Es sind einfach 45 Geschichten über mein Leben, meine Karriere, meine privaten Sachen, die ich so gemacht habe, meine Fehltritte und auch positive Sachen.“,... Buchrezension: „Innensicht“ von Martin Hinteregger

Es sind einfach 45 Geschichten über mein Leben, meine Karriere, meine privaten Sachen, die ich so gemacht habe, meine Fehltritte und auch positive Sachen.“, mit diesen Worten hat der Bundesligaprofi Martin Hinteregger sein Buch „Innensicht“ auf einer Pressekonferenz beschrieben. Auf der Rückseite desselben behauptet der Autor, er sei der erste Spieler seines Ranges, der während seiner aktiven Laufbahn solche Einblicke liefert. Tatsächlich öffnet der 28-jährige Kärntner in „Innensicht“ die Tür zu seinem Seelenleben, indem er zum Beispiel über das Chaos in seinem Kopf nach dem verschossenen Elfer gegen Chelsea oder die Liebe, die ihm die Fans der Frankfurter Eintracht mit ihrer „Hinti-Army“ entgegenbringen, schreibt. Allerdings besteht dieser persönliche Blick auch aus Effekthascherei, denn wenn es ans Eingemachte geht, kann Martin nur mit Vermutungswissen und Verallgemeinerungen dienen: So attestiert er sich selbst latente Spielsucht oder machte in der Werbungsphase für sein Buch mit der gewagten Aussage „Wahrscheinlich sind ein Drittel der Profis Alkoholiker.“ Schlagzeilen.

Eine Biografie sei „Innensicht“ jedenfalls nicht, bekräftigt der Verteidiger. Das passe nicht so ganz. Es liegt nahe, dass der österreichische Nationalspieler mithilfe des Buches krampfhaft sein öffentliches Image korrigieren will. Er sei nicht so, wie ihn Fans und Medien gerne sehen wollen: Sorglos, unbekümmert, trinkfreudig. Nachdem der/die Leser/in die 200 Seiten jedoch durch hat, steht fest: Martin Hinteregger ist so und das ist auch okay.

Werde, wer du bist.

„Innensicht“ könnte dazu verführen ein berühmtes Zitat seines Autors abzuwandeln: „Ich kann nichts Positives über das Buch sagen und werde auch nichts Negatives sagen.“ Doch so stimmt das natürlich nicht, zumal eine Rezension dann obsolet wäre. Beginnen wir aber mit den hard facts: „Innensicht“ ist aus stilistischen Gesichtspunkten – selbst für eine „Sportlerbiografie“ –unterdurchschnittlich. Die einzelnen Episoden wirken in ihrer Gesamtschau epileptisch, weil sie ohne Spannungsbogen gestaltet sind. Die Einwürfe von Profanem stören und die Tatsache, dass die Pointe mancher Kapitel schon aus der jeweiligen Überschrift erkennbar ist, hat unfreiwilligen Unterhaltungswert. Die wahllose Anordnung der Geschichten und deren Auswahl lassen beim Lesenden Fragezeichen aufpoppen. Nervtötend ist, dass man häufig mit dem penetranten Wunsch des Autors sich zu (ver)klären konfrontiert wird. Gegen Ende erzählen Familie, Freunde und Kollegen sogar in einer eigenen Rubrik, was für ein klasser Bursch der Martin ist. Angesichts dieser Kritikpunkte ist es noch das kleinste Übel, dass der Münchhausen-Alarm mehrmals dunkelrot aufleuchtet: Schon in der ersten Geschichte erzählt Hinteregger nämlich, dass er einst im Privataufzug seiner Salzburger Wohnung nächtigte, weil seine Bleibe schlicht viel zu heiß gewesen sei. Im Februar. So long.

Inhaltlich gibt es in „Innensicht“ sehr wohl einen roten Faden: Hinteregger, der vom verstorbenen Journalisten Martin Blumenau einst als „kantiger und in fast jeder Hinsicht untypischer Klasse-Kicker“ bezeichnet wurde, will sich deklarieren. Für ihn ist die Sache einfach: Er ist der selbsternannte „Michel aus Lönneberga“, der Lausbub, der zwar manchmal gedankenlos handelt, sich aber dabei am meisten selbst schadet. Also, keine große Sache. Es scheint, als habe sich der Autor ein bestimmtes Selbstbild zusammengezimmert, denn er listet in einem eigenen Kapitel all seine Fehltritte vollständig auf, um sie mit einem jovialen Schulterzucken zu entschuldigen.

Dabei muss man ihm lassen, dass er seiner Art zumindest treu geblieben ist: Der von Heimo Pfeifenberger für die RB-Salzburg-Akademie Entdeckte war schon immer ein notorischer Zuspätkommer und Verschlafer. Diese Eigenschaft führt dazu, dass er schon als Jungspund beinahe aus dem Internat fliegt, später als Kampfmannschaftspieler deckt ihn der Zeugwart, wenn er sich heimlich in der Küche umzieht, weil er wieder einmal nicht rechtzeitig in der Kabine war. Bruder Leichtfuß‘ weitere Steckenpferde umfassen Schlamperei – man erinnere sich an den Frankfurt‑Rucksack beim Augsburg-Training – und Alkohol. Die bisher unangenehmste Geschichte rund ums Hochprozentige ist jene vom geburtstäglichen Vollrausch vor einem wichtigen Länderspiel.

Generell erfährt der Leser, dass „Hinti“ nach ein paar Bier schon mal ins Krankenhausbett einer Bekannten, die eben ein Kind geboren hat, schlüpft, während seines Engagements beim FC Augsburg lieber beim Après-Ski in Obergurgl feiert und, dass ihm eine feuchtfröhliche Nacht eine strafrechtliche Vormerkung eingebracht hat, weil er den Zielbogen eines Bike-Races seines langjährigen Sponsors gestohlen hat. Problembewusstsein? Er feiere einfach gerne, gibt Hinteregger zu Protokoll. So ist er, der Mensch Martin Hinteregger. So darf er auch sein und ist dafür niemandem Rechenschaft schuldig. Fraglich ist nur, inwiefern er sein Image diesbezüglich berichtigen muss.

Gut gemeint, schlecht gemacht

Nur im Ansatz sind andere Themen in „Innensicht“ vorhanden, die für den Interessierten einen Mehrwert zu bieten hätten. Hinteregger erzählt beispielsweise, es habe weitaus begabtere Spieler als ihn gegeben, diese habe er jedoch mit seinem Mix aus Lockerheit und Ambition hinter sich lassen können. Er kritisiert den falschen Ehrgeiz vieler Spieler-Väter und plädiert für Jugendfußball mit Intuition und Spaß. Der gebürtige Sirnitzer berichtet, wie ihn Neo-Madrilene David Alaba vor dem EM-Match gegen die Niederlande aufrichtete oder schlägt vor, Schiris sollten besser verdienen, regelmäßig Interviews geben oder zu zweit Matches leiten. Das sind alles starke Meinungen, die der Ex-Bulle auf den gegenständlichen 200 Seiten ausbauen hätte können und sollen.

Die persönlichste Stelle des Buches ist jene, in der der Defensivspieler über seine psychischen Probleme spricht. Vor zwei Jahren sei der Druck der Öffentlichkeit so groß geworden, dass er sich nur mehr mit professioneller Hilfe und Entspannungstechniken aus dem Loch kämpfen konnte. Ein mutiges Statement. Doch vielleicht ist es tatsächlich zu früh in diesen Dingen in medias res zu gehen. Keine Zeit gibt es jedoch für jene erwähnten, entbehrlichen Teaser. Die kann man sich immer sparen.

Wahrscheinlich hätte Martin Hinteregger noch einige Jahre verstreichen lassen sollen, um persönlichere Einblicke zu geben. Dann, wenn er ausreichend Zeit hat, um Hubschrauber zu fliegen, Ziehharmonika zu spielen, Kärtnernudeln und Gurki-Omas Schmalzmus ohne Limit zu essen, wäre eine niedergeschriebene Lebensgeschichte, die – neudeutsch – deep ist, angebracht. Ein g’scheiter Bursch scheint er jedenfalls zu sein, der Martin.

„Innensicht“ von Martin Hinteregger (mit Albin Tilli und Christian Reichel) ist 2021 bei KATi erschienen und kostet 18,99 €.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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