werden. Bei den Bayern hing nicht mehr alles von ihm und seinen Toren allein ab, er holte jedoch endlich Titel: Schale und Pokal.

Das Trauma von 2002

Die Gier nach Titeln, die Sehnsucht ganz oben zu stehen: Man darf Kloses Zurückhaltung und seinen Sportsgeist – er wurde im Laufe seiner Karriere zweimal mit Fair Play-Preisen ausgezeichnet – nicht mit Fantreue verwechseln: Der Offensivkicker war ein Spieler, der den Erfolg wollte, aber sein Herz nicht an einen bestimmten Verein gehängt hat. Er fühlte sich stets nur seinen aktuellen Teamkameraden verpflichtet.

2010 ging noch Júlio César als Sieger vom Platz, nachdem Diego Milito Inter Mailand mit zwei Toren zum CL‑Gewinn geschossen hatte und die Bayern den Königsklassentriumph verpasst hatten. Vier Jahre später aber war der 1978 geborene Hobbyfischer der Fels in der Brandung der deutschen Mannschaft. Der 36-jährige Lazio-Legionär war während der Endrunde in Brasilien immer da, wenn ihn Löw brauchte.

„Ich weiß auch, dass ich mich nicht so freuen kann, wenn ich ein zweites Finale auch verliere.“, sagte er bei der Pressekonferenz vor dem WM-Finale 2014. Beim Spiel seines Lebens stand er in der Startformation, gab alles, konnte den Ball jedoch nicht über die Linie drücken. In der 88. Minute machte Klose schließlich Platz für Mario Götze, der letztendlich (auch) seinen Traum erfüllte: „Es fühlte sich erst mal nicht wie ein Sieg an, sondern eher so, dass eine Last von mir gefallen war. Ich war dankbar. Ich habe über all die Jahre so viel investiert, bin oft auch kläglich gescheitert. Die Europameisterschaft 2004, ich verfehle frei vor dem lettischen Tor, wir scheiden in der Vorrunde aus und sind die Deppen der Nation. Zweimal WM-Dritter, einmal Zweiter. Endlich hatte ich etwas Greifbares in der Hand.“, erinnerte sich der Offensivspieler vor drei Jahren. In der Kabine legte er den Arm um Kanzlerin Merkel und schoss ein Foto mit ihr und seinen Söhnen. Nur wenige Wochen später verlieh ihm die deutsche Regierungschefin einen Preis für Integration – ein weiterer Sieg. Diesmal auf der menschlichen Ebene.

Der WM-Titel ist die Krönung der Karriere des Fußballprofis. Klose spielte anschließend noch zwei Jahre lang für Lazio, seitdem arbeitet er als Trainer. „Ich möchte den Spielern Spaß und Freude vermitteln und das Gefühl, dass wir uns täglich verbessern können.“, erzählte er vor wenigen Wochen bei seiner Vorstellung als SCR Altach-Trainer. Er selbst sieht Parallelen zwischen sich und dem Verein aus dem Ländle: Auch er sei bodenständig und wisse, wo er hinmöchte. Gute Vorzeichen für eine fruchtbare Zusammenarbeit also.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag