Die Nummer 60 fällt auf. Ina hat die kurzen Ärmel ihres Trikots derartig ineinandergestopft, dass man meinen könnte, sie seien abgeschnitten worden. Einmal hat... Ti amo.- Zu Besuch bei Dynama Donau

Die Nummer 60 fällt auf. Ina hat die kurzen Ärmel ihres Trikots derartig ineinandergestopft, dass man meinen könnte, sie seien abgeschnitten worden. Einmal hat sie von einem Schiedsrichter deswegen schon Ärger bekommen: Unsportliches Verhalten hat ihr der Unparteiische vorgeworfen. Am heutigen Spieltag scheint das kein Problem zu sein. Es ist fast vier Uhr an einem trüben Samstag und Ina grätscht was das Zeug hält. Kein Wunder, schließlich liegt Dynama Donau – nach einer guten Anfangsphase – bald zurück. „Nur 1:0. Das kriegen die, glaub ich, noch hin.“, sagt Karla. Das Mädchen ist einer der größten Dynama­-Fans und stimmt mit dem harten Anhängerkern zur Melodie von „Ti amo“ jenen Schlachtgesang an, der sich nach x-facher Wiederholung wie ein schnell ausgesprochenes „Dönermann“ anhört.

An die siebzig Zuschauer haben sich um den Kunstrasenplatz in der nicht gerade als städteplanerisches Juwel geltenden Brigittenau eingefunden. Neben Autohäusern und Gemeindebauten liegt das Nachwuchszentrum des First Vienna FC 1894 wie eine angedatschte Backerbse in einer Minisuppenschüssel. Trotzdem wird jedem, der Fußball liebt, hier irgendwie warm ums Herz. Es ist einfach schön, oldschool an der Eisenstange zu lehnen und den Wind zu spüren. Sitzplätze? Fehlanzeige. Dynama und Dynamo Donau haben zu ihren Heimspielen geladen: Die Kickerinnen treten in der fünften Runde der Wiener Frauen Landesliga gegen die Akademie der Austria an. Ein Duell auf Augenhöhe ist das nicht. Später wird Julia, die Spielertrainerin, sagen, dass die violetten Mädls sie heute sicher unterschätzt hätten. Julia war letztes Jahr noch Torschützenkönigin, ehe Dynama dank einer Ligaumstrukturierung vom vierten Platz der 1. Klasse des Wiener Fussballverbandes direkt in die Landesliga aufgestiegen ist. Jetzt sind die Brigittenauerinnen der Underdog, wollen aber trotzdem nicht zur Schießbude mutieren. Besonders sind sie jedenfalls: Ihre Spielerinnen tragen Regenbogenstutzen, auf dem Trikot der Torfrau, wo bei anderen Vereinen ein Sponsorenname steht, prangt der Schriftzug „Gegen Sexismus“. Auf ihrer Homepage richten sie sich explizit gegen Ausgrenzung und bekennen sich zum Feminismus. Eh klar, dass es bei so einem Klub nach dem Schlusspfiff nicht nur archaisches Erdäpfelgulasch, sondern auch veganes Linsen-Dal gibt.

„Leistung gegen neoliberalistisch Gedankengut“

In der 24. Minute gelingt Ina der Anschlusstreffer zum 1:2, doch letztendlich verliert Dynama mit 1:4. Julia hat damit keine Probleme, die Landesliga ist eben eine Herausforderung. Sie räumt ein, dass fast jedes Match auf der Kippe stehen wird: „Klare Siege werden wir selten feiern.“ Wenn sie nicht gerade Trainings leitet oder Matches spielt, fliegt die Spielertrainerin im Brotberuf Verkehrsflugzeuge. Ihre Pläne für diese Saison? „Konsolidieren und schauen, dass wir ins Tempo kommen.“ Das ist auch bitter nötig, denn der Altersdurchschnitt von Dynama ist mit 29 Jahren einer der höchsten. Die meisten Spielerinnen in der Landesliga sind jünger als 25 und wollen irgendwann in der Bundesliga kicken. Ihre Technik ist um einiges feiner, es gibt kaum Quereinsteigerinnen. Dynama gehört in eine andere Kategorie, doch sie bleiben ein Team mit Ambitionen. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel und während die Herren-Kampfmannschaft von Dynamo Donau aufläuft, halbiert sich erstaunlicherweise die Zuschauerzahl.

Es ist schon herbstlich-kühl und Spielerinnen und Zuschauer tummeln sich im Dunkeln vor dem hiesigen Container. Im Vienna-Nachwuchszentrum dürfen die Dynamas und ihre männlichen Kollegen nur die Kabinen und Duschen benutzen. Selbst der Rasenplatz ist tabu. Ihre Habseligkeiten haben sie in einem Baucontainer im verwilderten Teil der Anlage untergebracht. Davor stehen Heurigenbänke und -tische. Als Österreichs ältester Fußballverein in finanziellen Nöten steckte, wurde die Platzmiete kurzerhand drastisch erhöht. Trotzdem ist man geblieben, weil es schwer ist einen passenden Spielort mitten in der Stadt zu finden. Dynama wird ausschließlich von Mitgliedsbeiträgen finanziert. Julia erinnert sich an eine Dressenförderung, ansonsten sucht man immer wieder um öffentliches Geld an. Bisher erfolglos. Es bleibt bei dem Mini-Container vor dem heute Bier verkauft wird.

Wer bei Dynama Fußball spielen möchte, muss zu mehr als zu sportlicher Leistung bereit sein. Hier ist Initiative gefragt. Julia gibt zu: „Man muss bei uns engagiert sein. Das schreckt auch ab.“ Es gibt keinen Staff, die Spielerinnen übernehmen die Logistik. Alle zwei Wochen wechselt der Matchorder-Dienst: Aufstellung verhandeln, Spielerinnenpässe bereithalten, Bälle aufpumpen, Trikots einpacken. Zur finanziellen Entlastung übernehmen Dynamas die Einlasskontrollen bei Heimspielen der Vienna-Kampfmannschaft auf der Hohen Warte. VIP-Klub-Betreuung heißt das. Hanna, die heute in der 67. Minute eingewechselt wurde, findet das gut, weil es eine Atmosphäre schafft, in der sich jeder eingebunden fühlt. Sie selbst schätzt den Ehrgeiz, der mit dem Aufstieg bei vielen entflammt ist. Außerdem gibt es regen Zustrom: „Es sind wahnsinnig viele Leute dazugekommen.“

Bald – so hoffen die Spielerinnen – werden sie auch auf dem Feld besser werden. Nachdem sich die Mitgliederzahl innerhalb eines Jahres verdoppelt hat, „spart“ man auf ein zweites Großfeldteam, um so den sportlichen Aspekt in den Vordergrund zu stellen. Die Perspektive spielt eine entscheidende Rolle, behauptet Julia. Bei Dynama hilft hie und da ein bekannter Wiener Fußballtrainer aus. Das Fernziel sei, wieder mehr zu kombinieren, mehr miteinanderzuspielen. Auf der anderen Seite zählen aber auch andere Werte. Die Spielerinnen haben Kriterien erarbeitet: Wer regelmäßig zum Training kommt, spielt auch im Match. Mittlerweile kann sich Dynama sogar ein Team in der Kleinfeldliga der Diözesansportgemeinschaft Wien leisten. Das ist für Anfängerinnen und schwächere Spielerinnen hilfreich. „Wir sind auf einem guten Weg.“, behauptet Julia.

Gewinnen mit Q(ueer)

Nach ihrer Gründung im Sommer 2010 spielten die Dynamas fünf Jahre lang zunächst in der DSG Kleinfeld-Liga, ehe sie auf den großen Platz wechselte. Der überraschende Aufstieg in die Landesliga wurde im Plenum diskutiert. „Ich persönlich war ein bisschen skeptisch, weil der Leistungsgedanke für mich nicht zum Team passt.“, erzählt Salo. Ihre Meinung hat die junge Deutsche erst geändert, als eine gegnerische Spielerin sie bestärkt hat: Es gäbe kein offen queeres Team, das so rasant Erfolg gehabt hätte. Doch Idealismus schießt keine Tore. Wie sie ihre Weltanschauung, ihre Werte mit sportlichen Parametern in Einklang bringen wollen, ist den Dynamas (noch) nicht ganz klar. „Es ist immer ein Spagat.“, räumt Julia ein: Das Kleinfeldteam ermögliche jetzt Kompromisse zugunsten der sportlichen Seite, aber Fußball ist für sie nicht nur ein Wettkampf mit Leistungsgedanken. Sie müssen damit leben, dass Basisdemokratie bei der Letztverantwortung eines Trainers an ihre Grenzen stößt, dennoch wollen sie gewisse Anker ihrer Struktur – wie die Ombudsstelle – nicht aufgeben. Der Zusammenhalt bleibt das Wichtigste: „4:1 verloren und alle sind happy, alle klatschen ab.“ Auch das Feedback, das Dynama bekommt, ist meistens positiv. Meistens, aber nicht immer. Die Spielertrainerin erinnert sich an ein Match gegen Schönbrunn, bei dem von der Tribüne und von den Gegnerinnen sexistische Sager kamen: Sie dürfe „so etwas“ sagen, sie sei ja selbst homosexuell, rechtfertigte sich eine Übelmeinende. Der Schiedsrichter war überfordert. Julia sah die gelbe Karte, weil sie die mosernde Torfrau am Ausschuss hinderte.

Die Dynamas wissen, dass sie in einer Blase leben. Es kommen nur Spielerinnen zu ihnen, die sich mit dem Leitbild identifizieren können. Da ist es selbstverständlich, dass sie sich nicht als Mannschaft, sondern als Frauenteam bezeichnen. Außerdem sind sie Anlaufpunkt für viele Späteinsteigerinnen: Hanna, die 1989 in einem der ersten Mädchenfußballvereine auf Ostfriesland mit dem Kicken begann, wollte hier Fußballspielen richtig von Null auf wieder lernen. Auf den Praterwiesen mit Freunden einen Ball hin und her zu spielen reichte der heute Vierzigjährigen letztes Jahr nicht mehr. Ihre Biografie ist exemplarisch für viele Dynamas: Fast alle begannen als Kinder und kickten mit Burschen bis sie nicht mehr durften oder wollten. Dann kam der Bruch ehe sie im Erwachsenenalter erneut vom Fieber gepackt wurden. Für Hanna war es gar nicht so leicht einen Verein zu finden. Ein Frauenteam für Spielerinnen 30+ muss man mit der Lupe suchen. Auch das macht Dynama zu einer besonderen Mannschaft, viele kommen spät, bleiben aber dann dabei bis das Kreuzband die Karriere beendet.

Während die Fenster des gegenüberliegenden Gemeindebaus zu leuchten beginnen, besprechen die Frauen Rückblick und Ausblick. Nächste Woche ist Cupmatch – an diesen Wettbewerb erinnert man sich eher ungern. „Ich glaub, wir haben in der ersten Runde 30:0 gegen die Vienna verloren. Da hatten wird Lospech.“ Heuer wird frau gegen Pötzleinsdorf auflaufen. „Das wird mein fünfzigstes Spiel.“, grinst die Torfrau und trinkt einen Schluck Bier. Dynama – und sunst kana.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag