Im Spätsommer 1944 können sie befreit (buchstäblich!) auflachen: Fritz Donnenfeld und sein Freund „Michl“ lassen sich auf einer belebten Pariser Straße fotografieren: Arm in... Kicker unterm Hakenkreuz (2) – Die abenteuerliche Flucht des Austria-Präsidenten Dr. Emanuel „Michl“ Schwarz

Wien Landeswappen_abseits.atIm Spätsommer 1944 können sie befreit (buchstäblich!) auflachen: Fritz Donnenfeld und sein Freund „Michl“ lassen sich auf einer belebten Pariser Straße fotografieren: Arm in Arm. Die Strapazen der vergangenen Jahre, die Angst vor Gefangennahme und Ermordung sieht man ihnen nicht an: Donnenfeld, ein Wiener Jude, war noch vor dem Krieg nach Marseille emigriert, wo er für Olympique kickte. 1942 tauchte er unter und arbeitete unter den Decknamen „Donny“ und „Maquis“ für die Résistance im besetzten Paris. Sein Freund mit dem hellen Hut, Dr. „Michl“ Schwarz, ist bereits 65 Jahre alt, als dieser Schnappschuss entsteht. Die beiden kennen sich von vergangenen Zeiten, als Donnenfeld noch bei Hakoah Wien gegen Präsident Schwarz‘ Austria spielte. Die Irrungen und Wirrungen des europäischen Kräfteverschiebens haben sie wieder zueinander geführt: Schwarz ist dabei der braunen Mörderbande mehrmals erst im letzten Augenblick durchs Netz geschlüpft. Seine gefährliche Reise hat ihren Anfang mit ein paar harmlosen Höflichkeiten genommen:

Der Fußballdoktor und seine Kinder

„I oba, Herr Doktor, werd’ ihna imma griaß’n“, verspricht Matthias Sindelar seinem mit Grußverbot belegten Ex-Präsidenten im März 1938. Er hat Emanuel Schwarz, genannt „Michl“, besonders viel zu verdanken: Noch als Hertha-Stürmer stürzt der hauchzarte Favoritner im Freibad und zieht sich eine komplizierte Meniskusblessur zu. Allgemeinmediziner Schwarz findet in seinem Kollegen Prof. Dr. Spitzy einen geeigneten Operateur für diesen riskanten Eingriff und rettet dem „Papier’nen“ so die Karriere. Kein Wunder also, dass „Sindi“ seinem Austria-Präsidenten ewige Dankbarkeit schwor. Diese Art von Hilfeleistung ist typisch für Emanuel Schwarz. 1878 wird er in eine jüdisch-bürgerliche Familie in Wien hineingeboren. Sein Umfeld beschreibt Historiker Wolfgang Maderthaner als „hochverdichtetes, hochsensibles […] Milieu, das die signifikanten ökonomischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Eliten dieser Stadt stellte. Übernational, kosmopolitisch, in einem hohen Maße akkulturiert und assimiliert, […] wurden sie zur sozialen Trägerschicht der Wiener Moderne. […]“ Nach der Matura inskribiert Schwarz Medizin, ist ein hervorragender Student, der später Kurarzt wird. Pflichtbewusst leistet er seinen Kriegsdienst und rüstet als Offizier ab. Er führt das standesgemäße Leben mit allen Konventionen, die seine Familie vorgibt, nur eine Sache passt nicht dazu: Schwarz größte Leidenschaft ist Fußball. Schon als junger Mann begeistert er sich für den aus England herüberschwappenden Sport. Schon bald ist er Stammgast bei sämtlichen Spielen und lernt zahlreiche Wiener Aktive kennen, die er gratis behandelt. Er kann es sich leisten, denn sein Einkommen verdient er als Hausarzt der gesellschaftlichen Crème de la Crème, wie der „Rothschilds und Starhembergs“. Trifft man den Herrn Doktor nicht in seiner Praxis an, so sitzt er meistens in der Jasomirgottstraße, beim „Steffl“ ums Eck, im Dom-Café-Restaurant, wo gepflegt über Fußball debattiert wird. Diese Atmosphäre des Wiener Kaffeehauses prägt die Fußballkultur der Stadt und besonders die eines Vereines: Der Amateure.

„Die Violetten repräsentieren eine eigene Marke im Wiener, ja, im österreichischen Fußballleben. Sie waren nie das, was man eine „harte“ Mannschaft nennt, wohl weil ihr Verein lange Zeit in mindestens demselben Maße darauf bedacht war, Gesellschafts- wie Fußballklub zu sein. Die Mehrzahl der Spieler waren Intellektuelle, Studenten und Kaufleute. An der Spitze stand ganz unabsichtlich fast stets ein Doktor oder ein Professor.“, stellt sich die zukünftige Austria Wien 1920 selbst vor. Der Klub, dessen Spannungsweite gesellschaftlich alle Stückl‘n spielt, steigt rasch auf: Bereits elf Jahre nach seiner Gründung in der Wiener Urania greift der „Amateur-Sportverein“ nach Meister- und Cuptitel. Titel auf Titel folgen Ende der Zwanzigerjahre. Damals hat sich Schwarz schon längst im Umfeld des Klubs, später auch beim ÖFB zu engagieren begonnen. Im November 1926 wirkt er mit, als sich der Verein in seinem zweiten Zuhause, dem Dom-Café, offiziell in „Fußball-Klub Austria“ umbenennt. Den glorreichen Jahren folgt der Totalcrash zu Beginn der 30er: Die Austria hat sich finanziell übernommen, Stützen brechen weg, das Stadion in Ober St. Veit verfällt. Es muss Hilfe her: 1931 wird Dr. Emanuel Schwarz offiziell zum geschäftsführenden Vizepräsidenten der Austria gewählt. Ein Jahr später wird er Präsident. Schwarz krempelt sich die Ärmel hoch und setzt auf Jungspunde. Eine Rechnung, die aufgeht: Mit Sindelar, Gall, Mock und Nausch stellt die Austria vier Wunderteamspieler. „Michl“ kümmert sich nicht nur um Halbwaise Sindelar wie ein Vater. Nausch – dem personifizierten „Brieskicker“ der Wiener – versorgt er höchstpersönlich mit seinem Leibgericht, dem sonntäglichen – wie könnte es anders sein? – Kalbsbries. Die Austriaspieler gehören für ihn zur Familie. So wie auch Hugo Meisl, entert Schwarz nach schlechten Vorstellungen schon einmal die Kabine um den Kickern den Kopf zu waschen, umgekehrt, zahlt er für gute Leistungen Prämien aus, selbst wenn das Spiel verloren geht. Er begleitet seine Austria und auch die Nationalmannschaft auf allen Reisen und vernetzt sich dabei international. Diese Kontakte sollen später (über)lebensnotwendig für ihn sein. Bei Heimspielen nimmt der Fußballdoktor, wie er bald genannt wird, seinen 1927 geborenen Sohn Franz mit: „Wozu willst baden gehen? Kommt nicht in Frage. Wir gehen zum Match!“, heißt es im Hochsommer. Obwohl der Filius damit als Kind nicht immer glücklich ist, wird er die Tradition des Vaters fortführen und sich bis zu seinem Tod im Jahr 2010 bei den Veilchen engagieren. Sein eigener Sprössling ist heute Mitglied im Kuratorium und im FAK-Ehrenrat: Emanuel, Franz, Thomas – Drei Generationen in violett.

„Austria siegt in Prag – Pepi Stroh tanzt Wiener Walzer! Jerusalem schoss das Siegestor!“

Am Abend des 8. September 1933 ist Schwarz der glücklichste Mann der Welt und möchte alle seine Spieler – und einen ganz besonders – abbusseln: Matthias Sindelar schießt die Wiener Austria gegen die Stars von Inter Mailand zum Mitropacupsieger und wird auf den Schultern der Anhänger aus dem Praterstadion getragen. Kurz vor Schluss hatte der Superstar das drohende Entscheidungsspiel noch mit einem Kraftakt zum 3:1 abgewendet. Dieser Sieg macht die Austria schuldenfrei, seufzt Dr. Schwarz erleichtert. Drei Jahre später gewinnen die Violetten (dieses Mal gegen Sparta Prag) erneut den von der Schlafwagengesellschaft gestifteten Pokal. Trotz dieser Sternstunden pflegen die Wiener jedoch schon damals jene Launenhaftigkeit an den Tag zu legen, die den Fans in der Saison 2013/2014 den letzten Nerv raubt: International präsentiert sich die Austria bestens gelaunt, spielerisch hochklassig, während sie im Ligaalltag schlampig und oft nur durchschnittlich agiert. Die Kür vor der Pflicht: Im Jahr des zweiten Mitropacupsieges werden die Veilchen nur Siebenter in der Meisterschaft. 1933 kann sich der spätere Gewinner gar nur über einen glücklichen Cupsieg qualifizieren. Einen Meistertitel wird Schwarz in dieser Zeit nicht feiern: 1937 landet die starke Austria wegen zu vielen Punkten, die man gegen Underdogs gelassen hat, nur auf Platz zwei. 1936 bekommt Schwarz als Vater des Erfolges vom FAK-Vorstand eine Miniaturkopie des Häferls mit den großen Ohren zur Erinnerung überreicht. Vorstandsmitglied und Juwelier Lukac lässt „Unserem verdienten Präsidenten Michl Schwarz“ eingravieren. Die Mitropacup-Replik, die ähnliche Tumulte wie ihr Besitzer durchmachen wird, ist der ganze Stolz des Präsidenten.

Nicht nur das persönliche Naheverhältnis zu seinen Spielern und sein Fußballsachverstand machen Schwarz zu einem großartigen Präsidenten, unter ihm beginnt jene Praxis, die auch heute noch bei der Austria Gang und Gäbe ist: Private Investoren finanzieren teure Spieler. Schwarz kann seinen Sindelar nur wegen eines Gönners halten. Der zeitweilige ÖFB-Kassier führt ein strenges Finanzregiment, wobei er manchmal auch einen ganz schönen Spagat schlägt: So muss die Austria – auf Geheiß ihres Präsidenten – 1935 zwei Gegentreffer bei einer 5:0-Führung im Auswärtsspiel in Mailand zulassen, damit beim Rückspiel in Wien mehr Zuschauer kommen.

Im Februar 1937 stellt Doktor Schwarz seinem Freund und Kollegen Verbandskapitän Hugo Meisl den Totenschein aus. Mit Meisl stirbt ein Teil der alt-österreichischen Fußballkultur, der Fußballgeneral erspart es sich ein Jahr später den Zusammenbruch von all dessen mitzuerleben, was ihm als sichere Werte erschienen waren. Nicht nur er. Bis zum 17. März 1938 bleibt Emanuel Schwarz Hausarzt, Austria-Präsident, Familienvater, Ehemann und ehrenwerter Bürger, bis ein oberösterreichischer Gefreiter, unzählige Gefolgsleute, Ja-Sager und Opportunisten eine neue Zeitrechnung beginnen lassen. Vier Tage nach dem Aufgehen Österreichs in Hitler-Deutschland wird der „Judenklub“ Austria Wien vorläufig gesperrt, sein Vermögen eingefroren und der Spielbetrieb eingestellt. Der ehemalige Spieler und nunmehrige SA-Mann Hermann Haldenwang wird von Reichssportführer Tschammer zum kommissarischen Leiter der Violetten befördert. Er und Ex-Wunderteamverteidiger Hansi Mock tauchen im Braunhemd in Schwarz Privatwohnung in der Wollzeile 36 auf und machen diesem unmissverständlich klar, dass er bei der Austria ab sofort nichts mehr zu sagen hat. Bevor sie gehen beschlagnahmen sie noch die goldene Kopie des Mitropacups. Schwarz begreift, dass er Österreich schleunigst verlassen muss. Er ist nicht der einzige Austrianer, der ins Exil gedrängt wird: Walter Nausch flieht mit seiner jüdischen Frau Margoth in die Schweiz. Manager Robert Lang geht nach Jugoslawien, wo er 1941 ermordet wird. Langs Schwager, Austria-Sekretär Egon Ulbrich, hält seinem Präsidenten weiter die Stange, dreht sogar dessen Porträt im Klubsekretariat einfach um und befestigt auf der Rückseite das obligate „Führerbild“. Als Schwarz nach dem Krieg zurück in die Geschäftsstelle kommt, hängt „er“ unversehrt mit dem Gesicht zur Wand in den Vereinsräumlichkeiten: Ein Zeichen, dass Schwarz zumindest im Geiste mancher nie weg gewesen ist. Ulbrich ist es auch, der sich vehement gegen eine Umbenennung des Vereines in „SC Ostmark“ wehrt. Er argumentiert, dass die Austria unter ihrem Namen schon in ganz Europa populär ist und bekommt Recht. Das Intermezzo des unfähigen Haldenwang dauert nur bis Juli 1938, dann wird er durch Richard Ziegler ersetzt.

La fuite – die Flucht

Der 59-jährige Schwarz trifft derweilen Vorkehrungen für seine Flucht. Noch schützt ihn seine „Mischehe“ mit einer Nicht-Jüdin, doch vorsichtshalber hat er sich schon knapp vor dem Einmarsch der Deutschen darangemacht seinen Besitz zu verschleiern. Eine Vermögensaufstellung des „Emanuel Israel Schwarz, Krankenbehandler, mosaisch“ ergibt im August ’38 neben der gutbürgerlichen Wohnung in der Inneren Stadt daher kein relevantes Bargeld oder Mobiliarvermögen mehr. Mit Silvester meldet sich Schwarz aus der Wollzeile ab, vorwiegend um seine Frau Leopoldine und den gemeinsamen Sohn zu schützen. Wenige Monate nach dem rätselhaften Tod seines „Ziehsohnes“ Sindelar, setzt er sich im Mai 1939 auf Einladung des italienischen Verbandspräsidenten Giovanni Mauro nach Bologna ab. Mussolinis Faschistenstaat kann für ihn aber nur eine Zwischenstation bleiben, denn gerade zu dieser Zeit schließen die Deutschen mit den Italiener ein Bündnis, den „Stahlpakt“. „Michl“ Schwarz wendet sich daraufhin verzweifelt an den Generalsekretär des französischen Verbandes, Henri Delaunay. Dieser verspricht zu helfen und verschafft seinem Kollegen mithilfe einer Bürgschaft des FIFA-Präsidenten Rimet ein Visum für Frankreich. Dieses landet jedoch versehentlich in der französischen Botschaft in Wien. Leopoldine Schwarz holt es ab, näht es in ihre Handtasche ein und macht sich unter abenteuerlichen Umständen auf nach Bologna. Im Zug schwitzt sie Blut und Wasser – doch es klappt. Das Wiedersehen der Eheleute gelingt und sie verbringen wenigstens einige Tage zusammen.

In Friedenszeiten erleben manche Paare nicht das Vertrauen, das die Schwarz‘ für einander empfinden. Sie ziehen an einem Strang und inszenieren ihre Eheauflösung: Wie sich auch Kabarettist Karl Farkas von seiner „deutschblütigen“ Frau formell trennt, klagt Leopoldine Schwarz ihren „Michl“ auf Scheidung: „Volljud“ Schwarz habe aus Begeisterung für den Fußballsport Gattin und Kind emotional und finanziell vernachlässigt, sich schließlich böswillig ins Ausland abgesetzt und die zugesagten Alimente nicht bezahlt. 1940 wird die Ehe aus Alleinverschulden des Gatten geschieden. Nur auf diese Art gelingt es Leopoldine die Wohnung zu halten. Sohn Franz, halbjüdisch, kommt mehr schlecht als recht über die Runden. Als auch ihm Verfolgung droht, taucht er in den letzten Kriegsjahren unter und überlebt als „U-Boot“. Alte Freunde von der Austria und aus dem ganzen Fußballsport vergessen ihn nicht.

„Michl“ gelangt 1940 nach Paris, später nach Grenoble, wo er sich als Sportmasseur verdingt. Als der Krieg gegen Frankreich beginnt und Hitler schrittweise in den Süden vordringt, flieht Schwarz nach Angoulême an die Atlantikküste. Die deutsche Armee rückt jedoch weiter vor und schließlich wird auch Schwarz aufgegriffen. Er wird in ein Internierungslager im Norden gebracht. Dort geschieht etwas, das er sein Leben lang staunend erzählen wird: Es zeigt, wie Sympathien und Menschlichkeit durch einen sinnlosen Krieg und pseudowissenschaftlichen Rassenhass nicht einfach ausgeschalten werden können. Der Lagerkommandant ist Österreicher, ein Fußballfan. Er erkennt Schwarz und erzählt ihm – fast beiläufig – von dem nachts unversperrten Lagertor. Der über 60-jährige versteht den Wink mit dem Zaunpfahl und ergreift die Chance zur Flucht. Nach dem Krieg wird er sich bemühen den Namen seines Retters ausfindig zu machen: Ohne Ergebnis. Interventionen des DFB werden zwar vermutet, doch dürften diese halbherzig und wirkungslos geblieben sein. Der Akt des SS-Mannes bleibt eine selbstgewählte, gute Tat im Falschen. Sie rettet „Michl“ jedenfalls das Leben. Zu Fuß schlägt er sich vom besetzten Norden bis nach Paris durch, unterstützt von Einheimischen, die die „nazi-boches“ satt haben: Bauern versorgen ihn mit Essen und Kleidung, er übernachtet in Scheunen. Die Angst vor erneuter Entdeckung sowie eine schmerzhafte Gallenblasenerkrankung machen Schwarz das Leben schwer. In Paris, dem Zentrum der deutschen Besatzer, fühlt er sich dennoch sicherer. Der Widerstand hat ein unsichtbares Netz über die Stadt gespannt. Schwarz hat hier zahlreiche Kontakte: Einer davon Fritz Donnenfeld, der sich seit 1942 selbst in akuter Lebensgefahr befindet. Unter falschem Namen ist der gebürtige Wiener als Barbesitzer ein wichtiger Nachrichtenverteiler für die Engländer. Nicht nur die Kontakte der Résistance helfen Schwarz, auch seine eigenen Fußballbekanntschaften lassen sich weder durch Krieg noch dumme Propaganda entzweien. Wer Hilfe braucht, dem wird geholfen: Rapid-Stürmer Franz „Bimbo“ Binder, jetzt als Wehrmachtssoldat in Frankreich stationiert, schmuggelt Schwarz Briefe an seine Frau nach Wien, immer wenn er für ein Spiel in die Ostmark reisen darf. Im Mai 1944 schreibt Schwarz: „Morgen sind es fünf Jahre, dass ich meine Allerliebste verlassen habe und hoffe ich, dass es doch bald ein Wiedersehen geben wird, denn wie du sagst, die Hoffnung ist das einzige, was einen aufrecht erhält. Am meisten denke ich an Franzi, dem es nach deinem Bericht so lala geht, Gott möge ihn weiter schützen und behüten.“

Der Präsident ist wieder da!

Schwarz wird Frau und Sohn bald in die Arme schließen können. Als das Foto von ihm und Donnenfeld im befreiten Paris geschossen wird, hat er seine Rückkehr nach Wien bereits fest eingeplant: Zwar dauert es noch etwas, doch am 6. Dezember 1945 fliegt der „Fußballdoktor“ gemeinsam mit dem französischen Nationalteam zum Ländermatch gegen Österreich nach Wien. Schwarz knüpft dort an, wo er aufgehört hat. Um sein persönliches Schicksal macht er kein Tam-Tam, als er 1946 erneut zum Austria-Präsidenten gewählt wird. Zwar behauptet die Austria noch Jahre später, das Präsidentenamt sei für Schwarz freigehalten worden. In Wahrheit führte aber NSDAP-Mitglied Dr. Bruno Eckerl die Geschäfte, der 1955 als Schwarz ein zweites Mal (und dieses Mal freiwillig) aus dem Austria-Vorstand ausscheidet, erneut FAK-Präsident wird. In einem Umfeld, in dem sich die ökonomischen und sozialen Umstände erst langsam wieder erholen, schreitet Schwarz rasch zur Tat. Im Fußballgeschäft geht auch nach dem Krieg alles sehr rasch: Als der Mittelfeldspieler Ocwirk vom Floridsdorfer AC zu Rapid wechseln soll, schlägt Schwarz dem Erzrivalen ein Schnippchen, in dem er dem FAC neue Umkleidekabinen und Sitzreihen als Gegenleistung für den Spieler verspricht. Ocwirk wechselt in einer Nacht- und Nebelaktion nach Favoriten. Der Fußballdoktor schafft es wieder die richtige Mischung zu finden und die Austria ist nach dem Krieg dank Siegen, wie dem 9:2 gegen den 1. FC Kaiserslautern, eine der besten europäischen Klubmannschaften. Als Arzt zählt Schwarz beispielsweise den Oberbefehlshaber der Roten Armee in Österreich, Marschall Tolbuchin, zu seinen Patienten. Nach seiner Wiederverheiratung bietet ihm sein Freund, der Justizminister, spätere ÖFB-Präsident sowie UEFA-Vizepräsident Josef Gerö, den Posten des Gesundheitsministers an. Obermedizinalrat Schwarz lehnt ab. Er hat genug erlebt und zieht sich 1955 als Präsident der Wiener Austria zurück, wenn er auch weiter als Ehrenpräsident fungiert. 1964 erhält er das Goldene Ehrenzeichen der Republik, vier Jahre später stirbt Schwarz.

Das ist ja noch einmal gut gegangen, könnte man am Ende dieser Geschichte erleichtert feststellen. Eine eindimensionale Sichtweise, die auch die Austria jahrelang pflegte. Sie betont ihre Opferrolle: „Die Austria war dem NS-Regime aus zwei Gründen besonders zuwider: Erstens als Klub, der vor allem unter den Funktionären einen hohen Anteil an jüdischen Bürgern hatte und zweitens als Verein, der besonders das spielerische Element, das „Wiener Scheiberlspiel“, betonte.“. So leiten die Wiener das Kapitel über die NS-Zeit auf ihrer Homepage ein. Wenig Kritisches findet sich auf dieser Seite. Doch auch die Veilchen haben den Weltkrieg nicht wie durch ein Wunder, sondern auch (!) durch Opportunisten, NS-Schirmherren und überzeugte Nazis wie Hans Mock – einen SA-ler der ersten Stunde – überlebt. In der Präsidentschaft Schwarz II hätte als Zeichen des Wiederbeginnes eine Aufarbeitung dieser Zeit stattfinden können. Doch so wie in ganz Österreich, das sich jahrzehntelang als „erstes Opfer“ Hitlers darstellte und sich so vor Verantwortung drückte, blieb ein Reinigungsprozess aus. Von den österreichischen Bundesligisten hat sich bisher einzig und allein der Stadtrivale Rapid viel später auf Betreiben seines damaligen Präsidenten Rudi Edlinger (der ebenso als Präsident des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes tätig ist) entschlossen die NS-Zeit zu beleuchten: 2011 erschien das Buch „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“.

Die Wiener Austria ist exemplarisch dafür, wie sensibel eine Aufarbeitung stattfinden müsste. Ist es doch nicht immer leicht Täter und Motive zu identifizieren sowie Schuld zu gewichten. Zahlreiche Menschen, wie Sekretär Ulbrich, dem man wahrlich keine Naziüberzeugung andichten kann, spielten offiziell mit während sie innerlich emigrierten und versuchten das Beste herauszuschlagen. Das Verhalten Matthias Sindelars oder Karl Sestas bleibt in jede Richtung interpretierbar.

Laut Aussage von Franz Schwarz spürte seine Familie vor dem Krieg keinerlei Antisemitismus: „Das hat damals überhaupt keine Rolle gespielt. Erst im Jahr 1938 wurde das schlagend. Vorher hat keiner gewusst, wer was ist.“ Kein Wunder, stammte Schwarz doch aus einer höchst-assimilierten Gesellschaftsschicht. Eine Geschichte, die sich Anfang der Dreißiger bei Meisls zuhause zugetragen hat, illustriert allerdings wie fest verankert antisemitisches Denken tatsächlich war: Präsident Schwarz, der bei der Familie des ÖFB-Chefs eingeladen war, fragte dessen Kinder nach ihren Sommerplänen. Diese antworteten: „Sonst fahren wir ja immer nach Hinterstoder. Aber diesmal nicht. Da sind so viele Juden.“ Vermutlich war auch dieses tiefverwurzelte Nicht-Zugehörigkeitsgefühl zur semitischen Volksgruppe ein Grund, warum Schwarz in Österreich nicht viel Aufhebens um sein Schicksal machte. Viele Verfolgte schwiegen. Heute fällt es schwer die Rolle der Austria in dieser Zeit zu beleuchten, ist doch das Austria-Sekretariat in der Jasomirgottstraße zerbombt und zahlreiche Akten zerstört worden. Schwarz Porträt mit dem applizierten Hitlerbild hat überlebt. Ein Zeichen von oben? Wohl eher Zufall – aber ein schöner.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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