Die Ukraine vollbrachte gestern Abend das Märchen, das den Polen verwehrt blieb: Mit einem 2:1 gegen Schweden sicherte sich das Team von Oleg Blochin... Schweden mit schwachem Spielaufbau, Ukraine eigeninitiativ und konsequent: Verdienter 2:1-Sieg zum Auftakt für den Gastgeber!

Die Ukraine vollbrachte gestern Abend das Märchen, das den Polen verwehrt blieb: Mit einem 2:1 gegen Schweden sicherte sich das Team von Oleg Blochin bereits im Auftaktspiel die ersten drei Punkte und stieß damit die Türe zu einem möglichen Viertelfinaleinzug ein Stück weit auf – auch weil die anderen Gruppengegner, Frankreich und England, nicht auf der ganzen Linie überzeugen konnten.

Das Spiel in Kiev war zwar spannend, aber keineswegs hochklassig. Die zu erwartende hohe Motivation der Ukrainer machte speziell die zweite Halbzeit interessant. Nach dem Gegentreffer durch Ibrahimovic fing sich das Team rund um den alternden Star Andriy Shevchenko schnell und erarbeitete sich zwei Tore. Die Ukraine profitierte von der kämpferischen Leistung jedes einzelnen Akteurs und einer durchaus sicheren Abwehr, in der vor allem Yevgen Khacheridi eine ausgezeichnete Defensivleistung ablieferte.

Ukraine unerwartet flexibel

Das System der Ukraine war kein echtes 4-4-2, wie es von den Fernsehanstalten verkauft wurde: Voronin spielte zurückgezogen, Tymoshchuk und Nazarenko spielten in der Mittelfeldzentrale leicht versetzt (Tymoshchuk defensiver). Hinzu kam ein hohes Maß an Asymmetrie an den Flügeln, was die Ukrainer trotz ihrer technischen Unzulänglichkeiten stets schwer berechenbar machte. Dass Konoplyanka und Yarmolenko großes Potential haben ist hinlänglich bekannt, aber das Salz in der Suppe war das Verhalten ihrer defensiveren Mitspieler Gusev und Selin.

Selin als Rückendeckung für Konoplyanka

Auf der linken Seite spielte Yevgen Selin hinter Yevgen Konoplyanka. Selin ist vor allem ein schneller Außenverteidiger, der defensiv zumacht und eine gute Rückendeckung für einen in der Defensive unfertigen Spieler wie Konoplyanka abgibt. Letzterer war mit fünf Torabschlüssen der Spieler, der am Häufigsten aufs Tor schoss. Seine Ballsicherheit machte ihn für die Schweden schwer kontrollierbar, auch wenn bekannt ist, dass er lieber zur Mitte zieht, als den Weg zur Grundlinie zu suchen. Selin stand eher tief und bot sich als Anspielstation für Konoplyanka und seine anderen direkten Nebenspieler an. Das Resultat waren interessante Werte: Kein Spieler auf dem Platz spielte mehr Pässe als Selin (60). Seine Passgenauigkeit war mit 70% für einen Außenverteidiger durchschnittlich.

Gusev als Offensivpartner für Yarmolenko

Da es die Schweden viel zu oft durch die Mitte probierten, waren die Flügelspieler der Ukraine defensiv nicht sonderlich gefordert. Man machte die Mitte zu, stand nah am Mann, ließ wenig zu. Und dies eröffnete der etwas facettenreicheren rechten Seite der Ukraine immer wieder Chancen auf Vorstöße. Eine zentrale Rolle nahm dabei der routinierte Oleg Gusev ein, der seinen Schwerpunkt enorm hoch anlegte und somit für Yarmolenko auch in der Offensive fast immer anspielbar war. Damit kamen die Schweden nicht zurecht und es ist kein Wunder, dass der auf der linken Seite überforderte Ola Toivonen – ein Spieler, der seine Stärken in der Offensive hat – als Erster ausgewechselt wurde. Interessantes Detail: Gusev hatte in der gesamten Partie praktisch keine Defensivzweikämpfe. Dadurch, dass er sich selbst tief in der gegnerischen Hälfte platzierte und eine selbstbewusste Partie ablieferte, zog er die Schweden automatisch mit.

Schwedens Flügel schwach

Bei den Schweden ging demnach auf der linken Seite nur etwas, wenn sich Martin Olsson ein Herz nahm und eine Einzelaktion startete. Toivonen blieb ebenso farblos wie sein Teamkollege auf der rechten Seite, Sebastian Larsson. Dieser bekam zu wenig Unterstützung, weil sein Kollege in der Außenverteidigung, Mikael Lustig, alle Hände mit Yevgen Konoplyanka zu tun hatte. Dass mit Rasmus Elm ein defensiv ausgerichteter Ballverteiler ebenfalls nie im Spiel Fuß fassen konnte, passt ins Bild. Am Ende waren bei den Schweden zu viele der wichtigen Individualisten hinter Superstar Zlatan Ibrahimovic mit der aggressiven und taktisch zwingenden Spielweise der Ukraine überfordert. Man reagierte auf das, was der EM-Gastgeber tat, nahm aber zu selten selbst das Heft in die Hand.

Schwedischer Spielaufbau zu tief

Die Probleme der Schweden begannen bereits im Spielaufbau. In der zweiten Halbzeit konnte man mehrmals Situationen beobachten, in denen sich Kim Källström von den Innenverteidigern Granqvist und Mellberg den Ball holte und versuchte diesen nach vorne zu treiben. Zu diesem Zweck ließ sich Källström immer wieder weit zurückfallen. Die bessere Variante wäre jedoch die gewesen, dass Källström sich diese Bälle nicht geholt hätte und stattdessen die Verteidiger der Schweden geschlossen 5 bis 10 Meter aufgerückt wären.

Ukraine macht die Räume eng, Schweden zu breit

Dadurch, dass Granqvist und Mellberg das Spiel allgemein tief in der eigenen Hälfte aufbauten, waren die Abstände im Mittelfeld zu groß und die Wege, die schwedische Pässe zurücklegen mussten, waren zu lang und gegen eng stehende Ukrainer zu kompliziert. Der ebenfalls sehr schwache Markus Rosenberg ist zudem als Stürmer bekannt, der nicht viel in der Defensive antizipiert. Das Resultat: Die Innenverteidiger klebten im Spielaufbau in der eigenen Hälfte fest (einige nicht spielaufbaubezogene Vorstöße von Mellberg ausgenommen) und die Solospitze kam nur selten entgegen. In einem Raum von gut 55 x 50 Metern bewegten sich nun einige wenige Schweden und die Ukraine machte diese weiten Räume mit wesentlich mehr defensiv aktiven Spielern ohne Probleme dicht. Die Grafik zeigt eine typische Spielaufbausituation aus der Abwehr der Schweden: Die Abstände sind groß, die Ukrainer stellen die Zentralachse zu und stehen mannschaftlich geschlossen kompakt. Die Passivität von Larsson und Toivonen fällt dabei ebenso negativ ins Gewicht wie die nicht vorhandene Antizipation Rosenbergs.

Dumme Fehler vor den Gegentoren

Hinzu kamen weitere dumme Fehler, die den Ukrainern Tore ermöglichten. Vor dem 1:1 war die gesamte schwedische Abwehr im Kopf langsamer als Shevchenko, vor dem 2:1 durch denselben Spieler vernachlässigte Ibrahimovic seine Defensivaufgaben und Mikael Lustig bewegte sich vom kurzen Pfosten weg, wodurch der Ball zwischen ihm und dem Pfosten ins Tor fliegen konnte.

Schweden fußballerisch besser, Ukraine initiativer

Schweden hat wohl trotzdem mehr individuelle Klasse als die Ukraine, schon alleine wegen der starken Technik ihres Schlüsselspielers Zlatan Ibrahimovic. Aber die Ukraine machte aus ihren Möglichkeiten sehr viel und zwang dem Gegner durch Konsequenz, ein bisschen Härte und vor allem Eigeninitiative in sämtlichen Mannschaftsteilen, eine unangenehme Partie auf. Ob dies auch gegen dominantere Mannschaften wie England oder Frankreich möglich sein wird, ist fraglich. Schweden muss jedenfalls komplett umdenken – auch was einige Personalien betrifft (Rosenberg als Solospitze, Toivonen auf links, der offenbar überspielte Larsson auf rechts).

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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