Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (35) – Legende ohne Glanz  (KW 46)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografie im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Zum Anlass nehmen wir hierbei Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat: Heute nehmen wir einen 2:1-Sieg Deutschlands über Brasilien zum Anlass um über Lothar Matthäus zu reden…

150 Mal mit dem Adler auf der Brust

November-Länderspiele finden meist unter widrigen Bedingungen statt und haben nur geringen sportlichen Aussagewert, doch für Lothar Matthäus war das Spiel gegen Brasilien am 17. November 1993 ein entscheidendes Ereignis: Mit seinem 104. Teameinsatz löste er „Kaiser“ Franz Beckenbauer als Rekord-Nationalspieler des DFB ab. Insgesamt sollten nach 20 Jahren (!) A‑Team‑Karriere und fünf gespielten WM-Turnieren 150 Einsätze für die deutsche Nationalmannschaft zu Buche stehen.

Trotz seines bis heute anhaltenden Rekordes, gibt es wohl kaum einen Ex-Kicker dessen sportliche Leistungen regelmäßig ins Hintertreffen geraten, denn der Mensch und Experte genießt einen zweifelhaften Ruf. Kurz gesagt: Man nimmt Matthäus nicht wirklich ernst. Bezüglich seiner Ambitionen als Übungsleiter brachte der damalige Rapid-Torhüter Ladi Maier die Kugel (buchstäblich) ins Rollen: „Als Spieler ist Matthäus fantastisch gewesen, aber gäbe es nur den Trainer Matthäus, würde ich sagen, dass ich keinen größeren Tölpel gesehen habe.“ Tatsächlich hielt der Ex-Libero nirgendwo länger als rund ein Jahr durch, seit seinem Aus als bulgarischer Nationaltrainer 2011 arbeitet der gebürtige Franke vorwiegend als Kolumnist und TV-Experte. Lothar Matthäus gilt als A-Promi und nicht als Ex‑Weltkicker.

Seine Karriere startete der aus einer Arbeiterfamilie Stammende bei seinem Heimatverein, dem 1. FC Herzogenaurach. Seine Eltern waren bei einem der beiden dort ansässigen Sportartikelhersteller beschäftigt und die Kontakte seines Vaters spielten beim Wechsel des 18‑jährigen zu Borussia Mönchengladbach eine entscheidende Rolle. Dort erlebte Matthäus seinen Durchbruch und wurde Nationalspieler. 1984 wechselte er für 2,4 Millionen DM-Ablöse zum großen FC Bayern München. Der Antreiber und Leader führte die Roten zu drei Titeln ehe mit der Verpflichtung bei Inter Mailand ein weiterer Meilenstein folgte. Das Jahr 1990 bildeten den Höhepunkt seiner Karriere: Der Mittelfeldregisseur holte mit der DFB-Elf den Weltmeistertitel und wurde zu Deutschlands Fußballer des Jahres, Europas Fußballer des Jahres, (inoffizieller) Weltfußballer und Weltsportler des Jahres gewählt. Ab 1992 folgte ein weiteres Engagement beim bayerischen FC Hollywood, vier Meistertitel später ließ Lothar seine Laufbahn bei den MetroStars in der Major League Soccer ausklingen. Kurz vor seinem 40. Geburtstag beendet der deutsche Rekord-Nationalspieler seine Karriere. Was machte ihn als Spieler aus?

Der junge Lothar Matthäus überzeugte mit seinen technischen Fähigkeiten und seiner Schnelligkeit. Bei den Fohlen debütierte er als eine Art Achter. Seine Robustheit und die dadurch bedingte Fähigkeit den Ball lange zu halten, führten aber dazu, dass er sich immer mehr zum Ballverteiler mauserte. Matthäus hervorstechendste Eigenschaft war jedoch seine Qualität als Antreiber: Der nur 1,74 Meter große Fußballer übernahm gerne Verantwortung und konnte nicht verlieren – unvergessen sein Ausraster als er sich über die Leistung eines Schiedsrichters beschwerte: „Das ist Arbeit, wo man leistet!“. Ja, Matthäus verstand etwas von Arbeit und Leistung: Schon in Gladbach schoss er vermehrt Standards und lieferte wichtige Pässe und Flanken. Bei den Bayern kontrollierte der gelernte Raumausstatter die Zentrale, glänzte mit punktgenauen Vorlagen und garnierte seine Leistung mit Geistesblitzen wie etwa dem 50-Meter-Solo im Länderspiel gegen Jugoslawien. Nach einem Kreuzbandriss 1992 rückte der Weltfußballer auf die Libero-Position zurück um sich kraftraubende Läufe und Sprints zu ersparen, trotzdem blieb er nach wie vor eine Leitfigur im Spiel des deutschen Rekordmeisters.

Nicht nur seiner Statistik folgend muss Matthäus als einer der größten deutschen Fußballer gelten. Diego Maradona bezeichnete ihn während seiner Zeit in Neapel als den besten Gegenspieler, den er je hatte. Aber Matthäus sorgte schon während seiner aktiven Zeit dafür, dass er an Glanz einbüßte: So hagelte es negative Schlagzeilen, als er beispielsweise Interna in einer Zeitungskolumne ausplauderte. Auch Zwisten mit Gegen- und Mitspielern oder Reportern war der Ex-Profi nie abgeneigt. Heute wird er vielfach nur mit seinen wechselnden Ehefrauen, seinem Temperament und unglücklichen Trainerstationen in Verbindung gebracht. Schade!

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag