Wer ist eigentlich der beste Fußballer der Welt? Lionel Messi? Oder doch Cristiano Ronaldo? Dies ist wohl einer der größten Streitpunkte in der derzeitigen... Statistik und Wirklichkeit – Fußball im Schatten der Zahlen

Wer ist eigentlich der beste Fußballer der Welt? Lionel Messi? Oder doch Cristiano Ronaldo? Dies ist wohl einer der größten Streitpunkte in der derzeitigen Fußballgeschichte. Versucht man entweder für den kleinen Argentinier oder den athletischen Portugiesen zu argumentieren, zieht man zwangsläufig Statistiken heran um seinen Standpunkt zu untermauern. Egal ob Tore, Assists, zurückgelegte Distanz oder gewonnene Zweikämpfe – einen klar belegbaren Beweis gibt es nicht. Es besteht nur die Möglichkeit die Zahlen so zu drehen, dass sie der eigenen Meinung entsprechen. Oft liegt aber genau dort der Fehler.

Obwohl sich der Fußballsport noch in der Frühphase der Datenerfassung und vor allem objektiven Maßstabsfindung befindet, gibt es doch schon eine Reihe von eindrucksvollen Zahlen. Zugänglich sind sie dem gemeinen Fan und Journalisten aber kaum, so dass man von Sabermetrics-Formeln, wie sie im Baseball verwendet werden, weit entfernt ist. Daher wird man in vielen Medien in nächster Zeit noch viele der bereits ausgeleierten Phrasen lesen. Von einem Spieler „sah man über 90 Minuten nichts“, „ging keine Gefahr aus“ oder er war einfach nur „schwach“ – in den meisten Fällen sind dies alles richtige Bemerkungen, nur ohne haltvolle Begründungen. Der fehlende objektive Maßstab, der aufgrund der rudimentären Datenerfassung ausbleibt, ist aber kein fußballspezifisches Problem.

Der Shane Battier-Faktor

Shane Battier ist ein US-amerikanischer Basketballprofi und gilt als einer der besten Defensivspieler in der NBA. Diesen Status hat sich der 32-Jährige allerdings nicht aufgrund irgendwelcher herausragenden Statistiken erarbeitet – diese sind eher durchschnittlich. Er erzielt nicht viele Punkte, gibt nicht viele Assists, gewinnt nicht viele Rebounds oder stiehlt viele Bälle. Viele Sachen, die Battier erfolgreich machen, werden von der Statistik nicht erfasst und dennoch war bereits zu seiner Zeit bei den Houston Rockets eines augenscheinlich: Sein Team gewinnt öfter wenn er auf dem Court steht. Statistisch belegen warum das so ist, kann man es allerdings nicht. Battier analysiert seine Gegner, fokussiert sich dabei nicht ausschließlich auf deren Schwächen, sondern auch dessen schwächer ausgeprägten Stärken. Er drängt seinen Gegenüber in Positionen, von denen aus dieser eine niedrigere Trefferquote hat, stellt sich behindernd in den Weg oder verdeckt“ frameborder=“0″ allowfullscreen> dem Gegner einfach mit der Hand die Sicht. „Die längste Zeit in der Geschichte des Basketballs wurde nicht so sehr das gemessen, was wichtig war, sondern das, was man messen konnte – Punkte, Rebounds, Assists, Steals, geblockte Würfe –, und diese Messungen haben die Wahrnehmungen des Spiels geprägt. Wie viele Punkte ein Spieler gemacht hat, gibt noch keine wahre Auskunft darüber, wie sehr er seinem Team geholfen hat“, schrieb der Journalist Michael Lewis vor einiger Zeit in der New York Times über Battier, den No-Stats All-Star.

Adaptierte Chelsea die Battier-Taktik?

Es gibt Theorien, nach denen der heurige Champions-League-Sieg vom Chelsea FC, so kurios es für manche sein mag, genau auf diese Art und Weise geplant war. Di Matteo soll bewusst seine Spieler darauf angewiesen haben den Gegner zwar zu Torchancen kommen zu lassen, allerdings aus wenig erfolgversprechenden Positionen bzw. mit dem Auftrag den Schüssen die Effektivität zu nehmen. Schaut man sich die Statistiken des Finales gegen den FC Bayern München an, verdeutlicht sich dieser Eindruck. Zwar ließ man insgesamt 43 Torschüsse zu, von denen aber nur sieben auf den Kasten von Petr Cech gingen – fast die Hälfte aller Versuche wurden aber geblockt. Auch die Umstände, unter denen Di Matteo die Blues übernommen hat, lässt diese Vorgehensweise nicht ausschließen. Vor seinem Amtsantritt lieferten die Londoner teilweise katastrophale Defensivleistungen ab, eine grundsätzliche taktische Änderung war aufgrund der fortgeschrittenen Saison jedoch nur bedingt möglich. Ob der Chelsea-Coach wirklich auf die Battier-Taktik zurückgriff, oder ob es in erster Linie Zufall war, dass die Gegner nicht mehr Profit aus ihren Möglichkeiten schlugen, bleibt aber dennoch Spekulation. Die erfassten Werte schließen es jedoch nicht aus.

Was bedeuten Interceptions?

Ein weiteres Beispiel dafür, dass Statistiken ein sehr veranschaulichendes Mittel zur Analyse von Vorgängen im Fußball sind, man aber immer die Hintergründe dazu beleuchten soll, liefert der Blog The Power of Goals, der die Wichtigkeit von abgefangenen Pässen (Interceptions) untersucht. Zwar wird diesen verglichen mit Sportarten mit niedrigen Ballverlustfrequenzen, wie zum Beispiel American Football, im Fußball wenig Beachtung geschenkt, trotzdem kommt ihnen im modernen und schnellen Spiel eine hohe Bedeutung zu. Mithilfe von Interceptions lässt sich in Umschaltmomenten die Unordnung des Gegners effektiv ausnutzen. Jedoch muss auch hier auf den Informationsgehalt geachtet werden. Englands Meister Manchester City verzeichnete zum Beispiel in der abgelaufenen Saison 648 Interceptions, Mittelständler Stoke 497 und Fast-Absteiger Aston Villa fing 786 Pässe ab. Es gilt nun die passenden Hintergründe dazu zu finden. Offenbar impliziert eine hohe Anzahl an Interceptions keinesfalls, dass man die vorderen Tabellenplätze belegt. Damit man einen gegnerischen Pass abfangen kann ist es selbstverständlich essentiell, dass dieser den Ball hat. Manchester City hat von den genannten Mannschaften im Schnitt klar den meisten Ballbesitz (57,7% pro Spiel). Aston Villa rangiert mit 43,3% an drittletzter Stelle, Stoke hat als Schlusslicht gar nur 39,9% aller Ballkontakte pro Spiel. Entsprechend verteilen sich auch die gespielten Pässe der Gegner: City 14.524, Stoke 17.115, Villa 17.078. Dividiert man diese Zahlen mit den absoluten erreichten Interceptions durch verändert sich das Bild nur geringfügig. Manchester City und Aston Villa liegen mit 4,5 bzw. 4,6 Prozent aller abgefangenen Bälle weiter klar vor Stoke (2,9). Entscheidend ist die Ausrichtung des Teams und die Tatsache, dass beinahe die Hälfte aller Interceptions von Verteidigern erreicht werden. Während Villa in erster Linie auf Konter lauert und diese durch schnelle Ballgewinne erzielen will, baut Stoke hauptsächlich auf die Physis. Die Potters setzen auf Pressing und Zweikämpfe um den Gegner zu Fehlern zu zwingen. Hingegen kann man die hohe Interception-Rate bei Manchester City durchaus auf die hohe individuelle Klasse und Antizipationsfähigkeit der Einzelspieler zurückführen.

Die goldene Mitte finden

Der wichtigste Punkt beim Versuch Gebrauch von den rudimentären Fußballstatistiken zu machen ist, simple Engführungen zu vermeiden – dies gilt in beide Richtungen. Es ist genauso unsinnig irgendwelche Zahlen herunterzubeten, wie den Fußball lediglich darauf zu reduzieren, dass er nur ein Sport ist, bei dem 22 Spieler einem Ball hinterherjagen und es nur auf Willen, Leidenschaft und individuelle Stärken der Akteure ankommt. Diverse Schreiber werden wegen erstem belächelt, während es für Mainstream-Journalisten seit jeher unerlässlich ist auf letzteres hinzuweisen. Es liegt an uns die goldene Mitte zu finden.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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