Plötzlich steht die Polizei vor der Tür! Sie wollen Gullit mitnehmen. Gullit ist 3 kg schwer, circa 15 cm groß und hat ein zotteliges... Buchrezension – Julien Wolffs „José Mourinho“

Jose Mourinho lächelt_abseits.atPlötzlich steht die Polizei vor der Tür! Sie wollen Gullit mitnehmen. Gullit ist 3 kg schwer, circa 15 cm groß und hat ein zotteliges Fell. Sein Besitzer ist der prominente Fußballtrainer José Mourinho, dem es gar nicht recht ist, dass sein vierbeiniger Liebling von den britischen Behörden unter Quarantäne gestellt werden soll. Der Trainer eilt von einer Preisverleihung in sein Londoner Domizil um seinen Yorkshire Terrier vor dem Abtransport zu bewahren. Der Verdacht: Der junge Hund schleppe aus dem Ausland Krankheiten ein. Mourinho ist wütend. Er schmuggelt Gullit heimlich aus dem Haus und wird den Officers gegenüber rabiat. Die Beamten nehmen ihn fest. Auf dem Polizeirevier in Belgravia muss sich der Startrainer Fingerabdrücke und DNA-Probe abnehmen lassen. Wenige Tage später erklärt er auf einer Pressekonferenz sarkastisch: „Der Hund ist in Portugal. Die Stadt London ist sicher, die große Bedrohung ist weg.“ Typisch Mourinho – Er kann es einfach nicht lassen.

„Hallo Mister, ich bin José Mourinho!“

José Mourinho ist sowohl einer der erfolgreichsten als auch umstrittensten Meistertrainer der Gegenwart. Für Julien Wolff – Sportredakteur bei der „Welt“ – ist er vor allem eine Inspiration. Er hat verschiedene Gesichter: Jenes des klugen Taktikers, des liebevollen Familienvaters, einfühlsamen Freundes, des sarkastischen Provokateurs, des eitlen Erfolgstypen mit George-Clooney-Gesicht und teurer Armbanduhr und (vor allem) jenes des ehrgeizigen Fußballverrückten. Sollte José Mourinho über Prinzipien verfügen, dann jedenfalls über jenes, das diese unterschiedlichen Züge miteinander verbinden kann. Denn kaum ist Mourinho Bad Boy Marco Materazzi weinend im Feuerstrom des Triumphes in die Arme gesprungen, löst er sich auch schon um bei Real Madrid zu unterschreiben. Eine handsignierte Kapitänsbinde des Finales von 2010, überreicht vom Torschützen Javier Zanetti mit dem eindringlich geäußerten Wunsch doch in Mailand zu bleiben, lässt ihn kalt. Job ist Job und persönliche Devotionalien beeindrucken einen Mourinho nicht. „Ich bin distanziert und nahe. Kann sehr weit weg und sehr vertraut sein. Ich bin alles.“, sagt er. Die Wertschätzung die Wolff dem Portugiesen entgegenbringt, dringt durch jede Zeile der 250 Seiten starken Biografie. Sie übertönt all die negativen Seiten des José M. . Wolff sucht für dessen Kontroversen fleißig Ausflüchte und Gegenbeispiele. Das seien doch nur psychologische Tricks, die etwas ungemütlicheren Seiten einer Siegermentalität. Falsch: Unsportlichkeit bleibt Unsportlichkeit und bei Mourinho waren zahlreiche Ausrutscher dabei, die, die Grenzen des guten Geschmackes überschritten haben. Johan Cruyff hat das Gesamtkunstwerk Mourinho auf den Punkt gebracht, als er meinte, er sei zwar der beste Trainer der Welt, doch hoffentlich würde sich sein Fußball nie durchsetzen. Diverse Vorfälle, die nur auf mangelndem Respekt basieren können, werden durch katholische Wallfahrten und tägliches Beten nicht wettgemacht. Schamlos bricht der exzentrische Fußballgelehrte auch die Regeln des Spieles selbst, wenn er, zum Beispiel, trotz Platzsperre versucht mittels Zetteln ins Spielgeschehen einzugreifen. Hauptsächliche ziehen seine Missetaten aber den grundsätzlichen Respekt der Akteure untereinander in Mitleidenschaft.

Der Trainer Mourinho baut auf Videoanalyse mit bösen Psychospielchen, einen saftigen Strafenkatalog, flexible Taktik und gute Motivation („Ich wollte alles für ihn geben“, sagt Zlatan Ibrahimovic) – auch das ist José Mourinho. Er schickt einen müden Sneijder zum Urlaub auf Ibiza, ruft täglich Frank Lampard, der um seine verstorbene Mutter trauert an und plant mit Jorge Costa bei Porto seine Gelbsperre, weil dieser mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen möchte. Seinen Spielern will er Explosivität statt Kondition antrainieren. Er lässt zehn Offensive gegen sechs Defensive agieren um Dominanz in Unterzahl anzutrainieren und so eine Situation mit einem Ausschluss zu simulieren. Er hat keine feste Philosophie sondern mehrere Spielideen, die er nicht nur im Büro oder am Trainingsplatz sondern auch beim Essen mit Ehefrau Tami entwickelt.

Julien Wolff hat den charismatischen Protagonisten seines Buches leider nicht persönlich getroffen. Ein Anhang voller Weblinks macht stutzig. Heute genügt offenbar das Internet als Quelle um eine Biografie zu schreiben. Das persönliche Element kommt dadurch zu kurz und das spürt der Leser. Darüber hilft auch nicht die Begeisterung des Autors für die Geschichte des Starcoaches hinweg. Wolff interpretiert kaum, er dokumentiert.

Schon Mourinhos Anfang wohnt ein „Ende“ innen: Er wird 1963 in Setúbal, Portugal geboren. Vater Félix ist Torwart bei Vitória Setúbal, deren Stadion „Estádio do Bonfim“ – das Stadion des guten Endes, von Josés Familie mütterlicherseits, reichen Fischgroßhändlern, finanziert wurde. Gemeinsam mit seiner älteren Schwester wächst er behütet in einem wohlhabenden Haushalt auf. Fátima, família, futebol – die portugiesischen „F“ bestimmen von Beginn an sein Leben.  Schon als Teenager muss er aber erkennen, dass sein Talent nicht für eine große Spielerkarriere reichen wird. Mit 24 Jahren beendet er seine Laufbahn als Defensivmann und konzentriert sich auf seine Zukunft hinter der Linie. Er hat klare Vorstellungen, die er von seinem Vater übernommen hat. Félix Mourinho ist seit dem 14. Lebensjahr seines Sohnes als Coach in der ersten und zweiten Liga tätig. Der Junior lernt das Handwerk von der Pike auf. Papas erster Tipp: Ersatzspieler sollen den Feldspielern Botschaften des Trainers weitergeben. Bei Real wird Mourinho später für diese Trickserei teuer bezahlen müssen.

1990 wird der damals 27-Jährige erstmals Co-Trainer. Er verfügt über ein abgeschlossenes Studium der Sportwissenschaften und viel praktische Erfahrung im Trainerstab von kleinen und Kleinstvereinen. Drei Jahre später folgt der nächsten Karrieresprung: Sein Chef Manuel Fernandes soll Assistenztrainer bei Sporting Lissabon werden. Fernandes setzt durch, dass Sporting auch seinen Co. engagiert – als Dolmetscher. Denn der neue Trainer ist Sir Bobby Robson, englischer Ex-Nationalspieler, der Portugal bis jetzt nur als Urlaubsland kannte. Mourinho wird Robsons Sprachrohr zur Mannschaft und profitiert selbst von den Weisheiten des ehemaligen Starkickers. Im Dezember verliert Sporting 0:3 gegen Austria Salzburg und Robson ist seinen Job los. Er erhält ein Angebot von Porto und überredet Mourinho mit ihm zu kommen. Akribisch arbeitet sich der junge Portugiese ab diesem Zeitpunkt in die Gegner ein und übergibt seinem Boss formschön ausgearbeitete Dossiers. Die Zusammenarbeit trägt rasch Früchte: 1994 gewinnt Porto den Pokal und wird ’95 und ’96 Meister. Nächste Station: Barcelona. Gemeinsam mit ihren Frauen beziehen Robson und Mourinho zwei nebeneinanderliegende Häuser in Sitges, einem Vorort an der Küste. José Mourinho, der offiziell erneut Dolmetscher ist, bringt sich in Spanien immer mehr ins Training ein. 1998 geht Bobby Robson zum PSV Eindhoven, rät seinem Freund aber bei Barça zu bleiben. Zwei Jahre lang arbeitet er unter Louis van Gaal für die Blaugrana, dann erhält er einen Anruf aus der Heimat. „Wenn sie dich als Cheftrainer wollen, fahre ich dich zum Flughafen. Du bist bereit für diesen Schritt.“, meint der Holländer, der seinem Co zeitweise die Alleinverantwortung für das Kleinod Kataloniens überlassen hatte. Es kommt aber doch ganz anders. Barcelona verspielt im Mai 2000 die Meisterschaft und der umstrittene Van Gaal, der es sich einerseits mit den Medien und andererseits mit einigen seiner Superstars verscherzt hat, muss gehen. „El Traductor“, der Übersetzer Mourinho wird ebenfalls nicht verlängert und unterschreibt als Cheftrainer bei Benfica.

Dort fusioniert Mourinho die Stars der Mannschaft zu einem Team, ist nach einem fulminanten Derbysieg übermütig und will, dass sein Vertrag verlängert wird. Der Erpressungsversuch scheitert. União de Leiria freut sich, als der Exzentriker den Mittelständler nach nur neun Spielen als Benfica-Coach beehrt. Er streicht das Lauftraining und impft den Spielern neues Selbstvertrauen ein. „Ich gehe früher oder später zu einem großen Klub und dann werde ich einige von euch mitnehmen.“, nimmt er sich kein Blatt vor den Mund. Kurz nach Weihnachten melden sich mehrere Vereine bei Mourinho, der Leiria in die obere Tabellenspitze geführt hat. Darunter ein reumütiges Benfica und Konkurrent Porto. Der Trainer entscheidet sich für Porto, weil er weiß, welches Potenzial in dem Traditionsklub schlummert. 2003 holt er das Triple: Meisterschaft, Pokal, UEFA-Pokal. Man träumt von der CL und schafft ein Jahr später tatsächlich den Jackpot. In Gelsenkirchen gewinnt Porto gegen den AS Monaco die Champions League. José Mourinho ist jetzt ein Weltstar und „the special one“, wie er kurze Zeit später erstmals verlautbaren wird. Als er der britischen Presse als neuer Chelsea-Head-Coach vorgestellt wird, wagt man es wirklich zu fragen, ob er sich für diese Aufgabe überhaupt bereit fühle. Hat er nicht gerade mit einem Klub, der nicht zur absoluten Weltspitze gehört, die Millionenliga gewonnen? Er, der 41-jährige Kleinstädter mit Mickey-Maus-Spielerkarriere. Im Kader stehen elf Spieler, die er zu Porto geholt und zu Champions gemacht hat. Nein, Mourinho hat keinen Grund bescheiden zu sein. Die Sun titelt: „Das Ego ist gelandet.“

Wanderjahre eines Erfolgstypen

In London fühlt er sich bald pudelwohl, auch weil er selbst überrascht ist, wie schnell sich der Erfolg einstellt. Hat er seine Errungenschaften in Portugal doch auf die Pionierarbeit, die er zuvor mit Robson geleistet hat, und auf seine Vertrautheit mit dem hiesigen Fußball zurückgeführt, gelingt es ihm jetzt ebenso bravourös die blaue Millionentruppe zu einer Einheit aufzubauen. Mourinhos Chelsea holt die erste Meisterschaft seit 1955. Didier Drogba bringt den Beitrag des Portugiesen auf den Punkt: Er habe ihnen nicht das Fußballspielen beigebracht, sondern gezeigt, wie man auf dem Platz als Team agiert. Die Briten sind fasziniert. Autorin Jane Moore sagt: „Mourinho ist der Einzige, für den ich meinen Mann verlassen würde. Und er ist der Einzige, für den mein Mann mich verlassen würde.“ 2007 ist nach einer CL-Halbfinal-Niederlage gegen Liverpool jedoch Schluss bei Chelsea. Inter-Präsident Moratti wird mit einer edlen Vereinschronik beim stolzen Portugiesen vorstellig. Mourinho stellt sich der neuen Herausforderung. In nur drei Wochen bringt er sich die Grundkenntnisse der lingua italiana bei und zeigt bei seiner ersten Pressekonferenz den erstaunten Reportern, was er bereits gelernt hat. Später wird „the special one“ sagen, dass Inter selbst für ihn „special“ war. Nach dem portugiesischen Triple folgt nun das italienische Triple. O-Ton Mourinho: „2010 war das beste Jahr meines Lebens. Wenn ich mir eine Note von eins bis zehn für meine Arbeit geben würde, dann würde ich mir eine elf geben.“ Sprichts und dampft aus der norditalienischen Metropole ab. Zanetti, Sneijder und die Tifosi sind tieftraurig.

Er unterschreibt für drei Jahre bei Real Madrid, dem Verein, den die Fifa zum besten Klub des 20. Jahrhunderts gekürt hat. Das erste Derby wird mit einer 0:5-Klatsche jedoch eine kalte Dusche für den erfolgsverwöhnten Trainer. Es herrsche ein „Klima der Angst“ bei Real schreibt eine spanische Sportzeitung. 2012 wird er dennoch wieder Meister und macht aus „the special one“ „the only one“ – in vier Ländern hat er vier Meisterschaften geholt. Seine weiße Weste mit Real-Logo bekommt in dieser Zeit aber viele Flecken: Er kritisiert seine Superstars öffentlich, stichelt ständig Richtung Barcelona und führt ein hartes Regiment. Unter den Real-Stars befinden sich viele spanische Welt- und Europameister, die für effektiven, formschönen Fußball bekannt sind und nicht als rüpelhafter Antipol zu ihrem großen Rivalen gelten wollen. Symbolisch ist, dass vor allem Mourinhos Verhältnis zu Iker Casillas in die Brüche geht. „San Iker“ spielt seit seinem achten Lebensjahr für die Galaktischen und ist Fanliebling. Mourinho ist das wurscht, er degradiert ihn ohne viel Federlesens. Die drei Jahre in Spanien gehören nicht zu jenen, an die sich der Portugiese gerne zurückerinnert. Der ersehnte Gewinn der Millionenliga will nicht gelingen und so flüchtet der Fußballexperte zurück ins Londoner Exil: Chelsea 2.0. „The happy one“ hält Einzug, wird aber ganz und gar nicht glücklich. Die Blues kommen nicht in die Spur. Mourinho lamentiert über Schiedsrichter, langsame Balljungen, Arsène Wenger, freche Boys, die ihn auf der Straße mit dem Handy knipsen. Und doch hilft alles nichts. Als der Vertrag aufgelöst wird, fährt er auf Urlaub. Mit Tami, Tita und Zuca, seiner Frau und den beiden Kindern – deren Spitznamen er seit seinem zweiten Engagement in England auch am Handgelenk eintätowiert hat – entspannt er am brasilianischen Sandstrand. Zurück in Europa bestellt er sich zunächst einmal einen Jaguar F-Pace und wartet was die Zukunft so bringen wird. Die deutsche Bundesliga – ja, das würde ihn reizen. Doch bei Bayern hat gerade Carlo Ancelotti unterschrieben und zu welchem Klub sollte der streitbare Portugiese sonst gehen? Die Presse spekuliert mit Manchester United, wo sein einstiger Chef Louis van Gaal werkt. Es kursieren die wildesten Geschichten über die Zukunft des mehrfach ausgezeichneten Trainers, so wird ihm angeboten Teamchef des kriegsgebeutelten Syrien, Coach bei Paris St. Germain oder indonesischer Nationaltrainer zu werden. Am 23. Mai 2016 gibt Manchester United die Trennung von van Gaal bekannt und die treuen Anhänger der roten Teufel sitzen teilweise schon mit Mourinho-Masken in der Kurve. Drei Tage später wird er als Neo-Coach vorgestellt. Die Geschichte ist also noch lange nicht zu Ende.

Gullit sagt, Mourinho fehle es an Demut. „Wenn man sich immer nur beklagt, warten die Leute auf den Moment, wo alles gegen einen läuft. Sei einsichtig und sage: „Ok, es ist falsch und ich übernehme die Verantwortung.“ Dann lassen dich die Leute auch in Ruhe.“, rät er vor gut einem Jahr dem damaligen Abramowitsch-Angestellten. Dieser Gullit ist kein Hund. Ruud Gullit ist 54 Jahre alt, ehemaliger Fußballprofi von Feyenoord Rotterdam und dem AC Milan, Europameister, Ex-Chelsea-Profi und -trainer. Einer, der heute als Fußballanalyst arbeitet und vielleicht, weil er drei Mal verheiratet und ebenso oft geschieden ist, besonders viele TV-Auftritte absolviert und Kolumnen schreibt. Gullit und Mourinho haben sich nicht besonders gern. 2013 meinte der Portugiese lapidar, Gullit sei kein guter Trainer und daher nehme er seine Ratschläge auch nicht ernst. Einzig als Pate für den Namen seines Hundes musste der Amsterdamer herhalten. Die verblüffende Ähnlichkeit des Haarkleides der beiden war für den impulsiven Übungsleiter Grund genug seinen Terrier nach dem Ex-Nationalspieler zu benennen. Es sind Anekdoten wie diese, die die komplexe Persönlichkeit des José Mourinho eindeutig illustrieren.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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