Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... (Wo)Men to (re)watch (37) –  Homare Sawa (KW 37)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Die achte Frau dieser Serie ist eine Weltmeisterin aus Asien…

Es gibt wohl kaum eine/n Fußballer/in, der/die es schafft an sechs Weltmeisterschaftsendrunden teilzunehmen. Die Offensivspielerin Homare Sawa hat das hinbekommen. Als sie das erste Mal bei einer WM das japanische Trikot trug, zählte sie erst zarte sechzehn Lenze. Mit 38 Jahren war sie das letzte Mal – zur eigenen Überraschung – Teil des Kaders ihres Heimatlandes. Dazwischen krönte sich die mittlerweile 44-jährige nicht nur zur besten Fußballerin der Welt, sondern führte ihr Team 2011 auch zum WM-Titel. Sawa war lange Zeit das Um-und-Auf im Kurzpassspiel der Asiatinnen und prägte eine Ära mit.

Frühreife Nelke

Dabei kam die spätere Nationalmannschaftstaktgeberin zum Fußball wie die Jungfrau zum Kind: Die im September 1978 im Westen des Tokioer Großraums Geborene war als Kleinkind eine Wasserratte und begann deshalb früh mit dem Schwimmen. Drei Jahre später begleitete sie ihren älteren Bruder zu dessen Fußballtraining und war plötzlich verzaubert: „Ich dachte, es sei lustig, also trat ich gegen den Ball.“ Das Ergebnis: Ein erstes Tor mit dem Spitz. Das Schicksal hatte entschieden und aus dem kleinen Mädchen sollte alles andere als eine „Spitzkickerin“ werden. Als Ballverteilerin bestimmte sie später das Angriffsverhalten der japanischen Auswahl und wurde deshalb mit Barcelonas Xavi verglichen.

Da Sawas Talent schon als Kind nicht zu übersehen war, setzte der Trainer ihres Bruders höchstpersönlich ihre Aufnahme in die Bubenmannschaft durch. Frauenfußball war auch in Japan – wie fast überall auf der Welt – nur eine Randerscheinung. 1986 wurde das erste japanische Frauenfußballnationalteam gegründet, drei Jahre später die erste Frauenliga, die spätere „Nadeshiko-League“. Nadeshiko ist das japanische Wort für Nelke. So kam es, dass Sawa schon mit 12 Jahren für NTV Beleza (damals: Yomiuri Beleza) in der hiesigen Frauenliga debütierte. Dort spielte sie anfangs als Stürmerin und erzielte während ihres siebenjährigen Engagements unglaubliche 79 Tore in 136 Matches. Drei Meistertitel in dieser Zeit waren die Höhepunkte ihrer Klubkarriere.

Als die Offensivkickerin fünfzehnjährig später erstmals für die Nationalmannschaft auflief, saßen auf der Tribüne großteils Familie und Freunde der Spielerinnen. Später – als Sawa bereits Anfang dreißig war – kickte sie mit Frauen, die als Kinder einst Fanfotos mit ihr gemacht hatten. Die Feintechnikerin hatte einen Fußballboom unter japanischen Mädchen ausgelöst.

Die Entwicklung der jungen Homare Sawa hatte Konjunktur und die zarte Spielerin mauserte sich zum Allround-Genie. Sie kickte mit Übersicht, verfügte über extrem gute Passqualitäten und war trotzdem oft auch als Vollstreckerin zur Stelle. Japans Nummer 10 galt als harte Arbeiterin mit guter Grundschnelligkeit. Da die japanischen Frauen traditionell einen gepflegten Fußball spielten, doch körperlich oft unterlegen waren, impfte die bescheidene Spielmacherin ihren Kolleginnen ein, fehlende Physis mit Kampfgeist wettzumachen. Sawa wurde eine Kultfußballerin.

Ab 2001 lief die Angreiferin für Atlanta Beat in der WUSA, der ersten professionellen Liga in den USA, auf, nachdem sie zuvor ein Jahr lang für Denver Diamond gespielt hatte. Zurück bei ihrem japanischen Stammklub wurde sie in der Folge viermal hintereinander Meisterin und hatte eine noch bessere Spiel-Tor-Quote als bei ihrem ersten Engagement. Nachdem sie erneut in den Vereinigten Staaten aktiv war (diesmal für Washington Freedom) legte sie den letzten Stop ihrer Karriere ‑ aufgrund finanzieller Probleme bei NTV ‑ bei INAC Kobe Leonessa ein und absolvierte dort noch vier Spielzeiten.

