Es fühlt sich so an, als würde ich die „Odyssee“ oder die Bibel rezensieren – alles Klassiker, die eigentlich „jeder“ gelesen haben sollte. (Fußball)journalisten,... Buchrezension: Bill Bufords „Geil auf Gewalt“

Es fühlt sich so an, als würde ich die „Odyssee“ oder die Bibel rezensieren – alles Klassiker, die eigentlich „jeder“ gelesen haben sollte. (Fußball)journalisten, Soziologen, Liebhaber von fetziger Literatur müssen „Geil auf Gewalt“ (erschienen 1991, Originaltitel „Among the thughs“) einfach toll finden, es gehört zu den Standardwerken jeder journalistischen Berichterstattung. Der amerikanische Autor Bill Buford prägte mit diesem Buch wohl alles, was später über Fußballkrawalle und Hooliganismus geschrieben werden sollte.

„Alle Journalisten sind Fotzen“

„Ich begann mit der Arbeit an diesem Buch, weil ich wissen wollte, warum junge Männer in England jeden Samstag Randale machen. […] Was Recht oder Unrecht war, interessierte mich nicht, und ich fragte auch nicht danach.“, schreibt Buford gegen Ende des rund 350 Seiten starken Buches. Voreingenommenheit, Boulevard-Geschreibsel, der moralische Fingerzeig – das kann man ihm wirklich nicht vorwerfen. Betörend, einnehmend, faszinierend sind jene Adjektive, die einem stattdessen durch den Kopf gehen sobald man „Geil auf Gewalt“ weggelegt hat.

Der Zauber des Buches überfällt einen so plötzlich, wie Buford einst selbst von diesem Thema gefangen genommen wurde: Ein kleiner Bahnhof in Cardiff an einem kühlen Samstagabend. Ein Sonderzug aus Liverpool fährt durch, die Wartenden werden gebeten zurückzutreten. Ein „wilder, stampfender Chor“ rollt heran: „Liverpool, la-la-la!“. Die Gesichter der Fans, die zertrümmerten Zugabteile, der Lärm; es ist um Buford, der schon seit 1977 in England lebt, geschehen. Er beschließt in die Welt der Fußballhooligans einzutauchen.

Sein erster Gesprächspartner ist der Machester United-Fan Mick, ein gelernter Elektriker aus Blackpool. Während er sich über eine Flasche Wodka hermacht, teilt er Buford mit, dass alle Amerikaner Wichser und – um zu „demonstrieren, dass er keine chauvinistischen Scheuklappen trug“ – alle Journalisten Fotzen seien. Trotzdem nimmt er den Journalisten doch zum Auswärtsmatch nach Turin mit. Sobald das Flugzeug in Festland-Europa aufsetzt, verwandeln sich die englischen Fans: „Wie auf Kommando wurde die Alltagskleidung, in der sie gekommen waren, durch ein Kostüm ersetzt, dessen wichtigstes Merkmal die britische Flagge war. […]“ Und auch die Identität der Italiener ändert sich, aus ihnen werden „Itaker“.

Man benimmt sich auf eine Art, die die Bezeichnung „Benehmen“ nicht verdient: Grölend, saufend und randalierend ziehen die jungen Männer auf Umwegen ins Turiner Stadion ein, sodass sich Buford schließlich freut überhaupt noch am Leben zu sein. Die meisten Jungs aus der „Firma“, die sich selbst als „böse Fans“ bezeichnen, beäugen ihn zwar kritisch, lassen ihn aber doch teilhaben. Sie sind von der Aufmerksamkeit und Exotik des Journalisten geschmeichelt, möchten nur ja nicht als Hooligans tituliert werden. Stolz erzählen sie von vergangenen Schlachten, während sie erneut eine Stadt auseinandernehmen.

Dirty Realism

Die Großartigkeit der Realitätsbeschreibung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Buford bitteren Ernst schildert, der ungeahnten Sach- und Personenschaden verursacht. Die Straftaten der Protagonisten reichen vom Anspucken des Busfahrers bis zu einer versuchten Vergewaltigung bzw. vollendeter sexueller Belästigung einer Geistigbehinderten. Der letzte Satz spricht Bände: „Die alte Leier: Schaufenster eingeworfen, Sachbeschädigungen, Brandstiftungen. Deutsche Autos wurden demoliert – Windschutzscheibe, Spiegel, Türen. Ein deutscher Junge war tot.“

Buford, der den Begriff des „Dirty Realism“ für amerikanische Autoren, die über den „Bodensatz des heutigen Lebens“ „abgeschwächt, ironisch, manchmal wild, aber wirklich mitfühlend“ schreiben, prägte, ist wohl selbst einer der besten Vertreter dieser Zunft. Genial etwa die Schilderung, als er erste Kontakte in die rechtsextreme Szene des Vereinigten Königreiches knüpft: Ein feister Typ, namens Dougie, zieht ihn an seinem Baumwollhemd hoch, um ihn in regelmäßigen Abständen während ihres „Zwiegesprächs“ gegen einen Laternenmast zu stoßen: anheben, stoßen, rums: „Inzwischen war ich ganz fasziniert von der Tätowierung auf Dougies Stirn: ein kleines, aber sehr genau ausgeführtes Hakenkreuz. „Und (Anheben) du wirst doch nette Sachen (Stoßen) über uns schreiben, oder?! (Rums)“       Chelsea-Fans haben ihn zur Gründung eines Ortsablegers der National Front nach Bury St. Edmunds eingeladen. Es gibt White Power-Musik, Amphetamine, wilde Pogereien bis Dougie die Party auf seine Art und Weise beendet. Er schlägt jemanden mit dem Barhocker k.o. ehe er selbst in die voll beladenen Tische hineinkracht.

Buford ist nicht nur stiller Beobachter, er nimmt im Laufe seiner Schilderungen vermehrt Stellung zu den soziologischen Aspekten, die er entdeckt. So schließt er aus der Charakteristik der Mitglieder dieser rassistischen Organisation „Sie [Anmerkung: National Front] hatte etwas von den Mechanismen der Masse begriffen und respektierten die Masse. Sie wussten, dass ihr Potential – ihre außerordentliche, rohe, unbeherrschbare Kraft – in uns allen steckt, auch wenn sie sich so beharrlich dem Zugriff entzieht.“ Der Autor erlebt – buchstäblich am eigenen Leib – wie er Teil dieser Masse wird, zum Beispiel, als er beim bibbernden Hoffen auf ein Tor in der Kälte von „The Den“, dem Stadion des FC Millwall, mit den anderen Fans verschmilzt. Sein prägnanter Schluss um das Phänomen von Macht und Masse zu verstehen, könnte von Elias Canetti stammen: „Eine Masse bringt die Führer hervor, die die Masse hervorbringen.“

Auswärtsfahrten nach Düsseldorf, Griechenland oder die WM 1990 in Italien stehen noch auf dem Programm. Nach und nach muss Buford erfahren, dass sich immer mehr Protagonisten verabschieden: Einer muss ins Gefängnis, der Andere setzt sich nach Nordafrika ab, ein Dritter schickt „seinen“ Jungs eine Postkarte: „Sonnenbaden, gutes Essen und toller Sex ist so viel besser als ein Rabauke zu sein.“ Die Mitglieder der „Firma“ altern, reden weniger über Schlägereien aber über synthetische Drogen und Musik. Buford hat genügend Material gesammelt, als er – als Teil der „Hooligan inglesi“ – von einem italienischen Polizisten verprügelt wird: „Mein Körper war voller scharfer, elektrischer Stiche, und ich versuchte sie loszuwerden, aber sie wollte nicht weggehen. Langsam fing ich an zu registrieren was passiert war.“ Buford fliegt nach England zurück, verpasst die Niederlage der Three Lions gegen den deutschen Erzfeind und ist überzeugt, dass die Hools diese sportliche Niederlage auch als persönliche Blöße ihrer Kultur hinnehmen. Die Kultur? „Hätte ich vorher überhaupt darüber nachgedacht, hätte ich wohl angenommen, dass Gewalttätigkeit erregend sei – etwa so wie ein Verkehrsunfall einen erregt -, aber die reine, elementare Lust war von einer Intensität, die sich mit nichts, was ich vorher gesehen oder schon einmal erlebt hatte vergleichen ließ. […] der ganz besondere Mechanismus der Gewalt großer Zahlen.“ Ein Fazit, das Angst macht.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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