Der nostalgisch verklärte Blick auf den englischen Inselkick, zurück in eine Zeit bevor die millionenschweren Fernsehverträge Einzug hielten und so den englischen Fußball veränderten,... Tradition, Popkultur, Arbeiterklassen-Fußball: Sheffield is back!

Der nostalgisch verklärte Blick auf den englischen Inselkick, zurück in eine Zeit bevor die millionenschweren Fernsehverträge Einzug hielten und so den englischen Fußball veränderten, lässt ein paar Städte verwaist zurück. Fußballtechnisch waren zwar von jäh her schon vor allem Liverpool, Manchester und London die Kick-Hot-Spots. Doch nicht nur. Gerade in dieser angesprochenen Zeit prägen auch Städte wie Birmingham, Nottingham, Newcastle oder Leeds das fußballerische Erscheinungsbild der Insel. Eine weitere Stadt ist nach der Einführung der Premier League mehr oder weniger total von der Oberhaus-Landkarte und damit vom Radar des kontinentalen Fans verschwunden: Sheffield. Seines Zeichens, die Wiege des Fußballs…

Popkultur und Industriestadt

Die Stadt am River Sheaf mit ihren knapp 600.000 Seelen verkörpert wie kaum eine andere die britische Popkultur in Verbindung mit dem eigenwilligen Charme einer ehemals schon abgeschriebenen, industriegeprägten Arbeiterstadt. Die weltweit bedeutende Stahlstadt Nummer eins im Königreich, verlor nach Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Niedergang der Schwerindustrie immer mehr an Bedeutung. Die Arbeitsplätze bietenden Stahlwerke wurden stetig abgebaut. Bis in die 1980iger schlossen nach und nach die letzten großen Werke für immer ihre Pforten. Es regierte Frust und Tristesse, Massenarbeitslosigkeit und mangelnde Zukunftsperspektiven dominierten den Alltag.

Der für viele einzige Lichtblick im melancholischen Alltag stellte immer schon das Wochenendritual dar! Da zog es die Sheffielder – sofern sie es sich später noch leisten konnten – zuerst ins Fußballstadion und dann in eines der zahlreichen Pubs mit der dort servierten Livemusik. Mit Pulp, Joe Cocker oder The Human League hatte die Stadt damals schon berühmte Aushängeschilder. Heute sind es neben einer Vielzahl an Pub-Künstlern und -Bands wohl die Arctic Monkeys und Bring Me the Horizon.

Wirtschaftlich wurde in der Folge der Fokus nach und nach auf den Dienstleistungssektor gelegt, wodurch sich die Situation verbesserte. Die Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück, der Wohlstand zog an.

Das Duell um die Stadtherrschaft

Fußball spielte in Sheffield immer schon eine bedeutende Rolle. Das zugegebenermaßen, oftmals inflationär bemüßigte Wort „Tradition“ hat wo wenn nicht an dieser Stelle seine Berechtigung. Die Wiege des Fußballs liegt bekanntlich in der Stadt. 1857 wurde der erste Fußballverein, der FC Sheffield gegründet.

Am Rasen dominiert das Duell Wednesday gegen United das Stadtgeschehen. Nach und nach wurde die Kluft des Duos zu den Big-Playern im englischen Fußball immer größer. Die Stadt verlor den Anschluss, fiel in einen Dornröschenschlaf und fügte sich einem Schicksal mit zuletzt ähnlich fußballdeprimierten Städten wie Nottingham oder nun auch Leeds. Im schillernden London aber auch in vergleichbaren industriegeprägten Städten wie Manchester und Liverpool wird die auf der Insel exklusiv die Champions League Hymne gespielt, während die Sheffielder Klubs den sportlichen Anschluss in den unteren Ligen suchen bzw. suchten.

Auch wenn man die meiste Zeit zum Erscheinungsbild der obersten Spielklasse gehörte, so ist die städtische Titelliste nicht sehr lang und doch auch schon sehr verstaubt. United wurde 1897/98 das einzige Mal Meister, die vier FA-Cup-Titel resultieren Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Erfolgreicher ist Wednesday. An die vier Meistertitel der „Owls“ erinnern sich die Wenigsten, gefeiert wurden sie zwischen 1903 und 1930, auch die drei FA-Cups stammen aus dieser Zeit. 1990/91 wurde immerhin der League Cup gewonnen.

Das Linz Englands

Wie es in der Sportzeitung Chef-Redakteur Gerhard Weber vor einigen Wochen durchaus richtig anmerkte, kann man Sheffield irgendwie als das Linz Großbritanniens vergleichen. Eine Stahlstadt, mit einer prägenden Fußballvergangenheit, lange Zeit ein Fixpunkt auf der Oberhauslandkarte die für einige Zeit den Anschluss verloren hatte. Doch da wie dort ist nun einer der beiden großen Vereine wieder erstklassig.

Doch im Gegensatz zum LASK wird in Sheffield der Höhenflug nur schwer zu halten sein. Die Voraussetzungen sind schwierig, vom Etat und den finanziellen Möglichkeiten wird Sheffield wohl als Abstiegskandidat Nummer eins in die neue Saison gehen. Doch gerade in der fußballverrückten Stadt lechzte man zuletzt nach Oberhausfußball. So könnte die Reise in die enge, laute Bramall Lane eine unangenehme für die Pogbas, Salahs oder Agüeros werden.

Zumindest für eine Saison hat die Premier League ein kleines Stück Fußballgeschichte zurück und der Stadtrivale Wednesday eine Zusatzmotivation, auch im Hillsborough wieder Oberhausluft einkehren zu lassen. Und wenn der Aufstieg keine Initialzündung für die Stadt, sondern nur ein kurzes Strohfeuer werden wird, dann hat der leidgeprüfte Fan immer noch seine Musik im Stammpub.

Werner Sonnleitner