Vielleicht erkennen jüngere Leserinnen und Leser die wunderbare Doppeldeutigkeit des ersten Teils der Titelzeile wieder. Sie entstammen einem textlich genialen und ins Ohr gehenden... Du bist schön, aber dafür kannst du nichts: Warum Fußballer nicht zu sehr auf ihr Äußeres achten sollten

Vielleicht erkennen jüngere Leserinnen und Leser die wunderbare Doppeldeutigkeit des ersten Teils der Titelzeile wieder. Sie entstammen einem textlich genialen und ins Ohr gehenden Lied des deutschen Künstlers Alligatoah. In diesem sinniert der Interpret über Schönheitsideale, Botox und eine Gesellschaft zwischen Neid und Oberflächlichkeit. Wer hier eine Brücke zum Fußball schlagen kann, ist in den Sphären der Wissenschaft und gleichzeitig mitten in einer kuriosen Anekdote zur – Achtung Wortspiel – (un)schönsten Nebensache der Welt gelandet.

Wir reisen dafür etwas mehr als eine Dekade in die Vergangenheit. Im Jahr 2010 veröffentliche die seit den frühen Nachkriegsjahren erscheinende Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis, auch bekannt als „Soziale Welt“ einen Artikel des nunmehr in Düsseldorf tätigen Universitätsprofessors Ulrich Rosar. Das Magazin präsentierte dessen gemeinsam mit Jörg Hagenah und Markus Klein veröffentlichte Abhandlung mit dem hochtrabenden Titel „Physische Attraktivität und individuelles Leistungsverhalten“. Immer noch nichts, was den geneigten Fußballfan landauf, landab in ekstatische Zustände versetzen würde. Neugierig werden könnten die ersten Mitglieder dieser weit verbreiteten Spezies hingegen beim Untertitel, der da lautet „oder: warum und wann unattraktive Männer die besseren Fußballer sind.“

Der geneigte Hobbykicker und treue Verfechter der viel zitierten „dritten Halbzeit“ wird derlei gerne lesen, auch wenn man nicht dem Irrglauben verfallen darf, dass sinkende Attraktivität steigendes fußballerisches Können zur Folge hat. Die Kernthese ist dennoch einfach wie einleuchtend: Attraktive Menschen haben im Berufsleben mehr Erfolg als ihre weniger attraktiven Konkurrenten. Man könnte nun zurecht trefflich darüber streiten, was denn genau unter „attraktiv“ zu verstehen und dass Attraktivität ein Ergebnis subjektiver Wahrnehmungen ist. Diesen Einwänden ist nicht zu widersprechen. Rosar und Kollegen untersuchten dafür die Spielzeit 2007/2008, genauer die Einsatz- und Leistungsdaten von 483 Fußballprofis der 18 Clubs der höchsten deutschen Spielklasse.

Die Konsenstheorie der Wahrheit

Man fragt sich zurecht, wie im Rahmen dieser Studie der Attraktivitätslevel von Fußballprofis gemessen werden konnte. Die Antwort findet sich in der sogenannten Konsenstheorie der Wahrheit, also – vereinfacht formuliert – der Annahme, dass etwas dann als wahr gilt, wenn sich darüber ein argumentativ gestützter, möglichst breiter Konsens erzielen lässt. Dieser Konsens wurde im konkreten Beispiel mittels einer Online-Umfrage zur Attraktivität der Ballartisten hergestellt, wobei auf Grundlage von Portraitfotos der Mittelwert verschiedener Attraktivitätsurteile errechnet wurde. Dabei gingen die Autoren vom so genannten Attractiveness Consensus aus, der – speziell in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren wissenschaftlich untersuchten These, wonach sich Attraktivitätsurteile von und über Personen meist nur marginal unterscheiden. Daraus lässt sich weiters ableiten, dass „schöneren“ Menschen nicht nur mehr Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch positive Wesenszüge zugeschrieben werden. Außerdem werden die Handlungen attraktiverer Männer und Frauen eher wahrgenommen und im Gedächtnis gespeichert. Auch erfahren sie mehr Hilfe und Unterstützung, ja selbst offensichtliches Fehlverhalten wird, wenn nicht anderen Umständen zugeschrieben, dann zumindest eher toleriert und entschuldigt.

Umgelegt auf das runde Leder würde dies heißen, dass das Spiel attraktiverer Spielerinnen und Spieler positiver wahrgenommen wird, Mitspieler*innen ihre Verhaltensweisen auf dem Feld an sie anpassen. Trainer*innen täten demnach wohl gut daran, ihre Kapitäne zuvorderst nach Attraktivität auszuwählen. Im Umkehrschluss heißt all dies aber auch, dass attraktivere Spieler*innen weniger leisten müssen, um erfolgreich, anerkannt, respektiert zu sein. Körperlich weniger anziehende Berufskollegen müssen dementsprechend mehr leisten, um erfolgreich zu sein oder als erfolgreich zu gelten.

Zurück zu den bereits angesprochenen Portraitfotos, deren Attraktivität im Rahmen der Studie für die Attraktivitätsbewertung herangezogen wurden. Die zehn attraktivsten Akteure im deutschen Oberhaus waren demnach unter anderem Ricardo Faty, Florian Dick, Daniel Gordon, Markus Daun oder Fin Bartels. Sie alle fallen zwar in die Kategorie „gestandener Bundesligaprofi“, eine Weltkarriere war aber keinem von ihnen vergönnt. Ebenso interessant: Nur zwei aus den erlesenen Zehn spielten zur damaligen Zeit bei einem Verein, den man heute gemeinhin als deutschen Spitzenclub im Sinne seiner Champions-League-Ambitionen erachten würde, sprich, der am Ende der Abschlusstabelle der Saison 2021/22 unter den Top-4 der Bundesliga stand. Dafür waren sie – etwas provokant formuliert – wohl schlicht und einfach zu schön.

Julian Berger