Der Himmel über dem Norden Londons trübt sich zunehmend ein und die Sorgenfalten von Daniel Levy werden wohl die nächsten Wochen noch größer werden.... Tottenham vor Umbruch?

Der Himmel über dem Norden Londons trübt sich zunehmend ein und die Sorgenfalten von Daniel Levy werden wohl die nächsten Wochen noch größer werden. Es läuft einfach nicht bei Tottenham, weder sportlich noch personell. Einem Traditionsclub, der über eines der modernsten Stadien und Trainingsgelände in Europa verfügt, beheimatet im fußballbegeisterten Norden Londons, steht ein großer Umbruch bevor. Es rumort gewaltig bei den Spurs – warum der Club dieses Jahr nicht in die Gänge kommt und was das Nichterreichen der Champions League bedeuten könnte – eine Analyse.

Ryan Mason nach 1:6-Schlappe gegen Newcastle United bereits Trainer Nummer 3 in dieser Saison

Im März trennte sich Tottenham von Antonio Conte. Eine Trennung, die sich über mehrere Monate hinweg abgezeichnet hatte. Der Italiener war unzufrieden, forderte Verstärkungen, die ihm Daniel Levy nicht zukommen ließ und wollte schlussendlich seinen Vertrag nicht verlängern. Fanden die Diskussionen zunächst noch hinter verschlossenen Türen statt, wurden sie zum Schluss medial ausgetragen und Conte musste schlussendlich nach 16 Monaten seinen Hut nehmen – die Trennung erfolgte im Einvernehmen. Was aber bleibt, ist verbrannte Erde. Sein Assistent Christian Stellini sollte bis Saisonende übernehmen. Nach nur knapp zwei Monaten und wenigen Spielen war mit der 1:6 Klatsche mit 5 Gegentoren in den ersten 21 Minuten gegen Newcastle United das Aus des Italieners aber ebenso besiegelt und das Chaos perfekt. Mit Ryan Mason übernahm Trainer Nummer 3 den Traditionsklub. Wer auf einen Trainereffekt hoffte, sieht sich nun enttäuscht. Ein 2:2 gegen Manchester United und eine 3:4 Niederlage gegen den FC Liverpool sind im Kampf um die Champions League einfach zu wenig. Daran ändert auch der knappe 1:0 Erfolg gegen Crystal Palace nichts, denn von den letzten zehn Spielen konnten nur drei gewonnen werden. Es fehlt auf Grund der Trainerwechsel an einer klaren Spielidee und an Konstanz.

Viele Kandidaten, viele Absagen – will keiner die Spurs trainieren?

Es schien zu perfekt: Von Hoffenheim nach Leipzig, weiter nach München und dann nach London zu Tottenham in die stärkste Fußball-Profiliga der Welt. Es wäre alles angerichtet gewesen und Tottenham wollte Nagelsmann unbedingt als Conte-Nachfolger. Der Deutsche sprach sich jedoch gegen einen sofortigen Wechsel zu Tottenham aus, er wolle seinen Abschied aus München erst einmal überdenken. Nagelsmann schloss dezidiert nur den sofortigen Wechsel aus, was die Tür für ein Engagement ab Sommer aber weiterhin offen lässt. Ohne Champions League darf ein Engagement von Nagelsmann jedoch stark bezweifelt werden. Neueren Informationen zufolge soll auch die Vakanz auf der Position des Sportdirektors ein Problem für Nagelsmann darstellen.

Sowohl bei Tottenham als auch beim FC Chelsea hoch im Kurs gestanden ist der ehemalige ManCity Verteidiger Vincent Kompany. Kompany, der den FC Burnley nicht nur zum Meistertitel in der zweiten englischen Liga geführt, sondern die Spielweise des Clubs völlig transformiert hatte, soll sich dem Vernehmen nach für einen Verbleib im Turf Moor entschieden haben.

Ein weiterer Kandidat, nämlich Oliver Glasner, hat erst kürzlich vermeldet, dass er davon ausgehe auch nächste Saison bei Eintracht Frankfurt auf der Bank zu sitzen, obwohl bereits über erste Kontakte zum Klub aus London berichtet wurde.

Fans und auch Spieler würden Medienberichten zufolge eine Rückkehr von Ex-Trainer Mauricio Pochettino befürworten. Der von Juli 2014 bis November 2019 für die Spurs tätige und aktuell vereinslose Argentinier genießt in London nach wie vor große Anerkennung, denn unter seiner Regentschaft zeigte das Team aus Tottenham begeisternden Offensivfußball und schaffte 2019 den Einzug ins Champions League Finale. Daniel Levy scheint dem Vernehmen nach jedoch skeptisch an einer Neuauflage der Zusammenarbeit zu sein, obwohl er erst 2022 davon gesprochen hatte, dass Pochettino in London immer willkommen sei. Das Problem an einer Rückkehr könnte aber nicht nur Daniel Levy sein, sondern auch Pochettino selbst. Der Argentinier entschied sich 2018 für einen Verbleib bei Tottenham und gegen die Nachfolge von Zinedine Zidane in Madrid, steht aber derzeit wieder ganz oben auf der Wunschliste der Madrilenen für eine mögliche Nachfolge des zuletzt stark in die Kritik geratenen Carlo Ancelotti. Erst diese Woche traten zudem Gerüchte auf, dass sich Pochettino in fortgeschrittenen Verhandlungen mit dem FC Chelsea befinden soll.

Brendan Rodgers bringt aus seiner Zeit beim FC Liverpool, Celtic Glasgow und Leicester City zwar Erfolge und Erfahrung mit, dürfte aber auf Grund seiner eher defensiven Spielweise nicht der Liebling der Fans sein.

Dass Graham Potter nach seiner desaströsen Saison beim FC Chelsea ein hohes Standing bei Tottenham-Chairman Daniel Levy genießt, darf ebenso bezweifelt werden. Den Fans nach den Defensivstrategen José Mourinho und Antonio Conte wieder einen defensiv orientierten Trainer vorzusetzen, scheint ausgeschlossen und ein Engagement von Potter bei den Spurs ebenso unwahrscheinlich wie von Rodgers.

Dass der zuletzt in die Kritik geratene Coach der Squadra Azzura ,Roberto Mancini, und der Ex-Trainer der Furia Roja, Luis Enrique, in Norden von London anheuern, gilt ohne eine Qualifikation für die Champions League als eher unwahrscheinlich. Beide Trainer sind dem Vernehmen nach zudem auch bei PSG und dem FC Chelsea im Gespräch, weswegen auch basierend darauf Tottenham wohl nur zweite Wahl wäre.

Michael Carrick war bereits 2004 – 2006 als Spieler für Tottenham aktiv, ehe er zu Manchester United wechselte, und galt als einer der Publikumslieblinge. Nach mehreren Jahren als Assistent von José Mourinho und Ole Gunnar Solskjaer und einem kurzen Intermezzo als Interimstrainer von Manchester United, in dem er in drei Spielen ungeschlagen blieb und zwei davon gewinnen konnte, betreut Carrick seit Oktober 2022 Zweitligist FC Middlesbrough. In 29 Spielen stehen 18 Siege, 3 Unentschieden und 8 Niederlagen zu Buche sowie Tabellenplatz 4. Ein Platz im Playoff um den Aufstieg in die Premier League ist sicher. Was für Carrick spricht, ist, dass er den Club kennt und den FC Middlesbrough wieder in die richtige Spur gebracht hat. Was gegen ihn spricht, ist seine mangelnde Erfahrung als Trainer im Fußballoberhaus und eine Aussage von Daniel Levy, dass er gerne einen ausländischen Trainer verpflichten würde. Ob Michael Carrick überhaupt Interesse an einer Rückkehr sei dahingestellt.

Es wird also vom Erreichen der Champions League abhängen, ob im Sommer ein Topmann in London anheuern wird.

Sportdirektor Fabio Paratici legte nach FIFA-Sperre sein Amt nieder

Und als wären die Probleme auf der Trainerbank nicht schon groß genug, setze es im April den nächsten Tiefschlag. Fabio Paratici wurde von der FIFA für 30 Monate gesperrt und hat mit sofortiger Wirkung seinen Posten als Sportdirektor niedergelegt. Die Sperre wurde mittlerweile teilweise reduziert, Paratici hat sein Amt aber nicht wieder angetreten. Wer ihm nachfolgt, ist ungewiss. Die personellen Turbulenzen nehmen also kein Ende – in Tottenham steht man bis auf Daniel Levy, der den Club schon seit vielen Jahren leitet, ohne sportliche Führung da.

Nur noch rechnerische Chancen auf die Champions League

Es herrscht dichtes Gedränge im Kampf um die Plätze 3 und 4, die zur einer Champions League Qualifikation reichen würden. Derzeit belegen Newcastle United Manchester United die letzten beiden Plätze, die die Tür zur Champions League in der nächsten Spielzeit öffnen. Platz 5 würde immerhin zur Qualifikation für die Europa League erreichen. Die direkten Konkurrenten Newcastle United, Manchester United, FC Liverpool und der FC Brighton haben allesamt weniger Spiele absolviert als die Tottenham Hotspurs und bis auf Brighton, das drei Spiele weniger absolviert hat und erst am Montag gegen den FC Everton antreten muss, bereits jetzt mehr Punkte auf dem Konto.

Im Finish muss also noch ein Zahn zugelegt werden, will man nächstes Jahr in der Königsklasse mitmischen. Ob der Einzug in die Champions League gelingt, hat große Auswirkung darauf, wer neuer Übungsleiter wird, denn es darf bezweifelt werden, dass man mit dem Ausblick auf die Europa League große Namen in den Norden Londons lotsen kann. Dass für Verstärkungen dann auch das nötige Kleingeld fehlen würde, ist ein weiterer negativer Nebeneffekt.

Mit Aston Villa, Leeds United und dem FC Brentford warten zudem noch alles andere als einfache Gegner auf die Spurs.

Verlängert Harry Kane?

Tottenham ist abhängig von Top-Scorer Harry Kane. Ohne den englischen Goalgetter ist das Team der Spurs maximal Mittelklasse., denn weder Son noch der nach seinem Wechsel von Leeds enttäuschende Richarlison können den Engländer ersetzen. Der Vertrag von Kane bei Tottenham läuft jedoch im Sommer 2024 aus. Ob er bleibt, ist mehr als ungewiss.

Sollte der Einzug in die Champions League nicht gelingen, würde ein Abschied von Harry Kane wahrscheinlicher werden. Mit Manchester United und dem FC Bayern München haben bereits zwei Top-Clubs ihr Interesse am englischen Superstar bekundet. Kolportierte 100.000.000 Euro Ablöse stehen im Raum und der Sommer 2023 wäre auch die letzte Möglichkeit für Tottenham mit einem Transfer des Superstars noch einmal richtig Geld zu verdienen. Geld, das man brauchen würde um eine konkurrenzfähige Mannschaft aufzubauen und einen Nachfolger für Kane zu finden. Ein Kandidat: Evan Ferguson vom FC Brighton, der aber auch bei zahlreichen anderen Top-Clubs gehandelt wird.

Ein Abschied von Harry Kane könnte die Trainersuche in London aber zusätzlich erschweren.

Fehlgeschlagene Transferpolitik

Seit 2020 gilt bei den Nordlondonern eher der Grundsatz Masse statt Klasse und ein Fehleinkauf jagt den nächsten.

Richarlison, Porro, Bissouma, Romero, Udogie, Spence, Danjuma, Perisic, Forster, Lenglet, Ndombéle, Gil, Royal, Bentancur, Sarr, Kulusevski, Lo Celso, Reguilón, Doherty, Höjbjerg, Rodon, Vinicius, Hart, Bale – seit dem Sommertransferfenster 2020 hat Tottenham satte 380.000.000 Euro in Neuzugänge investiert. Den Durchbruch hat mit Ausnahme von Perisic, Kulusevski und Höjbjerg aber keiner geschafft.

Baustelle Jugendarbeit

Der letzte Nachwuchsspieler, der sich bei Tottenham nachhaltig durchsetzen konnte, war: Richtig, Harry Kane. Seither kränkelt es im Jugendsystem und daran Spieler für die Profimannschaft aufzubauen.

Umbruch unausweichlich

Ob mit oder ohne Harry Kane, Tottenham muss neue Wege gehen und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.

In den letzten Jahren hat man in Tottenham auf die falschen Trainer und die falschen Spieler gesetzt. Spieler und Trainer, die nicht das geliefert haben, was man sich bei Tottenham erwartet. Eine Nachwuchsarbeit, die kaum Talente geliefert hat und ein Daniel Levy, der von Jahr zu Jahr bei den Fans mehr und mehr in die Kritik geraten ist.

Für den Club muss es nun heißen: Back to the roots, zurück zur Tradition, zum Offensivfußball und zu dem was den Club insbesondere unter Harry Redknapp so stark gemacht hat: Das Finden junger englischer Talente – ob im eigenen Nachwuchsbereich oder bei anderen Clubs -, die sich für die Tottenham Hotspurs förmlich zerreißen.

Patrick Stummer, abseits.at

Patrick Stummer