Insgesamt 27 Mal gewann Juventus den italienischen Meistertitel. Seit dem Manipulationsskandal 2005/2006, der die Aberkennung zweier Titel und den Zwangsabstieg in die Serie B... Moderne Philosophie und taktische Flexibilität – Juve auf dem Weg zum Scudetto

Insgesamt 27 Mal gewann Juventus den italienischen Meistertitel. Seit dem Manipulationsskandal 2005/2006, der die Aberkennung zweier Titel und den Zwangsabstieg in die Serie B nach sich zog, ist es jedoch in dieser Hinsicht ruhig um die alte Dame geworden. So belegten die Turiner in den letzten beiden Saisonen jeweils nur den enttäuschenden siebten Platz. In der laufenden Spielzeit gelang allerdings die Wende. Mit drei Punkten Vorsprung führt man die Tabelle an, ist als einziges Team in einer der europäischen Top-Ligen ungeschlagen. Doch was genau steckt hinter diesem Aufschwung und wie wurde er möglich?

Begibt man sich auf Ursachenforschung landet man unweigerlich bei einem Namen: Antonio Conte. Der 42-Jährige, der als Spieler selbst 12 Jahre lang für Juve gegen den Ball trat, wurde zu Saisonbeginn als neuer Chefcoach installiert. Nachdem er sich vor allem in der Serie B einen Namen am Trainermarkt gemacht hat – sowohl AS Bari und Siena führte er zum Aufstieg – trat Conte beim italienischen Rekordmeister die Nachfolge von Luigi Delneri an und verpasste der Mannschaft ein neues Konzept. Anstatt an der starren und meist unkreativen 4-4-2-Formation setzt Conte auf Flexibilität im Angriff und eine sichere Abwehr. Nur 18 Mal brachten die Kontrahenten das Spielgerät in Juves Tor unter.

Die Spielphilosophie

Wie es sich für eine Spitzenmannschaft und Juventus‘ Ansprüchen gehört ist die Grundlage für den Spielstil der Bianconeri unter Conte ein sehr dominantes Ballbesitzverhältnis. Etwas mehr als 61 Prozent der Spielzeit zirkuliert das Leder durch die eigenen Reihen – der ligaweite Spitzenwert. Damit hält man das Spiel entsprechend weit weg vom eigenen Tor, was auch die Zahlen belegen: Nur 24 Prozent einer durchschnittlichen Serie A-Partie spielen sich in Juves Felddrittel ab. Auch hier liegen die Schwarzweißen im Ligavergleich vorne. Zudem sind eine Passerfolgsquote von 85,4 Prozent und 19,5 Schüsse pro Spiel ebenfalls Bestmarken. Weiters verteilen sich die Angriffsbemühungen weitestgehend gleich: 33 Prozent der Offensivaktion gehen von links aus, 35 Prozent von der Mitte und 32 Prozent werden von rechts eingeleitet. Auch das spiegelt die Ausgeglichenheit im Kader wider. Ebenso unberechenbar ist das Positionspiel der Turiner. Im zeitgemäßen Fußball ist nahezu unmöglich das Verhalten einer Mannschaft lediglich aus den drei beziehungsweise vier Ziffern der Grundformation herauszulesen, da die Linien immer mehr verwischen – Juventus‘ Verhalten könnte man hier als Paradebeispiel nennen. Die Spieler finden sich oft in Zwischenpositionen wieder, was die Dreiecksbildung extrem fördert und für den Gegner zwischen den Linien schwer abzudecken ist.

MVP – Dominanz im Zentrum

Unausweichlich Hand in Hand geht damit die Dominanz im Mittelfeld, die von den zuständigen Spielern ausgenützt wird. Claudio Marchisio, Arturo Vidal und Andrea Pirlo bilden das Kernstück in Juves Zentrale. Dass zwei Drittel dieser Spieler erst im Sommer gekommen sind, ist ein weiter gewichtiger Grund für die positive Wende. Um mehr als zehn Millionen Euro wechselte Vidal von Bayer Leverkusen in die Serie A und wird aktuell sogar mit Real Madrid in Verbindung gebracht. Zu Saisonbeginn noch Edelreservist kämpfte sich der Chilene im wahrsten Sinn des Wortes in die Startelf. Kein Spieler tackelt seine Gegenspieler öfter (5,2 Mal pro Spiel), elf gelbe und eine rote Karte werden nur von Bolognas Perez überboten. Dass Vidal aber nicht nur jede Menge Power sondern auch fußballerische Qualität mitbringt zeigen seine bisher sieben Tore und vier Assists sowie 85,3 Prozent angekommene Pässe pro Spiel. Außerdem ist er viel unterwegs und öffnet mit seinen Bewegungen Räume für seine Mitspieler. Ähnlich verhält sich auch Marchisio, der als Hybrid-Typ zwischen dem heißblütigen und zweikampfstarken Vidal und Pirlo, der als tiefliegender Spielmacher die Fäden zieht, angesehen werden. Die Verpflichtung des 32-jährigen Routiniers könnte sich als entscheidender Schachzug herausstellen. Dass der ehemalige Weltklassekicker im Sommer ausgerechnet ablösefrei vom AC Milan, der Juve als einziger Konkurrent den Scudetto noch streitig machen kann, kam, macht die Gesamtsituation noch etwas kurioser. Dass der Weltmeister von 2006 nichts von seiner Spielintelligenz eingebüßt hat zeigt er Spieltag für Spieltag. Der Regisseur prägt das Spiel seiner Mannschaft maßgeblich. Mehr als 86 Pässe spielt Pirlo im Schnitt pro Spiel, bringt davon 87 Prozent an den Mann und kann bereits 12 Torvorlagen aufweisen – allesamt Spitzenwerte.

Großer Kader erlaubt Flexibilität

Während die Einsätze des Mittelfeldtrios in Stein gemeißelt sind, wird rundherum viel rotiert. Wie bereits angedeutet könnte sich die Flexibilität als entscheidender Trumpf im Titelkampf herausstellen. Ein ausgeglichen starker und großer Kader erlaubt Conte viele kleinere, aber auch größere, Veränderung um sich an den Gegner anzupassen. Während Allegri bei Milan hauptsächlich auf das altbewährte 4-3-1-2-System setzt, variiert Conte viel. Zu Beginn der Saison schickte er sein Team in einem sehr offensiven 4-4-2 mit weit aufgerückten Flügelspielern aufs Feld, ehe er beschloss auf ein enges und asymmetrisches 4-3-3 zu wechseln. Mittlerweile tendiert Conte aber immer mehr zu einer Dreierkette, wie sie in Italien sehr üblich ist. Grund dafür ist, dass man mit Chiellini, Bonucci und Barzagli über drei sehr zweikampfstarke Innenverteidiger verfügt. Die oben angesprochene Asymmetrie rührte in erster Linie daher, dass Chiellini als Linksverteidiger defensiver agierte als Lichtsteiner auf der gegenüberliegenden Seite. Der Schweizer wechselte übrigens auch erst im Sommer nach Turin – 10 Millionen zahlte man an Lazio. Besonders markant ist die Rotation im Angriff. Entscheidend dafür ist zum einen die breite Auswahl an Offensivspielern, aber auch, dass sich vorne niemand dauerhaft etablieren konnte. Alessandro Matri hat als bester Klub-Torschütze lediglich zehn Tore erzielt. Dass Juventus dennoch schon über 62 Saisontore jubeln konnte, lässt auf eine gleichmäßige Verteilung auf viele Spieler und damit auf Unberechenbarkeit schließen. Sage und schreibe 18 Spieler haben für die alte Dame heuer schon getroffen. Dass der Erfolg formations- und größtenteils personalunabhängig ist, lässt sich abschließend in folgender Gegenüberstellung ablesen.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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