„Naja, wir waren ja nicht zam, also ist Schluss machen vielleicht das falsche Wort“, antwortet Mirna viel zu ruhig.“ Dabei wollte Ivo doch mit... Buchrezension: „Nicht wie ihr“ von Tonio Schachinger

„Naja, wir waren ja nicht zam, also ist Schluss machen vielleicht das falsche Wort“, antwortet Mirna viel zu ruhig.“ Dabei wollte Ivo doch mit Mirna wie Panenka schlussmachen: „Sie wird im Tor stehen, ohne es zu wissen, und er wird auf sie zulaufen, genau wie er es geplant hat. Ihre Augen werden auf seinen Fuß fixiert sein. Das Wort wird der Ball sein und das Wort wird Ivo an ihr vorbei in die Maschen segeln, so leicht, dass sie es nicht mehr erwischt, so langsam, dass es die Zeitlupe, in der bedeutsame Momente passieren, wie Zeitlupe aussehen lässt.“ So cool-sarkastisch möchte Tonio Schachingers Debütroman immer klingen, tut er aber nicht. „Rotzig, deep & fresh!“ prophezeit es der Buchrücken und das fand auch die Jury des Deutschen Buchpreises, die den Roman wegen seiner „Wiener Milieusprache und herrlichen Fußballmetaphern“ auf die Longlist setzte.

Protagonist des 300-Seiten-starken Buches ist Ivo Trifunović: Wiener mit balkanesischen Wurzeln, einst Käfigkicker und heute Fußballlegionär bei Everton und Nationalteamspieler. Ivo ist mit Jessy verheiratet, sie haben zwei Kinder und leben in London. Ivo trinkt gern Fanta, schaut Amateurpornos und ärgert sich manchmal, dass er als Star kein normales Leben führen kann. Sein größtes Problem ist aber Mirna. Sie ist seine Jugendliebe und als er sie während eines Heimaturlaubs aus den getönten Scheiben seines Bugattis vor einem Supermarkt sieht, ist es um ihn geschehen. Mirna, die Lust oder Liebe, die sie entfacht, sind der rote Faden des Romans. Mirna, die Ivo schon kannte, als er noch ein „gebräunter Prolet mit Irokese“ war und für den Favoritner AC auf Torejagd ging. Jetzt haben sie wieder Kontakt und kommen im österreichischen Teamhotel gleich zur Sache. Im Londoner Taxi hat sich Ivo noch geärgert, dass es in England immer regnet und sie deshalb nicht am Strand schmusen können. Beim dritten Treffen stößt es ihm sauer auf, dass er ihr „nur das bieten kann, das er auch einem Callgirl anbieten könnte: sie in die Goldene Spinne oder ins Orient zu schmuggeln und dort zu pudern.“ Der Leser sitzt in Ivos Kopf, hört mit, lebt mit: Eine plötzliche Rückenverletzung ist vielleicht die psychosomatische Folge der hausgemachten Herzkarambolage des Spielers. Komplettiert wird die Lebenskrise später durch den 27. Geburtstags des Angreifers und durch die Tatsache, dass ihn sein Berater gerne nach China verscherbeln möchte: „They have great European coaches, you know?“

 … und das ganze Stadion schreit „Tri-fu-no-vić!“

Der Autor zeichnet seine Hauptfigur oberflächlich oberflächlich: Mit knappen Worten beschreibt er Ivo sowohl als das lebende Klischee eines verwöhnten Profikickers als auch als das eines Jugo-Kindes. Letzteres stellt sich insbesondere durch die inflationäre Verwendung des Wortes „Bruder“ und häufig eingestreuter „Mutter-Witze“ dar. Tonio Schachinger hat sich an realen Ereignissen bedient um seiner Figur eine Biografie zurecht zu zimmern: Vom CL-Gewinn mit einem Weltklub ohne relevanten Einsatz über den Spielerberater Milo bis zum Helikopterabsturz des Klubchefs, der Ivo letztendlich die Augen öffnet. Die Stärke des Buches liegt allerdings in sanft eingestreuten Zwischensätzen, die die heutige Fußballergeneration illustrieren: Wie jene (fiktive) Szene, in der Ivo vom Kommunikationsmanager vor dem Länderspiel gegen Bosnien einen Maulkorb verpasst bekommt: „Schau, und genau darüber sollt ihr nicht reden in Interviews, über Territorialgrenzen und ethnische Zugehörigkeiten.“ Dabei lebt Ivo den Traum, „der Einheit aller Jugos“, „den sein Großvater geträumt hat und den Männer der Generation seines Vaters zerschossen haben.“ Ohne Migranten wäre Österreich nämlich fad. Deswegen regt sich der Profi auch so auf, als ihn die „Kaiser-Zeitung“ (sic!) erst nach einem EM-Tor „offiziell“ einbürgerte „Ivo, jetzt bist du ein richtiger Österreicher!“ […] und in Wahrheit steht dort damit jedes Mal, wenn er etwas falsch macht: „Ivo, jetzt bist du wieder ein richtiger Tschusch!“

Diese kleinen Kostbarkeiten unterbrechen die gemeinsame Reise mit Ivo aber viel zu selten. Der Leser ist – wie die Hauptperson, gefangen in der durchgetakteten Knochenmühle Leistungssport, – zum Warten verdammt und erfährt nebenbei, wie es der Protagonist nach oben schaffte: Der mittlerweile verstorbene Kai hat ihn in Belgien geformt, nächste Zwischenstation war Basel ehe Ivo zu Real Madrid wechselte. Für die Königlichen war er aber zu jung und zu billig, deswegen ging er zu Chelsea. Ivo war der erste Österreicher bei Real, er ist Meister mit Chelsea geworden. Er war beim HSV. Er hat alles und nichts erreicht, scheint zugleich apathisch und eifrig zu sein.

Hin und wieder klingt der Roman nach Milieustudie, etwa wenn Ivo darüber philosophiert, dass man den Fußball nicht lieben muss, um wirklich gut zu werden: „Entscheidend ist das man ein langweiliger Mensch ist. Je langweiliger, je weniger Interessen abseits des Platzes, desto besser.“ Manchmal kommen auch zynische Bonmotscherl heraus wie „Hamburg ist wie ein Kind von reichen Eltern, das nie etwas leisten musste und gelernt hat, die Schuld für alles bei anderen zu suchen.“ Gewöhnt man sich an den Rhythmus der Geschichte kann man Schachingers Debütroman durchaus genießen. Packend ist aber etwas anderes. Und um rotzig zu sein genügt die detailgetreue Beschreibung von Ivos Sexualleben mit – sagen wir mal – volksnahen Begriffen auch nicht wirklich. Es gelingt Schachinger nicht herauszuarbeiten, in welcher Lebenskrise der Fußballer zu stecken vermeint. Damit bleibt der Nachgeschmack, dass sich der Autor selbst nicht darüber klar war, wohin er eigentlich wollte. Es sei ihm verziehen, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Das weiß auch Ivo.

„Nicht wie ihr“ von Tonio Schachinger, 304 Seiten, kremayr & scheriau, 22,90€, erscheint heute.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag