Vor über einem halben Jahr übernahm Mauricio Pochettino Southampton. Schon bei Espanyol Barcelona hatte er ein aggressives Pressing spielen lassen, welches von 2009 bis... Unter der Lupe: Southamptons Abwehrchef Dejan Lovren

Premier LeagueVor über einem halben Jahr übernahm Mauricio Pochettino Southampton. Schon bei Espanyol Barcelona hatte er ein aggressives Pressing spielen lassen, welches von 2009 bis 2012 zu einigen Achtungserfolgen führte. Pochettino führte Southampton nun zum zwischenzeitlichen zweiten Platz, holte schon in der letzten Rückrunde einige wichtige Punkte im Kampf um den Nichtabstieg und gilt aktuell als einer der interessantesten Trainer der Premier League. Wichtig sind dafür auch die Sommer-Neuzugänge, u.a. Dejan Lovren, den wir in diesem Artikel näher betrachten möchten.

Dinamos Riesentalent, Lyons Sündenbock, Southamptons Abwehrchef

Schon mit 16 Jahren wechselte der in Bosnien geborene Kroate zu Dinamo Zagreb in die Jugendabteilung. Wie viele wurde er dabei zuerst verliehen und wechselte zum inoffiziellen Farm-Team Inter Zapresic. Nachdem er dort zwei Jahre reifen konnte, eroberte er sich 2008 den Stammplatz nach seiner Rückkehr und wechselte nach nur zwei Saisonen zu Olympique Lyon. Der französische Spitzenverein ließ sich die Dienste des Innenverteidigers trotz seiner nur 20 Jahre beachtliche acht Millionen Euro kosten.

Lovren hielt dies damals für die beste Option: Er lehnte nach eigener Aussage einen Transfer zu Chelsea ab, um mehr Einsatzchancen zu erhalten und sich in einer passenderen Liga zu beweisen. Dafür gab er seinen Platz als Partner in der Innenverteidigung neben seinen Vorbildern Igor Biscan und Robert Kovac auf, was sich als Fehler erweisen sollte. Von Beginn an wurde er von den französischen Medien als Fehleinkauf betitelt. Acht Millionen (zuzüglich angeblicher Prämien und Handgeld) für einen 20-Jährigen aus einer Operettenliga?

Sämtliche Fehler wurden auseinandergenommen. Jeder Fehler wurde enorm kritisch beäugt. Nach einer 3:4-Niederlage gegen Benfica in der Champions League sah sich Lyon sogar dazu gezwungen eigene Statistiken über das Spiel öffentlich herauszugeben, da sie die Kritik der Medien als maßlos und überkritisch erachteten.

Was damals aber kaum beachtet wurde, war die Position und Rolle Lovrens im Mannschaftsgefüge. Er kam aus einer anderen Liga und kannte die Sprache nicht, zusätzlich wurde er auch auf der falschen Position eingesetzt. Zu Beginn spielte er meistens als Außenverteidiger, manchmal links, manchmal rechts, und durfte erst später als Innenverteidiger auflaufen.

Zwar konnte er sich auf seiner Idealposition einen Stammplatz sichern, aber auch hier wurde er nicht glücklich. Die gesamte Spielweise von Olympique entsprach nicht seiner Ausrichtung. Man agierte zu positionsorientiert, passiv und abwartend. Lovren hingegen besticht eher durch eine aggressive Spielweise: Er weicht oft aus seiner Position heraus, agiert im Zweikampf körperbetont, setzt den Gegner auch weit vor seinem eigentlichen Verantwortungsbereich als Innenverteidiger unter Druck und überzeugt mit seiner Athletik.

In Frankreich wurde dies aber als kontraproduktiv gesehen. Rückte er heraus, fehlten die Absicherungsmechanismen. Er galt als zu stürmisch und linear, wodurch er seiner Mannschaft schade. Seine Spielweise sorgte auch für sieben Platzverweise in drei Jahren, gepaart mit der Verletzungsanfälligkeit schien sein Scheitern vorprogrammiert. Trotz einer längeren Phase als Stammspieler sollte Lovren nicht glücklich werden – und wechselte nach England.

Bei Southampton ist seine Spielweise alles andere als kontraproduktiv, ganz im Gegenteil. Im aggressiven Pressing Pochettinos nimmt er Dank seiner Spielweise eine Schlüsselrolle ein, erhöht den Druck zwischen Mittelfeld und Abwehr, gleichzeitig ist sein Herausrücken sehr gut abgesichert. Dieses erhöhte Pressing zeigt sich auch in den Statistiken. Im Schnitt läuft Southampton fast zwei Kilometer mehr pro Spieler als es Lyon vor drei Jahren noch tat.

