Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (8) – Weststadion, Wien-Hütteldorf (KW 19)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografien – im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Gedanken machen wir uns dabei über Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat. Heute erinnern wir an den 10. Mai 1977 und die Eröffnung des Wiener Weststadions.

37 Jahre Westwind

Dort, wo Rapid Wien kickt, wuchsen einst Salathappeln und anderes Grünzeug: Auf dem Gelände des heutigen Allianzstadions bzw. des früheren Gerhard-Hanappi-Stadions (vormals Weststadion) zwischen Linzer Straße und Keißlergasse baute eine Großgärtnerei Gemüse an. Die Grün-Weißen spielten zunächst 66 Jahre lang auf der legendären Pfarrwiese, ehe die Stadt Wien ankündigte, dort eine Stelzenautobahn errichten zu wollen. Die Anrainer wehrten sich aber erfolgreich gegen dieses Bauvorhaben, der Rekordmeister musste trotzdem ausziehen. Wo einst Krankl Tor um Tor schoss, steht heute ein Tenniszentrum.

Nachdem die Gemeinde Wien im Juli 1969 den Beschluss zum Bau eines neuen Stadions gefasst hatte, plante Fußballpensionär und Architekt Diplomingenieur Gerhard Hanappi in seinem kleinen Büro im 13. Wiener Gemeindebezirk eine neue Heimat für die Grün-Weißen. Neben der Rapid-Kampfmannschaft sollte auch Wacker Wien dort seine Heimspiele austragen, da traf es sich gut, dass der aus Meidling stammende Hanappi seine Karriere bei den Schönbrunnern begonnen hatte.

Was viele bis heute nicht wissen: Eigentlich war der Herr Architekt von dem Bauwerk, das Rapid-Fans später ehrfurchtsvoll „Sankt Hanappi“ nennen sollten, gar nicht begeistert. Der ehemalige Mittelfeldspieler hatte nämlich nicht nur einen Fußballplatz, sondern eine Leichtathletikanlage, eine Sporthalle und Sportschule konzipiert und wollte so einen Sportkomplex, der alle Wünsche erfüllt, schaffen. Doch die Gemeinde Wien rückte die notwendige Marie nicht heraus. Hanappi brummte: „Von dem ursprünglichen Sportzentrum ist nur ein Sparstadion übergeblieben.“ Zu allem Überfluss drehten die Bauherren aus Kostengründen das Stadion um 90 Grad und ließen es aufgrund des nun deutlich spürbaren Westwindes zum „Vogelhaus“ verkommen.

Hanappi ließ sich von englischen Stadien inspirieren und ließ die ersten Sitzreihen unter das Spielfeldniveau bauen, damit das Publikum möglichst nahe am Rasen sitzen konnte. Die aus Stahlbeton errichtete Sportstätte bestand als eine der ersten ausschließlich aus Sitzplätzen, die aber nur aus Klappsesseln bestanden, um eine typische Fußballatmosphäre zu gewährleisten. Gerhard Hanappi wollte die Spielstätte modern gestalten, so war bereits zu Beginn eine Rasenheizung vorgesehen, die allerdings erst im Zuge der Renovierungsarbeiten lange nach dem Tod des Architekten eingebaut werden sollte. Anfangs fasste das Weststadion 19.975 Zuschauer, aus Umbau- und Sicherheitsgründen reduzierte sich diese Zahl jedoch um ca. 2.500.

Fast sechs Jahre nach Baubeginn stieg am 10. Mai 1977 das mäßig besuchte Eröffnungsspiel gegen den Stadtrivalen, der zu dieser Zeit mit dem Wiener AC eine Spielgemeinschaft bildete. Rapid gewann 1:0. Torschütze war Paul Pawlek (nach Krankl-Zuspiel), der über seinen Treffer selbst sagte: „Mein Tor war das Highlight einer Hundspartie“. Vorbereiter Krankl meinte nach dem Derby: „Ich habe fast schon überall in Europa gespielt […]. Ich war auch schon in Südamerika, aber es gibt nirgendwo ein besseres Stadion.“ Mit dieser Meinung war der „Goleador“ allerdings lange eher alleine. Vier Monate später wurde das Weststadion ein weiteres Mal – diesmal offiziell – mit Militärkapelle, Feuerwerk und pipapo beim UEFA-Cup-Spiel gegen Inter Bratislava eröffnet. Das Ergebnis war ebenfalls ein 1:0-Sieg Rapids.

Zum Leidwesen ihrer Fans trug anfangs auch die Austria ihre Matches ebenfalls im Wiener Westen aus. Doch auch die grün-weißen Anhänger pilgerten zunächst nicht in Scharen in das neue Stadion, denn der Stahlbetonklotz verströmte nicht den Holztribünen-Charme der so geliebten Pfarrwiese. Dazu kam, dass das Stadion wegen schwerer Baumängel schon im Oktober 1977 beinahe für die komplette Saison gesperrt wurde.

Gerhard Hanappi sollte die Reifung zum Kultstadion nicht mehr erleben. Nachdem er 51-jährig an Krebs starb, wurde sein Bauwerk nach ihm benannt. Der Knoten platzte (spätestens) am 25. Mai 1982 als im brechend vollen Stadion durch ein 5:0 gegen die SSW Innsbruck der Meisterteller geholt wurde. Seither ist das Stadion neben dem „Mythos Pfarrwiese“ für Rapidler nicht mehr wegzudenken und wird mit zahlreichen Beinamen versehen: „Sankt Hanappi“, „Kathedrale des Fußballs“, „Hanappeum“.

Anfang der 2000er begann der SK Rapid das Stadion schrittweise zu renovieren: Tribünenüberdachung, Rasenheizung, Video-Wall. Am Matchtag hieß es meistens: Ausverkauft! Doch als die Hütteldorfer 2008 ihren bisher letzten Meistertitel feierten, hatte an „Sankt Hanappi“ der Zahn der Zeit schon so genagt, dass der Alterungsprozess nicht mehr zu kaschieren war: Die Innenräume verströmten den spröden Charme der 70er-Jahre, man bekam den Schimmelbefall nicht in Griff und überhaupt war die Sportstätte – innen wie außen – zu klein für den Klub und seine hochfliegenden Träume.

Noch unter Präsident Edlinger wurde ein renommiertes Unternehmen mit der Prüfung, ob eine Sanierung oder ein Neubau kostengünstiger sei, beauftragt. 713 Heimspiele nach dem ersten Match im Weststadion lud Rapid seine Fans schließlich zu einer Riesen-Abschiedsparty ehe das Gerhard-Hanappi-Stadion dem Erdboden gleichgemacht wurde. Nur ein Flutlichtmasten wurde in das von Guido Pfaffhausen entworfene Stadion integriert. Rapid beantragte die Umbenennung des Standortes in Gerhard-Hanappi-Platz. Die Festung war Geschichte, ein neues Kapitel begann.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag