Sie sind eine der großen Unbekannten bei dieser Europameisterschaft. Das englische Nationalteam besteht zwar hauptsächlich aus Spielern, die in der angeblich stärksten Liga der... Asse im Ärmel oder doch nur Durchschnitt? Das ist der EM-Kader Englands!

Sie sind eine der großen Unbekannten bei dieser Europameisterschaft. Das englische Nationalteam besteht zwar hauptsächlich aus Spielern, die in der angeblich stärksten Liga der Welt ihre Brötchen verdienen, dennoch sind einige hierzulande weniger bekannte Spieler dabei. Es lässt sich über die Qualität der Einzelspieler streiten, sie sind im Heimatland des Fußballs teilweise sogar sehr umstritten.

Ob Liverpools Millioneneinkäufe Downing und Carroll, welche diese Saison enttäuschten, oder gestandene Spieler wie Terry und Gerrard: Die englischen Medien und Fanforen äußern sich sehr kritisch und erwarten eine desaströse Europameisterschaft. Passend dazu schien der englische Verband einen Trainer geholt zu haben, der seine größten Erfolge mit UEFA-Cup-Teilnahmen mit Durchschnittsteams hatte. Roy Hodgson gilt als ein Trainer, der aus einer durchschnittlichen Mannschaft das Beste herausholen kann. Sollte das im Falle der Three Lions etwa die bestmögliche Variante sein?

Das Aufgebot

Tor: Hart (Manchester City), Green (West Ham), Butland (Birmingham)
Abwehr: Baines (Everton), Cahill (Chelsea), Cole (Chelsea), Terry (Chelsea), Johnson (Liverpool), Jones (Manchester United), Lescott (Manchester City), Jagielka (FC Everton)
Mittelfeld: Milner (Manchester City), Downing (Liverpool), Gerrard (Liverpool), Henderson (Liverpool), Oxlade-Chamberlain (Arsenal), Walcott (Arsenal), Parker (Tottenham), Young (Manchester United)
Angriff: Carroll (Liverpool), Defoe (Tottenham), Rooney (Manchester United), Welbeck (Manchester United)

Endlich ein Torwart

Jahrelang war es die absolute – und vermeintlich einzige – Problemstelle des englischen Kaders. Die Position des Torhüters war seit Gordon Banks in den 60ern und 70ern fast durchgehend umstritten. Nur Peter Shilton konnte kurzzeitig Ruhe einbringen, doch seine Nachfolger versagten mehr oder weniger. Torhüter wie David Seaman konnten sich zwar länger im Kasten halten, waren jedoch alles andere als fehlerfrei. In den letzten Jahren gab es mit Carson, Robinson, Green, James und ein paar weiteren Kandidaten im Blickfeld einen enormen Konkurrenzkampf. Der aktuelle Sieger heißt  Joe Hart, welcher sich in den letzten Jahren von einem großen Talent zu einem starken Torhüter entwickeln konnte. Einer der wenigen Fälle, in welchem die Vorschusslorbeeren bei einem englischen Torhüter zurückgezahlt wurden.

Der Goalie von Manchester City ist nicht nur stark auf der Linie, sondern besticht durch seine Konstanz und seine Führungsfähigkeiten. Trotz seines relativ geringen Alters war er diese Saison eine der Stützen für den Meistertitel der Citizens. Deswegen werden ihm Green und der nachnominierte Butland auch keinen Strich durch die Rechnung machen. Sie sind die eher durchschnittlichen Torhüter, welche man bislang von den Engländern gewohnt war: zweifelsfrei gute Keeper, aber auf höchstem Niveau und unter dem enormen Druck der Medien schlicht und ergreifend nicht ausreichend. Bei dieser Europameisterschaft liegen die Problemzonen woanders.

Die Viererkette mit den vielen Fragezeichen

Roy Hodgson entschied sich überraschend für John Terry. Dieser musste nach zahlreichen Skandalen in den letzten Jahren wegen Foulspielen (dumme Tätlichkeit an Sanchez im CL-Halbfinale), persönlichen Eskapaden (Affäre mit der Ex-Frau von Wayne Bridge) und zahlreichen anderweitigen Gerüchten (Rassismus und Teilnahme an „Putschversuchen“ gegen Ex-Chelsea-Trainer André Villas-Boas) einen herben Imageverlust hinnehmen. Außerdem sind seine Leistungen nicht mehr auf dem Niveau seiner Weltklassezeit, was ihn für viele zu einem Streichkandidat der Three Lions machte.

Hodgson entschied sich jedoch für ihn, ebenso wie für seinen Mitspieler Gary Cahill, der sich in guter Form präsentierte. Die beiden könnten die Innenverteidigung bilden, als Ersatz fungieren der nachnominierte Phil Jagielka sowie Joleon Lescott. Letzterer könnte sich sogar einen Platz in der Stammmannschaft erspielen, falls Terry oder Cahill Hodgson nicht überzeugen können. Dies scheint aktuell aber unwahrscheinlich.

Ein ähnliches Szenario gibt es auf den Außenverteidigerpositionen. Hier dürften Glen Johnson und Ashley Cole gesetzt sein, da ihre Konkurrenten weder das Standing noch die deutlich besseren Leistungen ihr Eigen nennen dürfen. Leighton Baines ist zwar ein hervorragender linker Außenverteidiger, Cole besitzt allerdings mehr Erfahrung und kam in den letzten Wochen wieder in Form. Außerdem ist er der defensivstärkere, was ein weiterer Vorteil sein könnte.

Auf rechts gibt es mit Phil Jones einen ausgesprochen interessanten Spieler. Dieser kann im defensiven Mittelfeld, in der Innenverteidigung und auf der rechten defensiven Außenbahn agieren. Er gilt als großes Talent und konnte im Trikot von Manchester United diese Rückrunde durchaus überzeugen. Im Gegensatz zu Johnson, dessen Form etwas nachließ. Eine der Überraschungen der Three Lions könnte sich also exakt bei dieser Aufstellung abspielen: der junge Jones oder doch der erfahrenere, aber dennoch nie international auffällige Glen Johnson?

Eine zweite Viererkette?

Bei Hodgsons bisherigen Trainerstationen arbeitete er zumeist mit dem 4-4-1-1-System. Geht man davon aus, dass England eher als Außenseiter agieren wird, macht diese Formation auch in diesem Fall durchaus Sinn. Ein Stammplatz steht bereits fest, der wird an Steven Gerrard gehen, der von Hodgson als Schlüsselspieler eingeschätzt wird. Die Frage ist jedoch, ob er zu Turnierbeginn aufgrund der Sperre Rooneys nicht vielleicht sogar auf der Position des hängenden Stürmers agieren wird. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass diese Rolle jemand anders übernimmt und Gerrard sich im defensiven Mittelfeld als Spielgestalter probiert.

Nach der Verletzung Barrys dürfte seine Absicherung Scott Parker lauten. Dieser ist ein Abräumer, der technisch solide ist, jedoch keine spielmachenden Aufgaben übernehmen kann. Deswegen wäre es möglich, dass sogar Jordan Henderson oder James Milner neben Gerrard auflaufen, aber dies wäre nur im Falle eines Rückstandes realistisch.

Auf den Flügelpositionen stellen sich weitere Fragen. Voraussichtlich wird mit zwei breiten Außenspielern gespielt, also ein klassisches 4-4-2 ohne inverse Winger. Hierbei würden sich Ashley Young auf rechts und Stewart Downing auf links anbieten, doch dies scheint keine gute Wahl zu sein. Downing enttäuschte und Young zeigte sich in der Rückrunde schwächer, als noch zu Saisonbeginn. Aber die Alternativen sind rar. Alex Oxlade-Chamberlain ist sehr jung und spielt auch auf anderen Positionen, er ist eher ein Edeljoker. Milner könnte diese Position spielen, genießt jedoch kein großes Standing und Theo Walcott ist zu offensiv und geradlinig in seiner Spielweise. Er wäre in einem 4-3-3 besser aufgehoben. Darum wird es wohl mit Downing und Young bei zwei Wundertüten bleiben, welche allerdings an einem guten Tag den Mittelstürmer hervorragend mit Flanken bedienen könnten.

Ein Poacher gefragt?

Aufgrund dieser Spielweise besitzt ein anderer stark kritisierter Spieler zurzeit gute Karten, die Offensive anzuführen. Andy Carroll konnte dieses Jahr nur wenige Tore erzielen, wird womöglich aufgrund seiner Kopfballstärke allerdings in ein besseres Licht gerückt werden. Bei Liverpool wurde vorrangig auf Suarez und Gerrard gespielt, Hodgson könnte die kollektive Spielweise mehr auf den Hünen am Sturmzentrum zuschneiden. Für eine Kontermannschaft sicherlich keine schlechte Idee, mit den nachrückenden guten Distanzschützen wie Rooney und Gerrard ohnehin nicht. Wenn Wayne Rooney zurückkehrt, gäbe es eine weitere Option für die Position des hängenden Stürmers, die neue taktische Möglichkeiten eröffnet: beispielsweise Ablagen, Hinterlaufen oder Kombinationen für halbhohe Hereingaben auf Carroll und/oder Rooney.

Danny Welbeck wäre eine Option bei inversen Wingern. Er ist ungemein spielintelligent, bewegt sich gut und kann sich im Kombinationsspiel für sichere Pässe anbieten. Mit Rooney bildete er bereits ein gutes Sturmduo bei Manchester United. Jermaine Defoe dürfte deswegen nur die letzte Wahl sein oder wenn man den Gegner in den letzten Minuten in dessen eigene Hälfte eindrückt. Große Chancen sollte sich der Spurs-Stürmer darauf nicht ausrechnen.

Das System

Wie bereits angeschnitten kann man von den Engländern kein Spektakel erwarten. Vielmehr wird Hodgson in der schweren Gruppe versuchen, sich mit einem 4-4-1-1 auf Flügelspiel und Konter zu beschränken sowie defensiv sicher zu stehen. Die ideale Spielweise dürfte dies aufgrund des Spielermaterials sein, wirklich erfolgsversprechend ist sie nicht. Doch wer weiß, in Angesicht des Chelsea-Triumphes sowie dem Überraschungssieg der Griechen aus 2004 sollten solche Erfolge niemals als unerreichbar bezeichnet werden. In der Theorie gibt es nämlich einige interessante Aspekte. Rooneys und Gerrards Laufstärke, deren Distanzschüsse aus der zweiten Reihe sowie das unterschätzte Kopfballungeheuer in Form von Andy Carroll. Womöglich wird sogar Milner oder Henderson ins defensive Mittelfeld rücken, um Gerrard eine Ebene nach vorne zu ziehen. Fakt ist, dass die kurzfristige Verletzung Lampards weitere Probleme brachte. Dieser hätte den perfekten Platzhalter bis Rooneys Rückkehr spielen können, was Gerrard bestimmt im defensiven Mittelfeld gehalten hätte. So gibt es nur noch mehr offene Fragen für Roy Hodgson – ob sein Edeljoker Oxlade-Chamberlain nun gar in die Aufstellung gespült wird?

Eine weitere, aber sehr unwahrscheinliche Möglichkeit wäre es mit Young auf links und Milner auf rechts zu spielen mit einem klassischen Sturmduo davor. Der linke Stürmer wäre dann Defoe, rechts Welbeck. Young könnte invers spielen und würde von einem schnellen Stürmer unterstützt, welcher ihm Räume öffnen würde. Lochpässe oder zumindest ausreichend Raum für Abschlüsse wären die möglichen Stärken. Diese Spielweise konnte man bei West Bromwich Albion unter Hodgson gegen City beobachten, doch aufgrund der mangelnden Alternativen im Sturm sowie der fehlenden Zeit zum Einstudieren einer solchen Spielweise ist dies jedoch nicht zu erwarten.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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