Darum werfen wir einen kleinen Blick auf Lovrens Bewegungen im Dress der Saints.

Der herausrückende Innenverteidiger

Das taktische Mittel des Herausrückens ist Lovrens prägende Eigenschaft und Southampton nutzt diese Bewegungen enorm oft. Mit dem Herausrücken kann der Innenverteidiger, der durch seine tiefere Position ein hervorragendes Sichtfeld hat, situativ offene Räume im Zwischenlinienraum oder sogar im Mittelfeld füllen, um dort den Druck zu erzeugen und gegnerische Angriffe hoch abzufangen. Die Weiträumigkeit dieser herausrückenden Bewegungen ist bei Lovren enorm hoch, was natürlich auch die Fehleranfälligkeit bzw. die Kritik der Beurteilung bei Fehlern vergrößert. Hierzu ein Beispiel aus der Partie gegen den Liverpool FC in dieser Saison.

Lovren sehr hohe Balleroberung bei Pools Umschaltmoment

Lovren befindet sich weit auf dem linken Flügel, steht nicht nur deutlich höher als der zweite Innenverteidiger, sondern auch weiter vorne als die Sechser. Diese Situation steht auch symbolisch für den Unterschied zu Olympique Lyon. Dort gab es kein Gegenpressing und generell ein tieferes Pressing; Lovren konnte seine Stärke entweder nicht ordentlich ausspielen, oder wurde dabei nicht unterstützt, was zu Ineffektivität führte. Hier wird ihm geholfen, Rückpässe sind für den Liverpool-Spieler kaum möglich.

Einzelne Videoausschnitte von eigentlich unscheinbaren Situationen zeigen ebenfalls Lovrens Spielercharakter. Hierzu ein Pass von Lovren gegen United.

„>

Lovren attackiert Januzaj sehr aggressiv und körperbetont. Woanders könnte dieses Einsteigen durchaus abgepfiffen werden. Hier erobert Lovren aber dadurch den Ball und rückt sofort mit nach vorne auf. Dabei deutet er seine Athletik und Technik an. Er rückt schnell auf, läuft den Gegner an, baut dann einen Übersteiger ein und visiert intelligent den weit offenen Raum auf links. Dorthin setzt er seinen Lauf fort, wird nicht unterstützt und bricht seinen Lauf ab. Dabei behauptet er den Ball und spielt ihn ins Mittelfeld. Southampton verbucht Raumgewinn, Lovren geht wieder auf seine Position zurück.

Ähnliches gab es bei der Partie gegen City zu beobachten.

In dieser Situation unterbricht Lovren den Vorstoß eines Liverpooler Außenspielers und befindet sich dadurch nahe der Auslinie. Am Seitenaus kann er sich kaum drehen, da er sonst einen riskanten Ballverlust in Kauf nehmen müsste. Sein Sichtfeld ist also sehr unangenehm. Doch Lovren löst diese Situation spielerisch geschickt und spielt entlang der Auslinie trotz der großen Enge einen Vorwärtspass auf den freien Mitspieler.

Fazit und Spielerbewertung

Diese einzelnen Szenen zeigen Lovrens Fähigkeiten. Er ist eine Mischung aus modernem und klassischem Innenverteidiger. Seine prägnantesten Fähigkeiten sind seine Zweikampfhärte, Kopfballstärke und Aggressivität, gleichzeitig besitzt er moderne Eigenschaften wie ein antizipatives Herausrücken, große Spielintelligenz und eine strategisch geschickte Ballverteilung. Für Southampton ist er wichtig in der Ballzirkulation und obwohl er nicht extrem kreativ ist, wie beispielsweise ein Mats Hummels, so ist er dennoch spielstark und baut auch gute Seitenwechsel mit ein.

Dieses Mal könnte es vielleicht sogar sein, dass Lovren an seiner Endstation angekommen ist. Bis jetzt war er ein Getriebener. Der Krieg machte ihn zum Flüchtling, mit drei Jahren floh seine Familie aus Bosnien nach München. Sieben Jahre lebte er dort, sprach tolles Deutsch und zog im Alter von zehn Jahren nach Kroatien, wo er die Sprache aber nicht ordentlich beherrschte und eine schwere Zeit hatte. Auch von dort flüchtete er – nun nach Frankreich, wo man ihn wiederum „vertrieb“. Es scheint, als ob er sein Glück erst in England gefunden hat.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert