Viel Kritik wurde an Pep Guardiola in den letzten Wochen laut. Zu unflexibel und dogmatisch sei das Spiel der Bayern, so heißt es aus... Bayern München in der Krise (3) – Die weitere Ursachen für das schwache Saisonende

SpielszeneViel Kritik wurde an Pep Guardiola in den letzten Wochen laut. Zu unflexibel und dogmatisch sei das Spiel der Bayern, so heißt es aus (vermeintlichen) Expertenkreisen und den Mainstreammedien weitestgehend einheitlich. Teilweise wurde sogar schon der Ballbesitzfußball als solcher und als strategisches Konzept in Frage gestellt, ohne auf die genaue taktische Umsetzung dieses Spielstils oder die spezifischen Besonderheiten der Münchner sowie ihrer Gegner zu achten.

Darum soll in diesem dreiteiligen Artikel die Krise der Bayern genauer diskutiert werden. Im ersten Teil geht es hierbei um die grundlegende Spielweise des deutschen Rekordmeisters in Ballbesitz und die vielfältigen strategischen Anpassungen Guardiolas zur Untermauerung seiner Flexibilität. Beim zweiten Teil dreht sich das meiste um die spezifischen Ursachen für ihre jeweiligen schwächeren Partien und Teil Drei ist eine Zusammenfassung nicht-taktischer Ursachen mit einer kurzen abschließenden Betrachtung, inwiefern die Spielweise der Münchner und das diesjährige Scheitern als grundsätzliche Kritik am Ballbesitzfußball als Spielphilosophie anwendbar ist.

Ermüdung – körperlich wie geistig

Neben der schon im zweiten Teil erwähnten abgenommenen Motivation durch den feststehenden Ligagewinn ist auch eine gewisse körperliche und mentale Müdigkeit durchaus ein potenzieller Faktor gewesen; die Bayern hatten nicht nur zwei überaus lange Saisons hinter sich (zweimal im Champions-League-Finale, dazu ein großes Turnier im Sommer 2012), sondern mussten diese Saison durch die zusätzlichen Verpflichtungen im Weltpokal noch mehr Zeit, Reisen und Arbeit investieren. Im Verbund mit einem Trainerwechsel und dadurch möglichen Veränderungen im Training wurden zwar neue Reizpunkte gesetzt, die eventuell zu Saisonbeginn einen stark positiven Effekt hatten, diese jedoch vereinzelt womöglich auch ins Gegenteil gingen.

Außerdem ist es nur logisch, dass man nach zwei Jahren auf höchstem Niveau mit einer beeindruckenden Konstanz in der kollektiven und individuellen Leistungsstärke und einem fast durchgehenden Formhoch irgendwann ein wenig einbrechen und nachgeben würde.  Mangelnde Konzentration und Bewegungsfreude in engen Situationen führt dann letztlich auch zu geringerer Erfolgsstabilität und schwächerer Intensität, was auf höchstem Niveau bestraft wird. Jedoch muss auch bedacht werden, dass diese Ermüdung – insbesondere die physische – einen Hintergrund hat, der den Verantwortlichen kaum vorzuwerfen ist.

Verletzungen… und die Angst vor weiteren Ausfällen

In dieser Saison blieben die Münchner nicht von Verletzungen verschont. Mario Götze verpasste Sommervorbereitung und Saisonbeginn, Franck Ribéry und Arjen Robben verletzten sich jeweils in Bestform für mehrere Wochen, Thiago Alcantara und Bastian Schweinsteiger fielen beide gleich zwei Mal für längere Zeit aus und dazu gesellten sich Ausfälle von Martinez, Shaqiri und kleinere Verletzungen weiterer Spieler. An sich ist das kein wirkliches Problem: Eine Mannschaft mit diesem Kader und diesem Budget muss so etwas ausgleichen können. Dennoch ist es ein Nachteil, insbesondere wenn es Schlüsselspieler sind, die bei wichtigen Spielen ausfallen oder ohne die nötige Fitness auflaufen müssen, wie es bei Ribéry der Fall war – was dann eher kontraproduktiv wirkt.

Noch fataler ist jedoch die Auswirkung auf das Training in englischen Wochen in der titelentscheidenden Phase. Aus Angst vor neuen Verletzungen und Ausfällen wird logischerweise die Intensität im Training heruntergefahren; die Bayern hatten zum Beispiel in der Phase vom ersten United-Spiel bis zum Rückspiel gegen Madrid nur zwei Tage, wo sie normal trainierten, ansonsten gab es ausschließlich freie Tage oder Regenerationseinheiten im Abschlusstraining, die sich mit Spielen und Reisen abwechselten. Durch die weniger intensive Zeit im Training und natürlich generell die geringere Trainingsdauer werden die gruppentaktischen Abläufe aber unpräzise; beim Ballbesitzfußball ist dies noch extremer der Fall.

Ballbesitz und Offensivgruppentaktik als besondere Störfälle

Jürgen Klopp sprach einst davon, dass im Hochleistungsfußball die gruppentaktischen Abläufe mehrmals in der Woche wiederholt sein müssten, damit das Timing und die Mechanismen harmonisch und somit stabil ausgeführt werden. Die defensive Gruppentaktik ist hierbei sogar etwas stabiler und das Training ist als nachhaltiger zu bewerten, da man in der Defensive verstärkt die gleichen Abläufe abrufen kann. Spielt eine Mannschaft konstant mit Manndeckung, wird sie es meistens Woche für Woche tun; ebenso bei einem 4-4-2 oder bei speziellen Mechanismen in einer bestimmten Situation.

Bei einer Mannschaft, die über 70% der Zeit den Ball in den eigenen Reihen hat und sich über die offensiven Abläufe definiert, sieht es anders aus. Man kann dem Gegner zwar die defensiven Abläufe „aufzwingen“, bei der Offensive wird dies jedoch schwierig. Eine Mannschaft, welche die gesamte Spielzeit nur von einer Seite aus dem Halbfeld zum Elferpunkt flankt, wird selten zum Erfolg kommen; weniger extrem gesprochen geht es aber nicht nur um Flexibilität und Anpassung an die Spielsituationen sowie die Defensivmechanismen des Gegners, sondern auch um das passende Freilaufen in bestimmten Situationen.

Bei den Bayern fehlte es in dieser kritischen Phase beispielsweise an den aufrückenden Bewegungen nach direkten Ablagen im zentralen Raum. Zu groß war die Angst, dass man aufrückt und der Mitspieler nicht wieder zurückspielt, was dann defensive Instabilität bei einem Ballverlust bedeuten würde. Teilweise lag es aber auch wirklich nur am Timing, wo dann ein Spieler aufrückte, aber den Ball nicht ordentlich oder im falschen Moment wiederbekam und Angriffe dadurch versandeten. Diese Probleme als Konsequenz von Verletzungsangst im Training dürfen ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden. Ebenso nicht, wie der Zufall manchmal Leistungen verschleiert.

Statistische Regression?

Dieser Aspekt soll nur kurz angeschnitten werden, da er schwierig nachzuweisen ist und „Glück“ beziehungsweise „Pech“ nur bedingt als Argumente taugen. Dennoch sollte man sich hinterfragen, ob die Bayern in ihrer schwächsten Phase wirklich so konstant schwach und unterlegen waren, wie es die Medien darstellen und ob sie in ihrer besten Phase wirklich zurecht als „beste Mannschaft aller Zeiten“ betitelt wurden; beide Extreme waren genau das – extrem.

Ein Indiz für diese Meinung findet sich in der Statistik. Auf dieser Seite findet man die „expected-goals“-Werte der Bayern – zur Erklärung dieses statistischen Konzepts findet sich übrigens hier ein Artikel von Alexander Semeliker. Somit hätten die Bayern in dieser Saison eigentlich nur 82 Tore erzielen dürfen und hätten 35 Gegentreffer erhalten sollen.

Mit 94 erzielten und 23 erhaltenen Toren sind sie allerdings deutlich besser als diese Vorhersage, nämlich um 24 Treffer. Mit 76:37 expected goals (Differenz von nur fünf Toren zu den Realwerten) beim BVB, 58:49 (Differenz von zehn Toren) beim FC Schalke 04, 56:45 (Differenz von acht Toren) bei Leverkusen und 61:54 (Differenz von sechs Toren)  ist der Unterschied bei den Verfolgern deutlich geringer. Ob die Bayern zu Saisonende nur Opfer des Zufalls waren?

Fazit

Ich denke, innerhalb dieses Dreiteilers konnte ich einigermaßen verständlich darlegen, dass es in meinen Augen nicht nur grundsätzliche Probleme des Ballbesitzfußballs gegen ein tiefes Pressing sowie mangelnder Kampf  waren, welche in dem eher kritisch zu sehenden Saisonaus der Münchner endeten. Viel eher dürfte es sich um eine Mischung aus vielen ungünstigen externen Faktoren, starken Gegnern sowie einzelnen Problemen bei der Qualität und in der Umsetzung gewesen gehandelt haben. Die Bayern besitzen die womöglich beste Mannschaft der Welt, doch in diesen speziellen Spielen konnten sie das wegen vielerlei Gründen nicht zeigen; ob Thiagos Verletzung, die abgenommene Trainingsintensität oder zuvor noch nicht gesehene Probleme in der Ballzirkulation gegen hochspezialisierte Gegner – all das spielte eine Rolle und sollte in der Nachbetrachtung nicht unterschlagen werden. Somit ist keine fundamentale Kritik am Ballbesitzfußball möglich, da dieser in seiner Anlage und in seiner Umsetzung so enorm variabel ist, dass kein einzelnes Team als Symbol für seinen Untergang stehen kann. Nicht der Ballbesitz oder Guardiolas Spielphilosophie verloren gegen Real Madrid, sondern Bayern München; das wird häufig vergessen.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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