Sie dürfen als einzige neben den Spielern ein Fußballfeld betreten und dort ihre Arbeit verrichten. An guten Tagen sollen sie möglichst unsichtbar sein, an... Kommentar: Grenzgänger auf dem grünen Rasen

SchiedsrichterSie dürfen als einzige neben den Spielern ein Fußballfeld betreten und dort ihre Arbeit verrichten. An guten Tagen sollen sie möglichst unsichtbar sein, an schlechten Tagen richtet sich ein ganzes Stadion gegen sie. Dabei sollten sie im Idealfall Gerechtigkeitsfanatiker sein. Die Rede ist von den Schiedsrichtern. Ihr Job ist kein leichter. Anfeindungen, Beschimpfungen, ja sogar Morddrohungen – Referees müssen fast immer als Sündenböcke herhalten. Braucht es Schiedsrichter im Fußball überhaupt noch?

Köln, 19. November 2011. In einem Hotelzimmer liegt Babak Rafati mit aufgeschlitzten Pulsadern. Drei Männer kommen in das Zimmer, entdecken Rafati auf dem Boden liegend, starten sofort Erste-Hilfe-Maßnahmen. Der Schwerverletzte wird nach Eintreffen des Notarztes in ein Krankenhaus gebracht, überlebt nach Wochen in der Intensivstation. Babak Rafati galt in seiner aktiven Zeit als einer der besten deutschen Schiedsrichter. Er war erfolgreich, hatte 84 Einsätze in der deutschen Bundesliga zu Buche stehen, hinzu kamen einige internationale Auftritte. Trotzdem wollte sich Rafati das Leben nehmen. Depression nannte er einige Jahre später in einem Interview das Motiv für seine Tat. 2012 beendete er nach therapeutischer Behandlung seine Karriere. Heute hält er Vorträge über Stressmanagement und Burnout.

Sämtliche Medien arbeiteten den Suizidversuch Rafatis damals detailliert auf. Als vorherrschendes Thema nannten sie den Druck, dem Schiedsrichter ausgesetzt sind. Druck von den Fans, Druck von den Spielern, aber auch Druck von den Medien. Knapp dreieinhalb Jahre sind seither vergangen, doch weniger Druck haben Schiedsrichter heute nicht. Fußballspiele werden nach wie vor hitzig geführt, Fans sehen den Referee ohnehin gerne als Schuldigen für die Niederlage ihrer Mannschaft. Frei nach dem Motto: Auf den Schiri kann man sowieso hinhauen, der muss das aushalten können. Dabei bedenken sie nicht, dass Schiedsrichter vielleicht nach außen hin ihre Fassade wahren, sich innerlich jedoch sehr wohl Gedanken über solche Behauptungen machen. Ist ja auch legitim und nachvollziehbar. Dennoch treiben es manche Zuschauer eindeutig zu weit. Verbale Beschimpfungen sind im Fußballgeschäft leider üblich.

Die Wirkung von Fans und Medien

Als Anhänger eines Fußballclubs hofft man in allererster Linie, dass die Mannschaft, die man unterstützt, erfolgreich ist. Wenn dann noch der Schiedsrichter eine gute Leistung im Spiel bietet, ist alles eitel Wonne. Das tritt aber in den seltensten Fällen auch wirklich ein. Grund zum Meckern über die miserable Performance des Unparteiischen gibt es zur Genüge. Gelingt dem eigenen Team kein gutes Spiel, schiebt man die Schuld gerne dem Schiedsrichter in die Schuhe. Begeht die von Fußballfans vielzitierte „schwarze S..“ dann auch noch einen spielentscheidenden Fehler, sind Hasstiraden vorprogrammiert. Der Schiedsrichter sollte dann, wenn es nach den Fans ginge, überhaupt nie mehr ein Spiel leiten dürfen. Es ist einfacher und angenehmer den nicht erwünschten Ausgang des Spiels einer „höheren Macht“ in die Schuhe zu schieben, als sich mit den Unzulänglichkeiten der eigenen Mannschaft, des taktischen Systems auseinanderzusetzen. Deshalb ist ein Schiedsrichter, auch wenn er noch so gut pfeift, stets viel mehr Kritik ausgesetzt, als die Spieler auf dem Rasen. Denn treffen die Spieler während einer Partie immer die richtigen Entscheidungen in ihren Aktionen? Sie haben mehrmals die Gelegenheit, ihre begangenen Fehler auszumerzen. Ein Schiedsrichter nicht. Bei seiner Leistungsbeurteilung stehen selten die richtigen Entscheidungen im Fokus, sondern alle falschen. Genau das macht es für ihn fast unmöglich, alle Fans zufrieden zu stellen.

Ganz ähnlich stellt sich dieses Problem in der medialen Aufbereitung eines Fußballspiels dar: Schiedsrichter werden im Fernsehen und in den Zeitungen sehr gerne kritisiert. Auch Experten und Trainer vertreten ihre Meinung über den Unparteiischen sofort, wenn seine Leistung schlecht war. Gute Spielleitungen werden nur selten angesprochen, alle stürzen sich auf Fehlentscheidungen, die in Zeitlupen und mehreren Kameraeinstellungen auseinandergenommen werden. Wenn sich das Kreuzfeuer der Kritik so stark konzentriert, ist es auch schon vorgekommen, dass manche Coaches gegen Schiedsrichter interveniert haben und diese daraufhin vorerst kein Spiel der betreffenden Mannschaft leiten haben dürfen.

Der Doppelpass zwischen Schiedsrichter und Spielern

Gemäß der Definition des deutschen Wörterbuchs Duden ist ein Schiedsrichter derjenige, der ein Spiel unparteiisch leitet, bei einem Regelverstoß unterbricht und Strafen ausspricht. So weit, so klar. Nur: Wie viel Gerechtigkeit dürfen Spieler von einem Schiedsrichter verlangen, wenn sie selbst keine vorleben, oder nicht einmal die Regeln kennen? Der Linzer Oliver Drachta ist Sportwissenschafter und seit 2008 Schiedsrichter in der österreichischen Bundesliga. Zudem gibt er regelmäßig sein Wissen bei Lehrveranstaltungen an der Universität Salzburg weiter. Drachta hat als Schiedsrichter wie seine Kollegen auch schon die eine oder andere kritische Situation erlebt und es mit schwierigen Spielern zu tun bekommen. Er sagt, dass er sich als Gerechtigkeitsfanatiker sehe, auch wenn es ihm manche Kicker nicht leicht machen würden. Viele Fußballer wissen über das genaue Regelwerk nicht ausreichend Bescheid und hinterfragen dadurch die Entscheidungen der Schiedsrichter ständig. Stellt sich die Frage, ob bei dem einen oder anderen Fußballprofi ein bisschen Auffrischung in Sachen Regelkunde nötig wäre? Man kann als Spieler kaum einen Schiedsrichter kritisieren, wenn man selbst die Regeln nicht beherrscht. Dabei muss man auch immer bedenken, dass der Schiedsrichter seine Entscheidungen innerhalb weniger Sekunden treffen sollte und nur in den wenigsten Fällen die Chance hat, sie eventuell zurückzuziehen. Die Kommunikation zwischen dem Unparteiischen und den Akteuren sollte nichtsdestotrotz funktionieren, um einen reibungslosen Ablauf eines Fußballmatches zu garantieren.

In Zukunft ohne Schiedsrichter?

Brandaktuell ist die Debatte rund um die rote Karte von Salzburgs Martin Hinteregger, die er im ÖFB-Cup-Viertelfinale gegen Altach kassierte. Schiedsrichter Manuel Schüttengruber rechtfertigte seinen verordneten Platzverweis dahingehend, dass die betreffende Szene aus seiner Sicht wie eine Tätlichkeit Hintereggers gegen den Altacher Hannes Aigner aussah. In diesem Fall ist Schüttengruber mit seiner Ansicht wohl alleine. Doch wie bereits erwähnt hat der Schiedsrichter nur eine einzige Chance, sich festzulegen. Fehler sind menschlich und sollten auch den Unparteiischen zugestanden werden. Verbales Nachtreten hilft keinem und steht auch nicht unbedingt für Fairness. Stichwort Fairness: Was wäre, wenn kein Schiedsrichter mehr auf dem Platz stünde und die Spieler das Spiel selbst regeln müssten? Dieser Gedanke ist bereits Realität. In Deutschland finden Spiele von Jugendmannschaften schon ohne Schiedsrichter statt. Die Nachwuchskicker müssen selbst Lösungen auf dem Platz finden, sich gegenseitig zu respektieren und die Regeln einzuhalten. An und für sich funktioniert das gut, fraglich ist jedoch, ob diese Maßnahme nur im Jugendfußball greift oder auch anderweitig Erfolg versprechend sein könnte. Freilich wird in Deutschland nicht erwähnt, dass kaum junge Schiedsrichter nachdrängen. Denn Schiedsrichter benötigen ein starkes Rückgrat, um dem Druck der Fans, Spieler und Medien standhalten zu können. Das sollte allen jungen Referees klar sein.

Martin Roithner, abseits.at

Martin Roithner

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