„Wir haben gespürt, dass wir nicht verlieren können.“

Homare Sawas absoluter Karrierehöhepunkt war jedoch der WM-Titel 2011, der sie endgültig zu einem Nationalheiligtum machte. Im Spiel gegen Mexico gelang der Kapitänin ihr erster internationale Hattrick. Mit fünf Toren in der Gruppenphase führte sie ihr Team ins Finale, wo sie gegen die US-Amerikanerinnen in der Verlängerung das rettende 2:2 erzielte. Japan besiegte die Rekord-Weltmeisterinnen schließlich im Elferschießen. In einem von der Katastrophe von Fukushima gebeutelten Land verbreiteten die Nippon-Kickerinnen mit dem Titelgewinn unter Führung der agilen Spielerin mit dem langen Pferdeschwanz Hoffnung. Sawa konnte darüber hinaus den Goldenen Schuh als beste WM-Torschützin mit nachhause nehmen und wurde zur besten Spielerin des Turniers gewählt. Jahre später erklärte sie, sie und ihre Teamkameradinnen hätten gespürt, dass sie so viele vom Schicksal hart geprüfte Landsleute unterstützen würden. Aufgeben sei daher nicht in Frage gekommen. Bis heute gilt jener feine Schnalzer, Sawas leichte Fußbewegung, die den Ball an Freundin und Feindin vorbei ins US-Tor gelenkt hatte, als einer der schönsten Treffer der Frauenfußballgeschichte. Die Spielführerin hatte mit diesem wichtigen Goal Japan den Weg zum ersten WM-Titel der Geschichte geebnet.

Ein Jahr später gewann die Spielerin als erste Asiatin den Ballon d’or feminin und wurde mit dem Nationalteam Zweite im Olympischen Fußballturnier. Nachdem die im WM-Finale noch besiegten US‑Girls diesmal das bessere Ende für sich hatten, erklärte Japans Spielführerin ihre Nationalteamkarriere für beendet. Schmunzelnd erzählte sie, sie hätte eigentlich vorgehabt mit 28 Jahren ganz mit dem Kicken aufzuhören, um zu heiraten und Kinder zu bekommen: „Ich bin von meinem Plan bereits seit fünf Jahren abgewichen!“ Knapp ein Jahr später akzeptierte sie jedoch eine weitere Einberufung in die Nationalauswahl. Erst 2015 hörte sie mit dem Kicken auf. Im selben Jahr heiratete Sawa schließlich und wurde im Jänner 2017 Mutter einer Tochter.

Aufgrund ihres WM-Sieges 2011 galt das japanische Fußballfrauenteam ihrem männlichen Pendant als Vorbild. Der Triumph bei der Weltmeisterschaftsendrunde in Deutschland sollte drei Jahre später die Herren inspirieren. Für Brasilien galt das Motto, es den Frauen gleichzutun, doch Japans Herren scheiterten schon in der Vorrunde.

Mit 205 Länderspielen und 83 Toren ist Homare Sawa heute sowohl Rekordnationalspielerin als auch Rekordtorschützin der japanischen Nationalmannschaft. Damit ist sie weltweit unter den Top 20. Sie wurde darüber hinaus auch Asienmeisterin (2014) und Vize-Weltmeisterin (2015). Vor zehn Jahren meinte die Spielmacherin: „Einmal trete ich zurück. Und wenn das der Fall ist, dann hoffe ich, dass die jüngere Frauengeneration auf gleicher Ebene wie die Männer Fußballspielen kann.“ Nun ist Sawas Rücktritt bereits acht Jahre her und dies ist immer noch nicht der Fall. Der Frauenfußball ist jedoch in seiner gesellschaftlichen Wahrnehmung schon weiter, als er 2015 war und Mädchen – insbesondere im asiatischen Raum – haben ein starkes Leitbild, an dem sie sich orientieren können: Homare Sawa – Fußballgöttin!

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag