Es war Sonntag, der 4. Dezember 2011, gleichzeitig auch der letzte Spieltag der brasilianischen Liga. Corinthians traf zuhause auf Palmeiras. Die Gastgeber benötigten nur... Brasiliens Fußball-Philosoph Sócrates im Porträt

Es war Sonntag, der 4. Dezember 2011, gleichzeitig auch der letzte Spieltag der brasilianischen Liga. Corinthians traf zuhause auf Palmeiras. Die Gastgeber benötigten nur einen Punkt, um die Meisterschaft klarzumachen. Doch ein anderes Thema bestimmte an diesem Tag die Schlagzeilen. Einige Stunden vor Spielbeginn fand das Leben einer Fußballlegende ein trauriges Ende. In der Trauerminute vor dem Match streckten Spieler und Fans von Corinthians die rechte Faust gen Himmel und gedachten damit einem Spieler, der die Zuschauer nicht nur mit schönem Fußball verzauberte, sondern sich auch in Zeiten der Diktatur für die Gesellschaft und die Demokratie einsetzte. Das ist die Karriere von Sócrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira, besser bekannt als Dóctor Sócrates.

Die Anfänge und der erste Profiverein

Am 19. Februar 1954 erblickte das erste von sechs Kindern von Raimundo Vieira de Oliveira und Guiomar Sampaio de Souza in Belém, der Hauptstadt des Bundesstaates Pará im Nordosten Brasiliens, das Licht der Welt. Da sein Vater ein Bücherliebhaber war und zum Zeitpunkt der Geburt seines erstens Sohnes mit griechischer Philosophie auseinandersetzte, wurde der Junge auf den Namen Sócrates Brasileiro getauft. Dieser Trend setzte sich in ähnlicher Weise bei zwei Brüdern fort, man gab ihnen den Namen Sóstenes und Sófocles. Raimundo lag ein gutbezahltes Jobangebot vor, doch dafür musste er mit seiner Frau und den Kindern in das über 2.000 Kilometer weiter südliche Ribeirão Preto im Bundesstaat São Paulo ziehen. Er nahm es an, die Familie fand sich schnell zurecht und der junge Sócrates konnte den Unterricht in der besten Schule der Stadt genießen. Dort kam er zum ersten Mal mit dem Fußball in Kontakt.

Doch es waren nicht nur die Spiele mit einer Mannschaft namens Raio de Ouro, die ihn in seiner Kindheit und in seiner späteren Karriere prägten, sondern auch die politischen Veränderungen im Land. Als Sócrates zehn Jahre alt war, putschte sich das brasilianische Militär mit Unterstützung der USA an die Macht und errichtete eine nationalistische, anti-kommunistische Diktatur. Sein Vater, der viele Werke über den Kommunismus und den Sozialismus besaß, sah sich gezwungen einen Teil seiner Lektüre zu verbrennen, um sich und seine Familie vor Verhaftungen und sonstigen Repressalien zu schützen.

Nach einigen guten Auftritten für Raio de Ouro wurde Sócrates immer bekannter und er wechselte mit 16 Jahren zu Botafogo de Ribeirão Preto, wo er sich als versatiler Mittelfeldspieler behauptete. Trotz seines sportlichen Talents sah sein Vater nicht den Fußballer in ihm, sondern wollte, dass sich sein Sohn auf die Bildung konzentrierte. Magrão, wie Sócrates aufgrund seiner Größe und seiner schlanken Figur genannt wurde, interessierte sich zweifelsohne für die Medizin und Arzt zu werden war einer seiner Träume, weshalb er den Fußball anfangs noch eher als Hobby betrachtete, doch mit den Einsätzen in der ersten Mannschaft drängte sich der Fußball immer mehr in sein Leben. Als er seinen ersten Profivertrag unterschrieb, gewährte ihm Botafogo-RP einige Freiheiten für sein Medizinstudium, die ihm sehr zugute kamen, denn Sócrates war nie wirklich am Training interessiert und kam oft nur zu den Spielen.

Bereits im Nachwuchs war er der Starspieler seiner Mannschaft, aber auch für die erste Mannschaft wuchs er zu einem essenziellen Teil heran. Sein Debüt gab Sócrates im Jahre 1972 bei einem torlosen Freundschaftsspiel gegen Nacional Futebol Clube aus Uberaba, doch erst 1973 spielte er sein erstes Pflichtspiel für Botafogo-RP. Die außergewöhnlichen Leistungen in den folgenden Jahren widerspiegelten sich in individuellen Erfolgen, so wurde er von der Lokalpresse von 1974 bis 1977 jedes Jahr zu Ribeirão Preto’s Fußballer des Jahres gewählt. Des Weiteren krönte sich Magrão im Jahre 1976 mit 15 Toren zum Torschützenkönig der Staatsmeisterschaft des Bundesstaates São Paulo (portugiesisch: Campeonato Paulista), sieben dieser Treffer erzielte er in einem einzigen Spiel gegen Portuguesa Santista. Den größten Erfolg mit seinem Team feierte er ein Jahr darauf, als man die Taça Cidade do São Paulo gewann. Privat lief es für O Doutor ebenfalls erfolgreich, denn mit 23 Jahren erhielt er den Doktortitel an der Medizinischen Fakultät von Ribeirão Preto. Laut der offiziellen Vereinswebseite bestritt der brasilianische Offensivakteur 269 Spiele für Botafogo-RP, in denen er 101-mal erfolgreich einnetzte.

Magrão, was in etwa „der große Dünne“ oder „der Magere“ bedeutet, war zum einen zwar 1,92 Meter groß, trug zum anderen aber nur die Schuhgröße 40. Zusätzlich dazu verfügte er über kein optimales Fitnessniveau für einen Fußballspieler, denn er trainierte kaum und schonte sich nicht dabei, zu rauchen und große Mengen an Alkohol zu sich zu nehmen. Diese Umstände zwangen ihn dazu, sich anderweitig auf dem Spielfeld zu behaupten, weshalb er das Spiel mit der Ferse zu seinem Markenzeichen machte. Kurze und lange Pässe spielte er gerne mit der Rückseite des Fußes und gab so seiner Technik wortwörtlich einen feinen Touch. Sócrates selbst äußerte sich dazu folgendermaßen: „Wenn ich mich drehen muss, um den Pass zu spielen, dann falle ich um.“

Millionenmetropole und Nationalmannschaft – die große Fußballbühne

Obwohl sich der FC São Paulo gute Chancen auf einen Transfer des Offensivakteurs ausmachte, unterschrieb dieser im Jahr 1978 für den Stadtrivalen Corinthians. Am 20. August, dem ersten Spieltag der Campeonato Paulista, debütierte er für O Timão, so der Spitzname von Corinthians, bei einem 1:1 gegen den FC Santos. Die Mannschaft qualifizierte sich zwar nicht für die entscheidende K.O.-Phase, aber Sócrates erzielte immerhin 20 Tore und war damit viertbester Torschütze des Wettbewerbs. In der Copa Brasil, wie die landesweite Liga damals hieß, belegte man am Ende der Saison den zwölften von 74 Plätzen. Das nächste Spieljahr sollte mehr Erfolg versprechen. Corinthians belegte in der ersten Phase der Campeonato Paulista 1979 Platz eins der Gruppe und qualifizierte sich damit für die zweite Phase. Dort erreichte man Platz zwei und somit die aus vier Mannschaften bestehende K.O.-Phase. In dieser schlug man Palmeiras über zwei Spiele mit 2:1 und traf im Finale auf Ponte Preta. Nach drei Begegnungen triumphierte man über die Gegner aus Campinas mit einem Gesamtscore von 3:0.

Der Gewinn dieses Titels bedeutete Sócrates sehr viel, denn in den Monaten davor geriet er oft in das Fadenkreuz der Corinthians-Fans. Sie kritisierten seine fehlende Leidenschaft für den Verein und schlechte Leistungen, die er hin und wieder erbrachte. Doch einerseits Magrão sah seine emotional eher zurückhaltende Art nicht als Problem an. Andererseits war sein Formtief ein Resultat der Umstände, unter die er zu leben hatte. Schließlich fiel ihm der Schritt aus einem familiären Umfeld in Ribeirão Preto in die Millionenmetropole São Paulo aus mehreren Gründen schwer. Die fehlende Privatsphäre, der Druck durch die Medien sowie die Anforderungen der Fans überwältigten ihn. Außerdem musste er die Freiheiten bei Botafogo gegen einige Regeln bei Corinthians eintauschen und ihm fehlte der Rückhalt von Freunden und Familie. Zusätzlich dazu war er erschöpft durch die vielen Spiele in der Campeonato Paulista und der brasilianischen Nationalmannschaft, für die er im Mai 1979 in einem Freundschaftsspiel gegen Paraguay sein Debüt feierte.

Im selben Jahr wurde er von Nationaltrainer Cláudio Coutinho, der ihn für die Weltmeisterschaft 1978 noch nicht berücksichtige, zu seinem ersten großen Turnier mit der Seleção berufen, der Copa América 1979. Magrãos erster Einsatz kam gegen Bolivien im dritten Gruppenspiel. Beim Match darauf gegen Argentinien traf O Doutor direkt doppelt, einmal per Kopfball und einmal per Strafstoß. Im Halbfinale wartete Paraguay. Die Guaraníes erwiesen sich als schwerer Gegner, denn im Hinspiel verlor man 1:2 und im Rückspiel kam man nicht über ein 2:2, bei dem Sócrates mit einem Elfmeter das zweite brasilianische Tor schoss, hinaus. Letztendlich gewann Paraguay das über drei Spiele ausgetragene Finale gegen Chile.

Cláudio Coutinho wurde am 12. Februar 1980 von Telê Santana als Cheftrainer der Seleção ersetzt. Unter seiner Führung gewann man acht der zehn Freundschaftsspiele in diesem Jahr, darunter ein 7:1 gegen eine brasilianische Jugendauswahl und ein 6:0 gegen Paraguay. Darüber hinaus nahm man zum Jahreswechsel am Copa de Oro de Campeones Mundiales, besser bekannt als Mundialito, teil. Das aufgrund des 50-jährigen Bestehen der Fußball-Weltmeisterschaften ausgetragene Turnier wurde in Uruguay ausgetragen, es nahmen mit Ausnahme Englands alle bisherigen Weltmeister teil. Die Niederlande sprangen als zweimaliger Vize-Weltmeister für die die Three Lions ein. In der Gruppenphase spielte man Unentschieden gegen Argentinien, bevor man gegen Deutschland gewann. Da sich Uruguay gegenüber Italien und den Niederlanden behaupten konnte, stellte das Finale eine Neuauflage des WM-Endspiels 1950 dar, welches Uruguay gegen alle Erwartungen bekannterweise mit 2:1 gewann und in Brasilien zur nationalen Tragödie wurde. Mit demselben Ergebnis endete auch dieses Aufeinandertreffen der beiden Rivalen, das von dem österreichischen Schiedsrichter Erich Linemayr geleitet wurde. Sócrates erzielte das Tor für die Seleção per Elfmeter.

Im weiteren Verlauf des Jahres 1981 spielte man noch ein paar WM-Qualifikations- sowie Freundschaftsspiele und gewann mit Ausnahme von zwei Remis alle davon. So steuerte Magrão unter anderem zu einem 6:0-Sieg über Venezuela mit einem Doppelpack bei und schoss noch drei weitere Tore in diesem Jahr für die brasilianische Nationalmannschaft.

Da er für sein Land auflief, war Sócrates nicht Teil des Corinthians-Teams, das zu Beginn des Jahres 1981 an der brasilianischen Meisterschaft teilnahm. Ohne ihn konnte man zwar die erste Turnierphase überstehen, schied in der zweiten Phase jedoch als letzter der Gruppe mit nur einem Punkt aus sechs Spielen sang- und klanglos aus. Als O Doutor von der Seleção zurückkehrte, fand er ein in Teilen verändertes Team vor sich, denn Präsident Vicente Matheus baute es aufgrund der sportlichen Misere um. In der Campeonato Paulista lief es für Corinthians ebenfalls nicht rund, denn im ersten Wettbewerbsabschnitt landete man lediglich auf dem siebten Platz, im zweiten Abschnitt sogar auf dem achten Platz. Das führte insgesamt zum achten Platz in der Endtabelle, wodurch man im Folgejahr nicht in der ersten brasilianischen Liga, genannt Taça de Ouro (Goldpokal), sondern in der zweiten Liga namens Taça de Prata (Silberpokal) antreten musste. Die Präsidentschaft des langjährigen Amtsinhabers Vicente Matheus endete 1982, Waldemar Pires wurde sein Nachfolger. Dieser machte den Soziologen Adilson Monteiro Alves, der nicht viel von Fußball verstand, zum Sportdirektor. Für den Klub erwies sich diese Verpflichtung dennoch als sehr wichtig, wenn auch nicht direkt im sportlichen Sinne.

Fußball für die Demokratie – die Anfänge der Democracia Corintiana

Die politische Lage in Brasilien war angespannt zu dieser Zeit, doch sie versprach auch Hoffnung. Seit 1964 befand sich das Land in einer Militärdiktatur und Menschenrechtsverletzungen sowie Zensur standen an der Tagesordnung. Es gab neben der rechten Regierungspartei Alianca Renovadora Nacional (ARENA) nur eine zugelassene Oppositionspartei namens Movimento Democrático Brasileiro (MDB), die im politischen Spektrum eher mitte-links einzuordnen ist. Ab 1974 steuerte Brasilien langsam in einen Demokratisierungsprozess. 1979 unterzeichnete der neue Präsident João Figueiredo ein Gesetz, welches all diejenigen, die aufgrund von politischen Verbrechen verurteilt wurden, begnadigte. Durch Gesetzesänderungen erlangte die Opposition immer mehr an politischer Macht und es eröffnete sich ein immer größer werdender Weg in die Demokratie, den die Corinthians-Mannschaft auf dem Fußballplatz prägen sollte.

Sócrates interessierte sich zu Beginn seiner Laufbahn wenig für Politik. Sein mangelndes Wissen zeigte sich in einem Interview für eine Lokalzeitung im Jahre 1976, in welchem er sich folgendermaßen äußerte: „Ich denke, dass Zensur notwendig ist. […] persönlich halte ich es für sehr wichtig für die Regierung, dass sie ein gutes Bild in den Augen der Öffentlichkeit behält.“ Als er noch das Trikot von Botafogo trug, dachte er bereits über die Freiheit von Spielern sowie ihre Rechte nach. Für ihn stellte die fehlende Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Fußballer ein Problem dar und er wünschte sich von seinen Mitspielern ein größeres Interesse über diese Fragen.

Die Regeln, die Magrão mit dem Wechsel zu Corinthians befolgen hatte, befeuerten dieses Interesse für Spielerfreiheiten noch mehr. Als der Verein in der Campeonato Paulista 1981 nicht gut performte abschnitt, machte O Doutor nicht etwa sportliche Aspekte für die Misere verantwortlich, sondern sah die Hierarchie, in welcher die Fußballer relativ weit unten standen, als Problem an.

Doch schon bald sollte sich das ändern. Während einer dreiwöchigen Tour durch Mittelamerika Ende 1981 wuchs die Mannschaft enger aneinander, was dazu führte, dass nun auch Themen abseits des runden Leders diskutiert wurden. Des Weiteren war der neue Sportdirektor Adilson ein weiterer Teil, der die Bewegung, die später Democracia Corintiana genannt wurde, ins Rollen brachte. Für Magrão kam das genau recht, denn darin sah er seine Chance, die Ideen umzusetzen, die er für richtig hielt. Bereits bei der ersten Zusammenkunft mit der Mannschaft wurden Angelegenheiten wie das Ende der concentração oder eine Senkung des Gehaltsgefälles zwischen den Spielern besprochen. Von da an stimmte der ganze Klub, vom Präsidenten bis zum Zeugwart, über alle anfallenden Themen ab, wobei die Stimme jedes einzelnen das gleiche Gewicht hatte. Wenn man Neuverpflichtungen tätigen wollte, wählte man drei Transferziele und stimmte über sie ab. Der Vorstand setzte dann das Beste daran, den ausgewählten Spieler zu holen. Die Köpfe dieser Bewegung waren neben Adilson, der Linksverteidiger Wladimir, Mittelfeldspieler Zenon, Stürmer Casagrande und allen voran natürlich Sócrates. Neben Adilson war es auch der Sportjournalist Juca Kfouri, langjähriger Redakteur beim bekanntesten brasilianischen Fußballmagazin Placar, der Magrão viel über die Politik in Brasilien beibrachte.

Zu Beginn des Jahres 1982 qualifizierte man sich über die Taça de Prata für die zweite Gruppenphase der Taça de Ouro. Dort traf Sócrates auf einen sehr guten Freund aus der Nationalmannschaft, Arthur Antunes Coimbra, besser bekannt als Zico. Die Gruppenphase gewann O Timão souverän mit vier Siegen, einem Remis und einer Niederlage. Bahia fegte man im Achtelfinale mit einem Gesamtscore von 6:3 weg, bevor man sich im Viertelfinale gegen Bangu behauptete. Gegen Grêmio war jedoch im Semifinale Schluss, 2:5 verlor man nach Hin- und Rückspiel. Auch wenn man die Taça de Ouro nicht gewann, nahm die Mannschaft ein Momentum auf, von welchem man noch profitieren sollte. Doch nun stand für O Doutor ein anderer Wettbewerb auf dem Programm.

Brasilien bei der Weltmeisterschaft 1982  

Sócrates brachte sich vor dem Auftritt auf der größten Bühne des Weltfußballs in einen optimalen Fitnesszustand, er setzte das Rauchen und Trinken einen Monat vor der Weltmeisterschaft aus. Auch die Nationalmannschaft war 1982 in begeisternder Form. Von den sechs Freundschaftsspielen vor dem Turnier gewann man vier, darunter ein 7:0-Kantersieg gegen Irland, bei dem Magrão einen Doppelpack erzielte. Die Erwartungen der Fans an die Nationalmannschaft waren hoch und das Turnier zu gewinnen galt als höchste Priorität, vor allem, nachdem man in den beiden vorherigen Weltturnieren nur Vierter und Dritter wurde, für den bis dahin dreifachen Weltmeister zu wenig.

Das Team zeichnete sich vor allem durch das sehr starke Mittelfeld aus. Es bestand aus vier Schlüsselspielern: die beiden defensiven Mittelfeldspieler Falcão, einer der besten Spieler aller Zeiten von Internacional Porto Alegre und der AS Roma, und Cerezo, Legende bei Atlético Mineiro, sowie Zico, einer von Flamengos besten Spielern aller Zeiten, und Sócrates, dem Kapitän der Mannschaft, vor ihnen. Zusätzlich dazu konnte die Mannschaft von Telê Santana im Angriff noch Éder, der durch seine gewaltigen Schüsse bekannt wurde und immer wieder auf die linke Seite auswich, und den physisch starken Serginho, Top-Torschützen des FC São Paulo, aufbieten.

Das erste Spiel bestritt die Seleção gegen die überraschend starke Sowjetunion im Estádio Ramón Sánchez Pizjuán des FC Sevilla. In der ersten Halbzeit kassierte man das Gegentor, doch O Doutor traf 15 Minuten vor Schluss mit einem starken Rechtsschuss aus etwa 25 Metern zum Ausgleich. Den Sieg für Brasilien brachte Éder aus ähnlicher Position in der 88. Minute. Auch gegen Schottland im zweiten Match lag man zuerst zurück, bevor man mit einem Treffer in der ersten und drei in der zweiten Halbzeit antwortete. Das letzte Aufeinandertreffen gewann man ebenfalls mit 4:0. Zico, Falcão und Serginho erzielten die Tore gegen Neuseeland.

Als Gruppensieger traf man in der Zwischenrunde auf Italien und Argentinien. Gegen die Albiceleste gewann man mit 3:1, bevor man im Estadio de Sarrià in Barcelona gegen die Squadra Azzurra antreten musste. Gepfiffen wurde die Begegnung von Abraham Klein, der vier Jahre zuvor Schiedsrichter beim Wunder von Córdoba war. Italien spielte eine schwache Weltmeisterschaft und qualifizierte sich nur knapp für die Zwischenrunde. Das Selbstvertrauen der Brasilianer war groß und bereits ein Remis hätte gereicht, um das Halbfinale zu erreichen. Auf Unentschieden spielen? Nicht mit diesem Team, das so einen attraktiven Offensivfußball spielte und die Fans damit verzauberte. Es sollte eines der besten Fußballspiele bei Weltmeisterschaften aller Zeiten folgen. Nach fünf Minuten köpfte Paolo Rossi seine Mannschaft zur Führung, doch kurz darauf gelang Kapitän Sócrates der Ausgleich nach Vorlage von Zico. Die Italiener gingen erneut in Führung, erneut Rossi, der dieses Mal einen Fehler in Brasiliens Verteidigung ausnutzte. In der 68. Minute verwandelte Falcão zum 2:2, was gereicht hätte für das Weiterkommen, doch man wollte das Spiel unbedingt gewinnen. Nach einer schlecht geklärten Ecke machte Rossi seinen Hattrick perfekt und brachte die Gli Azzurri in Führung, die das Turnier schließlich auch gewannen. Brasilien, einer der Titelfavoriten, war ausgeschieden. Heutzutage machen viele Brasilianer dieses Ereignis als Anfang vom Ende des sogenannten „futebol arte“, auf Deutsch Kunstfußball, aus und favorisieren den Spielstil der Seleção von 1982 gegenüber den zwei späteren Weltmeisterteams. Neben Ungarn 1954 und den Niederlanden 1974 gilt diese Mannschaft als eine, die die Massen mit schönem Fußball begeisterte, sich aber letztlich nicht mit einem Titel krönen konnte.

Die Democracia Corintiana 1983

Die Demokratiebewegung im Verein kam immer mehr ins Rollen. Dieser konnte auch die Enttäuschung in Spanien nichts anhaben. So trat Sócrates mit Politikern in Verbindung, informierte sich immer mehr über politische Angelegenheiten und diskutierte diese auch öffentlich. Doch auch andere Spieler engagierten sich immer mehr und traten in Parteien ein. Magrão jedoch war nie ein Freund der Parteipolitik. Dennoch war es ihm wichtig, Veränderung in das Land zu bringen und dafür zu sorgen, dass sich Leute in politische Prozesse und Thematiken einbringen. So kam auch die Aufschrift „Dia 15 Vote“ auf den Corinthians-Trikots zustande, die die Leute aufforderte, wählen zu gehen. Mit Flavio Gikovate, Autor und Psychotherapeut, sowie Washington Olivetto, Marketing-Experte, kamen zwei weitere Personen zum Klub, die Teil der Bewegung werden sollten. Laut Gikovate war Sócrates besser, wenn er sich vor Spielen mit etwas anderem als Fußball beschäftigte. Olivetto hingegen organisierte die Treffen mit Musikern oder Schriftstellern, bei welchen man über zahlreiche Themen diskutierte. Des Weiteren war es auch Olivetto, der den Namen „Democracia Corintiana“ bekannt machte.

Wichtig für das Fortbestehen der Bewegung war auch der sportliche Erfolg. Nach der Weltmeisterschaft stand die Campeonato Paulista an. Sie bestand aus zwei Phasen, wobei sich der Tabellenführer einer Phase für das Finale qualifizierte. Den ersten Wettbewerbsabschnitt gewann Corinthians mit 29 Punkten, fünf vor São Paulo. Im zweiten Teil war es genau umgekehrt und O Timão wurde zweiter, während der FC São Paulo den ersten Platz belegte. Das Hinspiel des Finales entschied Sócrates, als er einen Eckball mit dem Schienbein annahm und verwandelte. Im Rückspiel schoss Darío Pereyra das einzige Tor auf Seiten von São Paulo. Biro-Biro machte einen Doppelpack und Casagrande gelang ebenfalls ein Treffer. Somit gewann Corinthians den 22. Titel der Vereinsgeschichte. Von den Lesern von Placar wurde Sócrates 1982 zum besten Spieler des Landes gewählt.

Das folgende Jahr stellte sich für die Mannschaft als schwieriger heraus. So gab es große Meinungsverschiedenheiten bei der Verpflichtung des Torhüters Émerson Leão. Überdies wurde den Anführern der Bewegung Sócrates, Adilson, Wladimir und Casagrande vorgeworfen, diese allein zu führen, anstatt Teil ihrer zu sein. In der Campeonato Brasileiro überstand man die ersten beiden Gruppenphasen, schied in der dritten jedoch aus. Im Halbfinalrückspiel der Campeonato Paulista war es Leão, der trotz der Streitigkeiten mit Sócrates und Adilson den Einzug in das Finale mit einer sehr starken Leistung sicherte. Wie schon ein Jahr zuvor traf auf den FC São Paulo. O Doutor sorgte mit dem einzigen Treffer der Partie für den Sieg im Hinspiel. Diesen feierte er mit seinem klassischen Torjubel, strammstehend mit der rechten Faust, die gen Himmel ragt. Für das Rückspiel wollte die Mannschaft ein Zeichen setzen. Schließlich war die Harmonie 1983 nicht mehr die gleiche wie ein Jahr zuvor und der Mannschaft fehlte zu einem gewissen Grad der Elan, weshalb man es als notwendig empfand, eine klare Botschaft auszusenden. So kam die Idee auf, vor dem Spiel ein Banner mit einer starken Message zu präsentieren. Auf dem Banner stand „Ganhar ou perder mas sempre com Democracia”, auf Deutsch “Gewinnen oder verlieren, aber immer mit Demokratie“. Dieses Banner repräsentiert eine politische Bewegung innerhalb einer Fußballmannschaft, die sich in schwierigen Zeiten für Brasilien und seine Bevölkerung für das einsetzte, was sie als richtig und essenziell erachtete. Das Spiel endete mit 1:1 und dem Titel für Corinthians. Sócrates erhielt dazu noch die Auszeichnung zu Südamerikas Fußballer des Jahres.

Das Ende der Diktatur, Sócrates‘ Wechsel und der Zerfall der Democracia Corintiana

Im März 1983 kam die sogenannte „Diretas Já“-Bewegung ins Rollen. Sie forderte direkte Präsidentschaftswahlen für das folgende Jahr. Anfangs noch ohne viele Anhänger wuchs die Bewegung im Laufe der Monate, was auch mit der stagnierenden Wirtschaft zusammenfiel. Sowohl innerhalb der Regierungspartei ARENA als auch im Militär gab es Stimmen, die nicht mit der Regierungsform zufrieden waren. Im Jänner 1984 demonstrierten in São Paulo 300.000 Menschen für ihre politische Überzeugung. Wenige Tage vor der Abstimmung im Kongress drei Monate später fanden sich in Rio de Janeiro 1.000.000 Demonstranten und 1.500.000 in São Paulo. Letztere war die größte politische Demonstration aller Zeiten in Brasilien.

Von den Corinthians Spielern waren es neben Sócrates, vor allem Juninho, Wladimir und Casagrande, die sich an den Protesten beteiligten. Da gelb die Farbe der Bewegung war, trugen die Akteure von O Timão gelbe Schweißbänder oder ähnliches, um ihre Unterstützung zur zeigen. Magrão hatte zu dieser Zeit bereits Angebote aus Italien und versprach, nicht dorthin zu wechseln, wenn der Änderungsantrag für direkte Präsidentschaftswahlen die Mehrheit im Kongress erreicht. In den Tagen und Wochen vor der Abstimmung gab die Regierung ihr bestes, Mitglieder der Bewegung sowie Kongressabgeordnete einzuschüchtern und auch Medien wurden der Zensur unterworfen. Letztendlich votierten 298 Abgeordnete für den Antrag, während 65 dagegen stimmten und drei enthielten, doch durch die Abwesenheit von 112 regierungsnahen Abgeordneten konnte die notwendige Mindestanzahl an Stimmen nicht erreicht werden, wodurch der Antrag abgelehnt wurde.

Für Sócrates war dies eine herbe Niederlage. Nicht nur scheiterte er mit dieser für ihn sehr wichtigen politischen Ambition, sondern er schied zusätzlich dazu noch im Halbfinale der brasilianischen Meisterschaft gegen Fluminense aus. O Doutor war nun dazu bereit, Brasilien zu verlassen. Von den italienischen Klubs, die an Magrão interessiert waren, gelang es der Fiorentina, sich die Dienste des brasilianischen Offensivkünstlers im Jahre 1984 zu sichern. Sócrates absolvierte 298 Spiele für Corinthians, in denen ihm 172 Treffer gelangen.

Mit dem Wechsel nach Italien und der Niederlage im Kongress kam auch der Niedergang der Democracia Corintiana, die ein Jahr später ihr Ende fand. Bis 1986 verließen auch Casagrande, Wladimir und Zenon den Klub und die Bewegung war Geschichte. Trotz dessen war die Democracia Corintiana ein wichtiger Bestandteil des Demokratisierungsprozesses in Brasilien, denn sie brachte der Bevölkerung die Politik mittels des so geliebten Fußballs näher. 1985 wurde mit Tancredo Neves der erste zivile Präsident seit Beginn der Militärdiktatur gewählt. Dieser verstarb jedoch noch vor Amtsantritt, weshalb sein Vize José Sarney das Amt übernahm. Nichtsdestotrotz endete damit die 21-jährige Militärdiktatur in Brasilien.

Sócrates in Italien

Es war der Sommer 1984, mit 30 Jahren spielte Sócrates das erste Mal im Ausland. Auch einige Stars standen in Italien unter Vertrag, beispielsweise Michel Platini bei Juventus, Zico bei Udine und Napoli verpflichtete in diesem Sommer einen gewissen Diego Maradona. Neben dem argentinischen Verteidiger Daniel Passarella war O Doutor der einzige Südamerikaner im Kader der Fiorentina, mit diesem verstand er sich jedoch erst nach einer gewissen Zeit. Sein einziger wirklicher Freund während der Zeit wurde der Torhüter Giovanni Galli. Er tat sich generell schwer, Freundschaften mit seinen italienischen Mitspielern zu knüpfen. Eine Spaltung innerhalb der Mannschaft in zwei Lager machte diese Situation nicht besser. Zusätzlich dazu zeigte O Doutor wenig Bereitschaft, sich für seine Teamkollegen zu opfern, eher wollte er, dass sie sich für ihn opfern und ihr Spiel auf ihn ausrichteten.

Wie schon bei dem Wechsel von Botafogo-RP zu Corinthians hatte Magrão Schwierigkeiten, sich an die neuen Umstände zu gewöhnen, doch dieses Mal waren sie größer. Persönliche Freiheit zu haben war ihm sehr wichtig. In Brasilien hatte er diese als einer der Anführer der Democracia Corintiana, in Italien hingegen war man nicht dazu bereit, sich ihm anzupassen, sondern forderte von ihm, sich den gängigen Praktiken in Italien adaptieren.

Fußballerisch konnte er auch keine Erfolge verzeichnen. Von den 30 Spielen gewann man lediglich acht, verlor neun und spielte 13-mal Unentschieden, wodurch man im Niemandsland der Tabelle auf Platz neun landete. O Doutor wurde in 25 Partien eingesetzt, dabei schoss er sechs Tore.

Alles in allem war der Abschnitt in Italien erfolglos, sowohl sportlich als auch persönlich, denn er war weit weg von Familie und Freunden und er konnte sein brasilianisches, lockeres Naturell nicht mit der sachlichen italienischen Art vereinigen.

Die Rückkehr nach Brasilien und die WM 1986

Nachdem ein Transfer zu Ponte Preta gescheitert war, holte Flamengo Sócrates zurück nach Brasilien. Dadurch war er wieder mit seinem Freund und Kollegen aus der Nationalmannschaft Zico vereint, der in derselben Transferperiode zurück aus Italien kam. Mit dem Mittelfeld-Duo, das drei Jahre zuvor ein wichtiger Bestandteil der Seleção bei der WM in Spanien war, hoffte Flamengo an die Erfolge der Jahre zuvor anknüpfen zu können. Schließlich gewann man seit Beginn der Dekade dreimal die brasilianische Liga und je einmal den Weltpokal, die Copa Libertadores und die Staatsmeisterschaft von Rio de Janeiro (Campeonato Carioca).

Zico und Sócrates standen für Flamengo zwar nur ein einziges Mal gemeinsam auf dem Platz, gewannen aber dennoch die Taca Rio, den zweiten Abschnitt der Campeonato Carioca, und besiegten im Finale auch noch Vasco da Gama.

Leider war Magrão jedoch von Verletzungsproblemen geplagt. Zuerst erlitt er eine Schienbeinfraktur, die ihn für eine lange Zeit außer Gefecht setzte. Magrão war seit seinem Wechsel zu Flamengo von Verletzungen geplagt. Anfangs erlitt er eine Schienbeinfraktur, die ihn lange Zeit außer Gefecht setzte, und durch eine Hüftoperation war er nicht mehr so agil wie zuvor. Mit Oberschenkelbeschwerden reiste er nach Mexiko zu seiner zweiten Weltmeisterschaft.

Die Stimmung in der brasilianischen Nationalmannschaft war sehr schlecht in den Monaten vor dem Turnier und es traten viele Probleme mit den Verbandsfunktionären auf. Beispielsweise entschied sich Stamm-Rechtsverteidiger Leandro in letzter Sekunde dagegen, mit zur WM zu fahren. Immerhin konnten Magrãos Verletzungsprobleme noch rechtzeitig vor dem Turnier beseitigt werden.

Vor dem ersten Gruppenspiel setzte er ein Zeichen, mit dem er der einheimischen Bevölkerung Kraft geben wollte, da Mexiko-Stadt einige Monate zuvor von einem heftigen Erdbeben erschüttert worden war. Der brasilianische Altstar entschied sich vor dem Spiel ein Stirnband mit der Aufschrift „México, sigue em pie“, sinngemäß mit „Mexiko, bleib stark“, zu tragen. Dieses Foto wurde zu einem der legendärsten der WM-Geschichte und wohl auch zum bekanntesten von Sócrates. Die erneut von Telê Santana trainierte Seleção gewann gegen Spanien mit 1:0, den Treffer erzielte Magrão mit dem Kopf. Algerien besiegte man mit demselben Ergebnis, Nordirland schenkte man gleich drei Tore ein. Im Achtelfinale verwandelte er einen Elfmeter beim 4:0 gegen Polen. Michel Platini und Frankreich warteten in der nächsten Runde. Nach der regulären Spielzeit stand es 1:1, Zico hätte es mit einem Strafstoß entscheiden können, vergab diesen aber.

Telê Santana entschied, dass Sócrates im Elfmeterschießen als erster antreten sollte, dieser bevorzugte allerdings der letzte Schütze zu sein. Doch das Wort des Trainers hatte mehr Gewicht. Der französische Torhüter Bats wehrte Sócrates‘ Schuss ab. Nach acht Elfmetern stand es 3:3, denn Platini hatte seinen ebenfalls nicht verwertet. Innenverteidiger Júlio César knallte seinen Versuch an den linken Pfosten, bevor Luis Fernández Brasiliens Torwart Carlos in die falsche Ecke verlud und Frankreich damit eine Runde weiterbrachte. Der verschossene Elfmeter war Sócrates‘ letzter Ballkontakt im Trikot der Seleção. Nach 60 Spielen und 22 Toren war Schluss mit der Nationalmannschaft.

Karriereausklang in Brasilien

Nach der Weltmeisterschaft unterzog sich Sócrates einer weiteren Operation, die ihn erneut dazu zwang, eine lange Pause einlegen zu müssen. Nach seiner Genesung kam er dennoch nicht zu vielen Einsätzen, was auch an seiner lockeren Haltung dem Training gegenüber lag. Dadurch wurde er jedoch von Trainer Lazaroni oft auf der Bank gelassen und kam kaum zu Einsatzzeit. Unzufrieden wie er war, warf Sócrates eines Tages nach einer Trainingseinheit im März 1987 seine Fußballschuhe in den Mülleimer und erklärte sein Karriereende. Lediglich 20 Spiele absolvierte O Doutor für Flamengo. Zwischenzeitlich wollte er sich wieder der Medizin widmen und kehrte für eine kurze Zeit nach Ribeirão Preto zurück, aber der Fußball bedeutete ihm noch immer viel, wodurch er Ende 1988 einen Ein-Jahres-Vertrag beim FC Santos unterzeichnete. Gegen Cerro aus Uruguay gab er im November sein Debüt für den Klub, von dem er schon als kleiner Junge Fan war. Der Altstar sollte den jungen Spielern als Vorbild dienen und ihnen in ihrer Entwicklung helfen. Allerdings verlief seine Zeit bei Santos gar nicht erfolgreich und nach einer Reihe von anstrengenden Freundschaftsspielen weit weg von der Heimat war auch dieses Kapitel in seiner Karriere beendet.

Schon eine Woche danach unterschrieb er einen Vertrag bei seinem Heimatklub, bei dem er groß wurde, Botafogo-RP. Dort spielte er noch wenige Monate, bevor ihn seine physischen Einschränkungen schlussendlich dazu zwangen seine Karriere endgültig zu beenden. Sócrates‘ letztes Spiel auf der professionellen Bühne fand am 26. November 1989 gegen Itumbiara statt, es endete mit einem 1:1 vor etwas mehr als 1000 Zuschauern.

Das Leben nach der Karriere und sein Tod

Nach seiner Karriere als Fußballer folgte schon bald eine kurze Zeit als Arzt. O Doutor eröffnete das Medicine-Sócrates-Center, welches er allerdings schnell wieder schließen musste. Die freie Zeit versuchte Magrão mit Tätigkeiten zu füllen, die ihm Spaß bereiteten. Er verbrachte eine kurze Zeit als Trainer bei Botafogo-RP und LDU Quito in Ecuador und betätigte sich auch künstlerisch, indem er Musik veröffentlichte. Des Weiteren arbeitete er als Sportkolumnist und Kommentator. Durch einen Freund kehrte er 2004 mit 50 Jahren sogar nochmal auf den Fußballplatz zurück und absolvierte 13 Minuten in der zehnten englischen für Garforth Town. Im selben Jahr wurde er von Pelé in die FIFA 100 aufgenommen, eine Liste mit den besten zum 100-jährigen Jubiläum der FIFA lebenden Spielern aller Zeiten.

Was ihn über sein ganzes Leben begleitete, waren Alkohol und Zigaretten. Sócrates trank und rauchte im Laufe seiner Karriere sehr viel, Süchte, die er in seinem Leben nur einmal für einen Monat, und zwar zur Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 1982, aufgab. Sehr gerne trank O Doutor den in Brasilien sehr beliebten Cachaça, eine Art Zuckerrohrschnaps. Doch sein enormer Alkoholkonsum, der noch durch die Tatsache, dass er sehr viel Freizeit und sehr wenig zu tun hatte, begünstigt wurde, sollte ihm zum Verhängnis werden. 2011 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand sehr und er wurde mehrmals in Krankenhäuser eingeliefert. Am 4. Dezember war trotz aller Anstrengungen der Ärzte endgültig Schluss und Magrão starb um 4:30 morgens.

„Ich möchte an einem Sonntag sterben, an dem Corinthians Meister wird.“ Am 4. Dezember 2011, einem Sonntag, wurde dies Realität. Das 0:0 gegen Palmeiras reichte für Corinthians zum Gewinn der Campeonato Brasileiro 2011 und Sócrates‘ letzter Wunsch ging in Erfüllung. Die Fans ehrten ihren Star mit zahlreichen Bannern und zollten ihm mit der rechten Faust im Himmel Tribut.

Sócrates‘ Vermächtnis

Sócrates war einer der einzigartigsten Charaktere des Fußballs. Sowohl im Mittelfeld als auch im Sturmzentrum strahlte er immer eine offensive Gefahr aus, besonders mit seinem Ferserl, welches er zu seinem Markenzeichen machte. Nicht nur seine Karriere als Fußballspieler, sondern auch sein Leben abseits des Balles waren geprägt von dem Wunsch nach persönlicher Freiheit. Der Künstler verzauberte die Massen auf dem Feld, der Aktivist kämpfte für das Beste für die Gesellschaft. Magrão war nie ein Vorzeigesportler, doch das musste er auch nicht sein, denn die magischen Momente überschatteten alle negativen Aspekte. Als einer der Anführer der Democracia Corintiana und Kapitän der legendären Seleção von 1982 ging er in die nationale und globale Fußballgeschichte ein. Ein Leben wie er es führte, wäre aus heutiger Perspektive unmöglich, doch die Tatsache, dass er es auf diese Weise führte, macht ihn zu einem einmaligen Spieler und einer einzigartigen Persönlichkeit im Weltfußball.

Descanse em paz, Sócrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira!

Tim Bosnjak