Deutschland scheitert zum ersten Mal bei einer Weltmeisterschaft in der Vorrunde. Wie kam es dazu – und wie geht es mit Bundestrainer Joachim Löw... Deutschlands Vorrunden-Aus: „Ein ganz, ganz, ganz bitterer Abend“

Deutschland scheitert zum ersten Mal bei einer Weltmeisterschaft in der Vorrunde. Wie kam es dazu – und wie geht es mit Bundestrainer Joachim Löw weiter?

„Aus, Aus, das Spiel ist aus!“ jubilierte Radiokommentator Herbert Zimmermann 1954, als die deutsche Mannschaft in Bern gegen Ungarn Weltmeister wurde. Dieser Tag stellte eine Premiere in der Geschichte des deutschen Fußballs da – der erste Titel bei einer WM. 64 Jahre später, am 27. Juni 2018 erlebt der deutsche Fußball im russischen Kasan eine erneute Premiere – Deutschland scheidet zum ersten Mal in der Vorrunde einer Weltmeisterschaft aus. Ein 0:2 gegen Süd-Korea besiegelte das historische Scheitern. Mats Hummels sprach nach dem Spiel von einem „ganz, ganz, ganz bitteren Abend“ – nicht ein einziges „ganz“ zu wenig.

Nun werden sicherlich einige der sogenannten Experten aus dem Schatten ins Licht treten und behaupten: „Wir haben es schon vorher gewusst!“ – eine typisch deutsche Eigenschaft, dieses im Nachhinein vorher gewusst haben. Dass die Testspiele gegen Österreich (1:2) sowie gegen Saudi-Arabien (2:1) nicht wirklich berauschend waren und einige Probleme offenbarten, konnte das deutsche Selbstbewusstsein zunächst nicht erschüttern; die Überzeugung, beim Turnierstart dann doch irgendwie bei 100 Prozent zu sein, war groß. Zumindest strahlte dies ein tiefenentspannter Bundestrainer Joachim Löw zu jedem Zeitpunkt aus. Man war geneigt, ihm zu glauben.

Doch dann kam das Spiel gegen Mexiko. Und alle Probleme aus den Testspielen schienen die deutsche Mannschaft auch zum WM-Auftakt zu verfolgen: eine unerklärlich lasche Einstellung, die Anfälligkeit bei Kontern sowie ein statisches Spiel im letzten Angriffsdrittel. Deutschland verlor verdient mit 0:1.

Plötzlich war Druck da. Die DFB-Elf musste die zwei verbleibenden Spiele gegen Schweden und Süd-Korea unbedingt gewinnen. Die deutsche Presse verbreitete bereits Untergangsstimmung. Fast hatten die Gazetten zunächst sogar recht behalten: Deutschland lag zur Halbzeit mit 0:1 hinten, schaffte dann zwar den Ausgleich, musste in der Schlussphase aber den Platzverweis von Jerome Boateng hinnehmen. Wenige Sekunden vor dem Ende war Deutschland bereits nach dem zweiten Spiel so gut wie ausgeschieden – bis Toni Kroos einen Freistoß in die Maschen des schwedischen Tors zirkelte. 2:1. Der deutsche Patient, er atmete noch.

Ein Sieg gegen Süd-Korea hätte nun gereicht. Mit dem Rückenwind aus dem Schweden-Spiel, bei dem sich am Ende zwei deutsche Funktionäre als ganz schlechte Gewinner präsentierten, sollte das doch kein Problem sein. Immerhin hatte der kommende Gegner bislang nicht gerade Angst und Schrecken bei dieser WM verbreitet, stand mit null Punkten aus zwei Spielen am Ende der Gruppe F.

Am Anfang des Spiels war Deutschland sichtlich bemüht, stabil zu stehen. Bloß keine Leichtsinnsfehler begehen, wie in den Spielen zuvor. Toni Kroos und der immer wieder unverhältnismäßig kritisierte Mesut Özil versuchten die Offensivbemühungen zu strukturieren. Es blieb zumeist bei dem Versuch – bis auf zwei gute Chancen durch Leon Goretzka und Timo Werner strahlte der Angriff wenig Gefahr aus.

Und zu allem Überfluss ging Schweden im Parallelspiel überraschend gegen Mexiko in Führung. Bei Unentschieden wäre Deutschland nun ausgeschieden. Allein, die gebotene Dringlichkeit schien in den Köpfen der Spieler nicht anzukommen. 0:0 ging die Partie dann nicht aus – Deutschland verlor gegen eine biedere Mannschaft mit 0:2, war damit tatsächlich bereits in der Gruppenphase ausgeschieden. Auch der in der Nachspielzeit wild stürmende Torhüter Manuel Neuer konnte daran nichts mehr ändern.

Apropos Neuer. In der Vorbereitungsphase zum WM-Turnier in Russland schien es nur zwei Themen im deutschen Lager zu geben: Wird der Goalie rechtzeitig fit? Und: Sind Mesut Özil und Ilkay Gündogan überhaupt richtige Deutsche? Ein Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan – zugegeben: keine besonders clevere Idee – hatte diese Frage aufgeworfen. Neuer wurde wie wir nun alle wissen rechtzeitig fit, spielte ein gutes Turnier.

Die andere Geschichte schien schwerer zu wiegen. Pfiffe gegen Özil und Gündogan begleiteten die Testspiele. Vor allem Letzterer zeigte sich davon beeindruckt. Die negative Stimmung rund um das Team wuchs. Das Sportliche stand plötzlich nicht mehr im Vordergrund.

Aber seien wir ehrlich: Allein der politische Fehltritt zweier Spieler legt noch keine gesamte Mannschaft lahm. Und lahm und behäbig wirkte das deutsche Team zu fast jedem Zeitpunkt der drei Spiele. Vor der WM sprach man noch von dem vielleicht besten deutschen Kader aller Zeiten. Auf den Platz bringen konnte die Mannschaft und das Trainerteam das unbestreitbare Potenzial nicht.

Dafür könnte man nun einige Gründe anführen. Während der Auftritte war eine gewisse Sattheit der Spieler zu spüren. Ein Phänomen, das sicher auch zum vorzeitigen Aus der beiden letzten Titelverteidiger, Italien und Spanien, seinen Teil beitrug. Der letzte Wille, den Titel nochmals zu gewinnen schien zu fehlen. Auch eine gewisse Überheblichkeit hatte sich nach Aussagen von Löw breit gemacht, gegen die er offensichtlich nicht anzusteuern vermochte. Der Bundestrainer sagte sinngemäß, es hätte sich eine Mentalität breit gemacht, die suggerierte: „Wir sind Deutschland, wir schaffen das sowieso.“

Verdiente Weltmeister wie Thomas Müller oder Sami Khedira scheinen über den Zenit hinaus. Die Neulinge im Kader konnten keine neuen Impulse geben. Bei anderen, wie Julian Draxler stagniert die Entwicklung seit Jahren. Aber nur einzelne Spieler herauszugreifen wäre unfair – jeder hat seinen Teil zum blamablen Aus in der Vorrunde beigetragen.

Auch Jogi Löw. Der steht nun vor einer schwierigen Entscheidung: Tritt er nach diesem Tiefschlag zurück – oder will er den sich abzeichnenden Umbruch moderieren? Für beide Szenarien gibt es gute Argumente. Für einen Einzug in das Achtelfinale jedoch nicht.

Ral, abseits.at

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