Der amerikanische soccer ist nicht nur aus geschichtlicher Hinsicht ein Spezifikum. Jenseits des Ozeans sind auch die ökonomischen Voraussetzungen von Sportvereinen anders: Von Anfang... Fußball in den USA (2): Soccer-Baby-Boom ‘94

_USA FlaggeDer amerikanische soccer ist nicht nur aus geschichtlicher Hinsicht ein Spezifikum. Jenseits des Ozeans sind auch die ökonomischen Voraussetzungen von Sportvereinen anders: Von Anfang an waren Profiklubs Wirtschaftsunternehmen, die sich dem Staatszugriff entzogen. Die Rahmenbedingungen diktierten nur wenige Zugangsbarrieren. Frank Stronachs Motto „Wer das Gold hat, macht die Regeln“ stammt nicht zufällig aus dieser geografischen Richtung.

US-Amerikanischer Sport ist gewinnorientiert, er wird auf die Konsumenten zugeschnitten. In Europa dagegen erleben wir teilweise vehemente Proteste gegen die Vereinnahmung des Fußballs durch Unternehmen. In den USA beherrscht der Markt alles – ob Politik, Kultur oder eben Sport. 2002 stellten Andrei S. Markovits und Steven L.  Hellerman der Entwicklung des soccers in den USA keine guten Chancen aus: „Das Land ist einfach zu groß, zu unterschiedlich, zu dezentral und wird von marktorientierten und wettbewerbsfördernden Antitrust-Gesetzen regiert, die eine umfassende und alles einschließende Organisation mit hierarchischer Struktur unmöglich machen.“

„Im nächsten Monat sind wir der Mittelpunkt des Universums“

Ganz ehrlich, natürlich bewarben sich die USA vor allem aus wirtschaftlichen Gründen für die Austragung der WM-Endrunde 1994. Dazu überlegten sich die Verantwortlichen fieberhaft Konzepte, wie man ihre Landsleute in die Stadien bzw. vor den Fernsehapparat bekommen sollte. Richtig abschätzen kann man jedoch bis heute nicht, in wieweit die Amerikaner damals eine Liebe zum Fußball entwickelten. Fußball hat es immer noch gegen die alteingesessenen Lieblingssportarten schwer. Fest steht jedoch, dass die WM-Endrunde ’94 ein voller Erfolg wurde: Selbst die Partie Marokko gegen Saudi-Arabien war an einem Mittwoch im Juni mit 72.000 Zuschauern fast ausverkauft. Die TV-Zahlen waren mehr als doppelt so hoch wie die Experten anfangs prognostiziert hatten.

Amerikaner lieben Events und sie gingen auch unbefangen an viele Matches heran. Langfristig etablierte sich soccer allerdings nicht als Teil der amerikanischen Sportkultur. Amerikas Fußballfans sind – wenn man der Statistik glaubt – großteils weiß, wohnen in Vororten, sind gut gebildet, verdienen gut und zeigen aus bestimmten Gründen Interesse an diesem Ballsport: Fußball ist gewaltfreier als eine Sportart „der großen Vier“. Er ist ruhiger, neutraler und lehrt stärker Zusammenspiel als es beispielsweise Baseball tut. Anno 1994 kamen mehr Schaulustige als Fans in die Stadien. Es waren meist friedliche Fußballfeste bei denen es zu weniger Festnahmen als bei einem High-School-Football-Spiel kam. Die multikulturelle Atmosphäre machte Negativerlebnisse, wie Maradonas Ausschluss wegen Einnahme verbotener Substanze oder der Schädelbruch von Tab Ramos nach einem Ellbogenschlag sowie einige gravierende Fehlentscheidungen des Unparteiischen und eines der langweiligsten Endspiele, das es je bei einer Endrunde gab, wett.

Sportjournalist Bob Ryan vom Boston Globe resümierte nach dieser Endrunde treffend: „Diese Leute [haben] uns ihren Schatz geliehen […] und wir haben seinen Wert vergrößert. Wir haben uns […] als respektvolle Verwalter erwiesen. Wir haben neue Standards in puncto Organisation und Begeisterung gesetzt, an denen sie sich in Zukunft messen müssen. Jetzt stellt sich heraus, dass wir das perfekte Gastgeberland für die Weltmeisterschaft waren.“ Ryan schreibt von der „guten Fußballleidenschaft“, die den Amerikanern begegnet sei und dass sie – im Umkehrschluss – Verständnis  dafür aufbringen sollten, dass diese Spiel auf der ganzen Welt so ungeheuer beliebt sei. Der Journalist hegt deutliche Zweifel, ob der Fußball je Amerika erobern könne: „Vielleicht wird der Tag niemals kommen, an dem die Amerikaner eine vergleichbare Leidenschaft für dieses Spiel entwickeln, aber das bedeutet nicht, dass wir unsere Stadien nicht ein weiteres Mal zur Miete ausschreiben können oder sollten.“  Zeitgleich mit der Vorbereitung dieses Turniers entwickelten man damals Konzepte für eine Profiliga um den Schwung des WM-Taumels zu nützen.

Major Rothenbergs Mission

Alan Rothenberg ist der Vater der Major League Soccer. Der kalifornische Rechtsanwalt verfügte im Gegensatz zu früheren Liga-Funktionären (siehe dazu Teil 1 dieser Serie über genügend Erfahrung im amerikanischen Fußball: Drei Jahre lang war er Eigentümer der Los Angeles Aztecs, die in der NASL kickten. Die FIFA beauftrage Rothenberg mit der Organisation der WM-Endrunde 1994 und der anschließenden Ligagründung in den USA. Rothenberg stellt ein neues Konzept vor: Single-Entity-Struktur, eine Art „Fußballkartell“, wobei jeder Mannschaftseigentümer auch an der Liga selbst beteiligt ist. Dies sollte gewährleisten, dass nicht nur in die eigene Tasche gewirtschaftet, sondern mehr Rücksicht aufeinander genommen wurde: Kein ständiger Wettstreit um Sponsoren und mehr Entscheidungen im Interesse der MLS. Am 17.10.1995 debütierte die MLS mit einer vom Frühling bis zum Herbst dauernden Meisterschaft, die in den Play-Offs im Oktober münden.

Bald verfügte man über einen erlesenen Sponsorenkreis wie Kodak, Chevrolet, Nike, Adidas, Pepsi, Reebok, Umbro, Snickers und Co. Rothenbergs Super-Coup war allerdings das Geschäftsabkommen mit Disney’s Wide World of Sports im dritten Jahr des Bestehens der Liga. Die Haussender des Konzerns – ABC, ESPN und ESPN2 – strahlten daraufhin die Saisonmatches und Play-Off-Spiele aus. Alternde Superstars wie Beckenbauer, Cruyff oder Pelé übersiedelten nun nicht nach Amerika, stattdessen kamen gute und bekannte Spieler wie Valderama aus Kolumbien oder Alain Sutter aus der Schweiz. Der Fußball der MSL unterschied sich jedoch gravierend von jenem in Europa: Es gab beispielsweise anfangs andere Punkteregeln und keine Nachspielzeit.

Zwischen der MLS und der zweiten Leistungsstufe, der A-League, besteht nicht die Möglichkeit eines Ab- oder Aufstiegs. Mit der United States Division III Professional Soccer League (D3 pro) gibt es auch eine dritte Profistufe, danach kommt die Amateurliga Premier Development Soccer League. Jeder MLS-Klub verfügt über A-League- und D3-Pro-Teams als Amateur- bzw. U-Mannschaft. Diese werden als Kaderschmieden verwendet bzw. als Unterstützung beim Zurück-in-Form-Kommen nach Verletzungen von Profis. Diese Parallele wird aus dem Farmsystem des Baseballs übernommen. Die Spieler werden so zwischen den Teams herumgereicht. In Europa: Undenkbar!

Um dem chronischen Jugendmangel endlich an den Kragen zu gehen, wurde 1997 mit dem Project 40 ein Unternehmen gestartet, dass College-Fußballern den Weg in die Professionalität eröffnen sollte. Die Teilnehmer bekamen neben dem Mindestgehalt der MLS-Profis auch ein Stipendium ausbezahlt und die Möglichkeit an 40-60 jährlich stattfindenden Qualitätswettbewerben teilzunehmen. 1998 kam der spätere Leverkusen-Verteidiger DiGiamarino in den Genuss dieser Teilnahme: Die Studenten trainierten mit den MLS-Mutterklubs und spielten am Wochenende entweder zwei Amateurpartien oder ein Amateurmatch und ein Trainingsspiel.

2002/2003 glich sich die MLS an die Standards im internationalen Fußball an. Während in den ersten Jahren ihres Bestehens rote Zahlen geschrieben wurde, führte das gute Abschneiden des US-amerikanischen Herrenteams bei der WM 2002 in Japan und Südkorea zu einem neuen Aufschwung des nationalen Fußballs. 2007 wechselte mit David Beckham ein internationaler Fußballstar nach Kalifornien und machte die MLS so in der Welt bekannt. Die Designated Player Rule erlaubt pro Team drei Spieler, die die Gehaltsobergrenzen sprengen. Seitdem wird die Liga konstant um Mannschaften erweitert. Das Konzept ist ein typisch amerikanisches Franchise-System: Der Eigentümer einer Mannschaft erwirbt eine Lizenz von der MLS, um seine Mannschaft in der Liga starten zu lassen. Fußball in den USA ist wirklich anders.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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