Bei dem letzten Großturnier erreichte die niederländische Mannschaft das Finale, verlor dieses aber gegen Spanien. Doch für viele war dies nicht keine niederländische Mannschaft,... Pragmatischer als zu Cruyffs Zeiten, aber immer noch bärenstark – das ist der EM-Kader Hollands!

Bei dem letzten Großturnier erreichte die niederländische Mannschaft das Finale, verlor dieses aber gegen Spanien. Doch für viele war dies nicht keine niederländische Mannschaft, die ihren Vorgängern ähnelte. Ihnen wurde vorgeworfen, zu destruktiv und defensiv zu spielen. Trainerlegende Johan Cruyff äußerte sich sinngemäß sogar dahingehend, dass ein Sieg der Niederlande eine Niederlage für den Fußball wäre.

Dennoch scheint diese Kritik stark übertrieben. Die Niederländer spielen zwar eine kompakt und pragmatisch, besitzen aber alleine aufgrund ihrer individuellen Qualität sowie dem schnellen Umschaltspiel ausreichend Fähigkeiten für eine spektakuläre Spielweise. Insbesondere die individuelle Qualität könnte ausschlaggebend werden.

Das Aufgebot

Tor: Maarten Stekelenburg (AS Rom), Tim Krul (Newcastle United), Michel Vorm (Swansea City)
Abwehr: Khalid Boulahrouz (VfB Stuttgart), Wilfred Bouma (PSV Eindhoven), John Heitinga (FC Everton), Joris Mathijsen (FC Malaga), Ron Vlaar (Feyenoord Rotterdam), Gregory van der Wiel (Ajax Amsterdam), Jetro Willems (PSV Eindhoven)
Mittelfeld: Ibrahim Afellay (FC Barcelona), Mark van Bommel (AC Mailand), Nigel de Jong (Manchester City), Stijn Schaars (Sporting Lissabon), Wesley Sneijder (Inter Mailand), Kevin Strootman (PSV Eindhoven), Rafael van der Vaart (Tottenham Hotspur)
Sturm: Klaas-Jan Huntelaar (Schalke 04), Luuk de Jong (Twente Enschede), Dirk Kuyt (FC Liverpool), Luciano Narsingh (SC Heerenveen), Robin van Persie (FC Arsenal), Arjen Robben (Bayern München)

Die Torwartfrage

Bisheriger Stammtorwart war Maarten Stekelenburg. Der Torwart von AS Rom galt vor seinem Wechsel von Ajax als einer der angehenden Weltklassetorhüter, zeigte allerdings nur eine solide Saison bei den Italienern. Er wird aufgrund seiner Erfahrung und der bereits vorhandenen Abstimmung das Tor bei der Europameisterschaft hüten. Seine Konkurrenz schläft allerdings nicht. Michel Vorm von Swansea City fährt zwar nur als dritter Torhüter mit, konnte diese Saison jedoch eine außerordentlich gute Runde spielen.

So stellte er beispielsweise bereits im ersten Saisonspiel gegen Manchester City einen Rekord für die meisten gehaltenen Torschüsse in einer Partie auf. Der größte Konkurrent für Stekelenburg dürfte allerdings Tim Krul sein. Der Newcastle-Torwart war eine der Stützen der diesjährigen Überraschungsmannschaft in der Premier League. Mit vielen starken Reaktionen auf der Linie, zahlreichen Paraden und auffälligen Stärken in den modernen Torwartdisziplinen gilt er als kompletter Torhüter. Der 24-Jährige dürfte in Zukunft wohl eine größere Rolle spielen, wenn er seine Leistungen bestätigen kann.

Die Abwehr

In der Viererkette sind drei Positionen fix besetzt: Johnny Heitinga und Joris Mathijsen in der zentralen Innenverteidigung sowie Gregory van der Wiel auf der rechten Außenverteidigerposition. Diese drei sind relativ unumstritten. Die zwei Innenverteidiger besitzen ausreichend Erfahrung und spielen bereits seit vielen Jahren auf hohem Niveau. Die beiden Legionäre sind auch in ihren Stammvereinen gesetzt, ebenso wie Ajax‘ van der Wiel. Letzterer gilt als potenzieller Weltklasseaußen, zeigt aber auch defensive Unsicherheiten und generelle Inkonstanz, weswegen er noch bei keinem größeren Verein unterkam.

Auf der Position des linken Außenverteidigers gibt es zwei Möglichkeiten. Der 18jährige Jetro Willems ist ungemein schnell und stößt gerne bis zur Grundlinie vor. Seine mangelnde Erfahrung könnte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung machen. Stattdessen gäbe es Wilfred Bouma eine defensivere und deutlich erfahrenere Alternative. Der 33-Jährige ist ein bulliger Abwehrspieler, der sich nur sporadisch in die Offensive einschaltet und womöglich genau deswegen besser zur Spielweise der Oranjes passt.

Die Ersatzspieler der Niederlande sind ebenfalls besonders interessant. Ron Vlaar ist ein Ersatz für die Innenverteidigung, der sein Potenzial aufgrund vieler Verletzungen nicht nutzen konnte. Er ist groß gewachsen, stark in der Zweikampfführung und ebenso technisch solide. Mit Bouma gibt es eine weitere Möglichkeit für die Innenverteidigung, er deckt wie Khalid Boulahrouz zwei Positionen ab. Der ehemalige Hamburg- und Chelsea-Spieler ist der erste Ersatz für die rechte defensive Außenbahn sowie eine weitere Option für die Innenverteidigung. Gegen enorm offensivstarke Mannschaften könnte er sogar für Van der Wiel in die Mannschaft rücken.

Die Doppelsechs

Im zentraldefensiven Mittelfeld werden voraussichtlich Mark van Bommel und Nigel de Jong eine kampfstarke und defensivorientierte Zentrale bilden. Die beiden sollen vorrangig gegnerische Spielmacher ausschalten sowie vor der Abwehr für eine hohe Defensivstärke sorgen. Diese Stabilität ist das Markenzeichen der Niederlande, wobei van Bommel im Umschaltspiel als primärer Verbindungsspieler organisiert. Trotz seiner wenig eleganten Spielweise beherrscht er es, gute Diagonalpässe und Spielverlagerungen zu spielen. Als Ersatzspieler für die beiden stehen Stijn Schaars und Kevin Strootman zur Verfügung, welche hierzulande eher unbekannt sind. Strootman ist ein körperlich starker zentraler Mittefeldspieler, welcher über eine gute Technik verfügt und akzeptable Pässe spielen kann. Schaars ist ein ähnlicher, aber etwas kleinerer und wendigerer Spieler.

Die beiden dürften somit für van Bommel ins Team rücken oder den ehemaligen Bayern-Kapitän eine Ebene nach hinten schieben und statt de Jong agieren, um mehr Kreativität ins Spiel zu bringen. Allerdings dürfte die kreativste Alternative für das Zentrum Rafael van der Vaart von den Spurs sein. Neben seinem hervorragenden Schuss und seiner Torgefahr kann er auch als offensive Acht spielen, wobei man dies in einem solch starken Turnier nicht wirklich erwarten kann – bei einem Rückstand oder gegen einen mauernden Gegner aber durchaus eine Option.

Die offensive Dreierreihe

Van Marwijk lässt in der Offensive auf zwei klassische Flügelstürmer und einen Zehner bauen. Den zentralen Spielmacher markiert Wesley Sneijder, wobei er sich nicht mehr in seiner Topform aus dem Jahr 2010 befindet. Eine Alternative wäre Rafael Van der Vaart, welcher seinem ehemaligen Teamkollegen jedoch individuell unterlegen ist. Sollte nichts Unerwartetes geschehen, dürfte Sneijder diesen Platz sicher für sich behalten, Formschwächen hin oder her.

Die klassischen Flügelstürmer dürften voraussichtlich Arjen Robben auf links und Dirk Kuyt auf rechts sein. Sie können sowohl bis zur Grundlinie durchmarschieren oder diagonal Richtung Tor ziehen. Damit würden sie sich ideal für Lochpässe Sneijders anbieten und könnten schnelle und gefährliche Konter fahren. Zentral gäbe es Unterstützung durch Robin Van Persie, der eine hervorragende Saison spielte und sich den englischen Torschützentitel sicherte. Dieser könnte auch als Ersatz für Arjen Robben auf links spielen und Ibrahim Afellay wäre eine Möglichkeit statt Kuyt als rechter Flügelstürmer. Das System und die Spielweise würden sich dadurch nicht ändern, Klaas-Jan Huntelaar würde dann als Mittelstürmer in die Mannschaft rücken. Statt Afellay könnte auch der sehr schnelle Luciano Narsingh auflaufen. Desweiteren könnte Luuk de Jong statt Huntelaar auflaufen, da letzterer sich seltener am Kombinationsspiel beteiligt. De Jong hingegen lässt sich oft nach hinten fallen und ähnelt van Persie in seiner Spielweise.

Interessant wäre auch eine Veränderung des Systems.

Vom klassischen zum inversen Flügelstürmer?

Aufgrund des formstarken Huntelaars könnte sich eine alternative Aufstellung anbieten. Mit van Persie und Robben wäre es möglich, dass einer der beiden als inverser Winger aufläuft, wie es Robben bereits beim FC Bayern praktiziert. Im Idealfall würden sich rochieren und der linke Flügelstürmer macht das Spiel breit. Der Rechtsaußen zieht nach innen und versucht zum Abschluss zu kommen oder Lochpässe auf Huntelaar zu spielen. Dank des offensiveren van der Wiel auf rechts hätten sie einen Spieler, der seinen Vordermann hinterlaufen und für Breite im letzten Spielfelddrittel sorgen kann.

Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass van Marwijk seine Mannschaft verändern wird und eine offensivere Spielweise einführt. Das 4-3-3 mit Arjen Robben links und Kuyt auf rechts scheint die realistische Variante. Wenig verwunderlich und gleichzeitig sehr passend, dass Robben vor dem defensiveren Außenverteidiger spielt, der laufstarke Kuyt jedoch vor dem etwas offensiveren Rechtsverteidiger. Inwieweit van Marwijks pragmatische Mannschaft ihren Teilerfolg von 2010 wiederholen kann, bleibt fraglich.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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