Ein Klub voller Tradition, das ist der West Ham United Football Club wahrhaftig. Aber in erster Linie eine Fahrstuhlmannschaft mit den immer gleichen zwei... Wie West Ham sich neu erfinden möchte – Europacup statt Abstiegskampf im Londoner Olympiastadion

Premier LeagueEin Klub voller Tradition, das ist der West Ham United Football Club wahrhaftig. Aber in erster Linie eine Fahrstuhlmannschaft mit den immer gleichen zwei Saisonzielen: Entweder Wiederaufstieg oder Abstieg vermeiden. Der Verein driftete meist ohne erkennbare Strategie – weder am Platz noch im Präsidium – durch den englischen Profifußball. Dazu engen hohe Schulden aus der Vergangenheit die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit weiter ein.

Doch der Fan ist treu und gehört wahrlich nicht zur Gattung der „Erfolgsfans“. Er singt inbrünstig vor dem Spiel seine Vereinshymne mit, die über Bubbles erzählt. Jene Seifenblasen, die zuerst wunderschön herrlich aufsteigen und dann schlussendlich doch immer nur zerplatzen! So wie Träume. Seine Träume, von Titel und Trophäen für West Ham United.

Das alte West Ham

Einzig Mitte der Siebziger zeigte der Klub aus dem Londoner Osten (liegt westlich vom East Ham, daher der Name) kurz, aber dafür kräftig auf. Zuerst der FA Cup Sieg 1975 und dann im darauffolgenden Jahr der Gewinn des Cups der Cupsieger. Davor stellte man ein erfolgreiches Gerippe der englischen Weltmeistermannschaft von 1966 und mit Geoff Hurst gar den Hattrick-Torschützen beim Finalsieg über Deutschland.

Darauf dümpelte man lange in der Bedeutungslosigkeit dahin. Mitte der 90iger versuchte es Harry Redknapp mit rekordverdächtigen 134 verschiedenen Spielern (innerhalb von sieben Jahren) den Erfolg zu erkaufen. Statt Trophäen brachte diese Ära nur Schulden. Diese drückten fortan auf den Handlungsspielraum der Besitzer und aufs Gemüt der Fans.

2006 übernahm der isländische Bankier Bjorgolfur Gudmundsson die Geschicke im Upton Park. Für den Chef der größten Bank des Landes, der “Landsbanki”, war Geld nie ein Problem. Schließlich schien es auf der kleinen Insel im hohen Norden schier unbegrenzt zu sprudeln. Doch dann platzte quasi über Nacht die Finanzblase und Island stand vor dem Abgrund. Doch im Gegensatz zu den vor den Spielen im Upton Park zu tausenden platzenden Seifenblasen, hatte diese Finanzblase leidige Folgen. Denn mittendrin statt nur dabei der FC West Ham. Dieser hing irgendwie in einem verwinkelten Syndikat von fünf isländischen Banken, der CB Holding. So mussten die so stolzen Hammers für einige Zeit ernsthaft um die Zukunft ihres geliebten Vereins bangen. Sportlich blickte man da ohnehin in eine düstere Zukunft, einerseits Schulden und andererseits kein Geld für neue Spieler – selten die Zauberformel für erfolgreichen Fußball.

Die neuen Eigentümer

Im Jänner 2010 stiegen dann die beiden britischen Geschäftsmänner David Sullivan und David Gold bei den Hammers ein. Zuerst sicherten sie sich 50 % der Klubanteile, die aber danach stetig auf fast 90 % ausgeweitet wurden. Die Schulden aus früheren Tagen lasten aber noch schwer und sollten so schnell wie möglich verringert werden. Die beiden Davids wollen damit den Verein wieder auf wirtschaftlich solide Beine stellen und so die Basis für den zukünftigen, sportlichen Erfolg legen. Aber auch wegen des Umzugs ins Londoner Olympia Stadion 2016 sollen die Schulden von aktuell 110 auf 70 Millionen Pfund gesenkt werden. Die visionären Eigentümer haben nun kürzlich den Verkauf von 20 % der Anteile am Club in Aussicht gestellt, die wiederum ca. 80 Millionen Pfund in die Klubkassen spülen sollten.

Das wäre dann das ideale Startkapital für eine prickelnde Zukunft. Einerseits erfüllt man dann die Bedingungen für den Stadionumzug und andererseits wären noch ein paar Millionen da, mit der man die Mannschaft weiter verstärken könnte.

Im Sommer 2016 soll es dann endlich soweit sein, da wollen dann die Hammers die Heimkabine des Londoner Olympiastadions beziehen. Für die nächsten 99 Jahre, solange läuft der Mietvertrag mit der Stadt. Aus der Fahrstuhlmannschaft soll dann ein in der oberen Tabellenhälfte gefestigter Club werden. Dafür arbeiten die Eigentümer an ihren Schreibtischen jetzt schon hart. Dank Rekordumsatz im Vorjahr und dem besten wirtschaftlichen Ergebnis der letzten Jahre, wurde auch schon vor der Saison kräftig investiert und gleich neun neue Spieler verpflichtet.

Die Punkte für eine goldene Zukunft

Vor wenigen Tagen haben Sullivan und Gold ihre Visionen für die Zukunft der Hammers vorgestellt. „Think Big“ ist hier das Motto der beiden Visionäre.

In erster Linie soll, nein muss der Trainer („Manager“) guten und erfolgreichen Fußball liefern. Dabei soll auch ein eigener „West-Ham-Way“ kreiert werden, eine offensive und unterhaltende Spielphilosophie. Dafür wird auch Geld in die Hand genommen, um die passenden Spieler zu rekrutieren. Spieler die nicht in dieses Konzept passen, sollen emotionslos abgebaut werden. Die letzten Sommertransfers waren im Schnitt 24 Jahre alt, dies ist auch die Messlatte für zukünftige Einkaufstouren. Junge, noch unerfahrene Talente sind zu weniger interessant, beziehungsweise gibt‘s die ja in der eigenen Akademie. Von dort schafften zum Beispiel Frank Lampard, Michael Carrick, Glen Johnson oder Rio Ferdinand den Durchbruch zum Superstar. Zurzeit ist vor allem James Tomkins das Aushängebeispiel der Nachwuchsschmiede in der Stammelf der Hammers.

Soweit der sportliche Fahrplan, auch im Business sollen im Upton Park (oder später dann eben im Olympia Stadion) die Zügel angezogen werden. In der Vorsaison freute sich der Finanzchef über Rekordergebnisse. Auf dieser wirtschaftlichen Gesundung soll auch die Zukunft aufsetzen. Die Schuldentilgung hat dabei oberste Priorität. Dazu sollen auch die für englische Verhältnisse angemessenen Ticketpreise nicht (zu sehr) erhöht werden, schließlich will man die Fanbase deutlich steigern. Mehr Fans bringen ja schließlich auch übers Merchandising zusätzliche Einnahmen.

Am Image sollen Spezialisten weiter feilen. Mehr TV-Livespiele, mehr globale Fanklubs und natürlich mehr positive Präsenz in den Schlagzeilen. Auf einer langen Geschichte, die aber schon ziemlich zerkratzt ist, soll die Zukunft der Hammers aufbauen. Mit dem neuen Mega-Stadion wäre dies auch gar nicht so unrealistisch. Dazu soll mit steigenden Besucherzahlen und dem ganzen Stadion-Merchandising eine weitere, dringend benötigte Einnahmequelle sprudeln.

Die Realität

Die professionelle Infrastruktur und die mögliche Aussicht auf Spitzenfußball in der Metropole könnte es einfacher machen, echte Kracher zu den Hammers zu locken. Dazu die in London hoch angesehene Akademie! Diese produzierte genauso viele aktuelle Teamspieler wie beispielsweise Manchester United oder Arsenal und könnte so ein weiterer Baustein für eine glorreiche Zukunft der Hammers sein.

Auch Coach Sam Allardyce hat zuletzt viel Gespür für die richtige Mischung innerhalb der Mannschaft bewiesen. Schon abgeschriebene Spieler wie Stewart Downing oder Andy Carroll blühen wieder auf. Dazu beweisen sich Neuzugänge meist auch als wahre Verstärkungen. So spielt vor allem das Offensivduo Enner Valencia und Diafra Sakho heuer groß auf, im Mittelfeld läuft kaum eine Aktion nicht über dem vom FC Barcelona ausgeliehene Alex Song.

Ein echtes Problem hatte der FC West Ham lange Zeit mit den Hooligan-Gruppen, weshalb viele Fans und Familien einen großen Bogen um den Upton Park machten. Die Krawallbrüder sind aufgrund der neuen Stadionvorschriften und Ticketpreise mittlerweile in unterklassige Ligen weitergezogen. Auch wenn man heute noch am Image des Schlägerpublikums leidet, langsam aber sicher heilt auch hier die Zeit alte Wunden und neue Besuchergruppen könnten in Zukunft wieder einfacher angelockt werden.

Doch andererseits ist die Konkurrenz an der Spitze der Premier League groß und reich. Um ganz vorne andocken zu können – sprich um die Europacup-Plätze zu erreichen – müsste man schon einige Big-Player in der Liga ausstechen, die sich dank spendierfreudiger ausländischer Geldgeber finanziell noch einmal in einer anderen Kategorie bewegen. Doch dass dies möglich ist, bewies West Ham heuer schon, als man lange um die Champions-League-Plätze mitspielte. Mit Rang 8 liegt man momentan als „Best of the Rest“ hinter den Großen sechs, plus Southampton.

Visionen und Ideen sind immer schön und gut, weil das Papier ja bekanntlich geduldig ist und sie sich gut formuliert meist prima anhören. Doch mit der neuen, großen Arena ist wahrlich viel Luft nach oben. Die Chancen stehen damit so gut wie noch nie, dass die Träume der Hammers-Fans nicht schon wieder wie Seifenblasen platzen werden. Doch selbst wenn, der West-Ham-Supporter ist ohnehin schon leidgeprüft. Er wird auch weiterhin in Selbstironie flüchten und von seinem Verein singen. Von den Seifenblasen, die wieder einmal zerplatzt sind. Und trotzdem seinen Hammers stolz und wacker weiterhin die Treue halten.

Werner Sonnleitner, www.abseits.at

Werner Sonnleitner

Keine Kommentare bisher.

Sei der/die Erste mit einem Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert