Wie wird man Europameister? Pragmatiker mögen jetzt antworten: „Ist ja ganz einfach: qualifiziere dich für die Endrunde, überstehe die Gruppenphase und gewinne die folgenden... Das Rezept zum begehrten EM-Titel!

Wie wird man Europameister? Pragmatiker mögen jetzt antworten: „Ist ja ganz einfach: qualifiziere dich für die Endrunde, überstehe die Gruppenphase und gewinne die folgenden drei Spiele.“ Uns reichen die einfachen Antworten nicht, für einen differenzierteren Zugang haben wir uns wieder in die Statistikecke zurückgezogen, um uns anzusehen, worauf es bei Betrachtung der nackten Zahlen ankommt, um den begehrten Titel für die nächsten vier Jahre sein Eigen nennen zu dürfen.

Untersucht wurden die Endrunden sämtlicher Europameisterschaften bis zurück ins Jahr 1960. Einbezogen wurden Gegner und Ergebnisse in Vorrundenspielen, Viertelfinals, Halbfinals und Finalspielen, zusätzlich noch die jeweils besten Torschützen des Titelträgers, die Anzahl seiner erzielten Tore und seinen Rang unter den besten Torjägern des Turniers. 1980 fanden keine Viertel- bzw. Halbfinalspiele statt – der Europameister wurde direkt unter den beiden Gruppensiegern ermittelt, von 1960 bis 1976 gab es keine Gruppenspiele im Rahmen der Endrunde, sondern nur Semifinal- und Finalspiele. Hier wurden trotzdem noch die Viertelfinalspiele (Hin- und Rückspiel) in die Statistik einbezogen.

Ist also der Gruppensieg relevant? Welche Mannschaft gilt es am häufigsten zu eliminieren? Beste Offensive? Beste Defensive? Entscheidet der Torschützenkönig? Hier die Erkenntnisse:

Erstes wesentliches Ergebnis: der Gruppensieg hat keine Relevanz auf den Gewinn des Titels. Seit 1980 werden im Rahmen der Endrunde Gruppenspiele abgehalten, viermal gewann ein Gruppensieger die EM, aber auch viermal ein Gruppenzweiter – mit Dänemark 1992 und Griechenland 2004 zweimal sogar ausgesprochene Außenseiter. Darauf aufbauend ist es auch nicht entscheidend, die Gruppenphase ohne Niederlage zu beenden, die Europameister wurden auf ihren Wegen zum jeweiligen Titel allerdings nur viermal besiegt. Die einzige Auftaktniederlage erlitt Holland gegen Russland 1988, Dänemark verlor 1992 im zweiten Spiel gegen Schweden, Frankreich 2000 gegen Holland und Griechenland 2004 gegen Russland verspielten am letzten Spieltag den Gruppensieg. Europameister ohne Punkteverlust in der Gruppenphase, das haben bis dato nur Frankreich 1984 und Spanien 2008 geschafft.

Die Anzahl der erzielten Tore bzw. jene der erhaltenen Gegentore in der Gruppenphase ist ebenfalls kein entscheidendes Kriterium. Anzumerken ist noch, dass aufgrund der Aufstockung auf 16 Teams im Jahr 1996 den Gruppenergebnissen von 1980 bis 1992 eine etwas geringere Bedeutung beikommt. Nur drei Europameister erzielten in der Gruppenphase die meisten Tore (Deutschland 1980, Frankreich 1984 und 2000), gar nur Deutschland 1996 hatte die beste Abwehr – dies aber sogar mit keinem einzigen Gegentor. Griechenland 2004 gewann den Titel sogar mit der nur sechstbesten Offensive und der siebtbesten Abwehr, rührte aber in den K.O.-Spielen Beton an und hielt den Kasten sauber.

In den Playoffspielen ist hingegen statistisch gesehen die Defensive Trumpf. Nur in drei Partien kassierte der spätere Europameister zwei Treffer, in satten 43% aller Spiele blieb man sogar ohne Gegentor.

Hilfreich hingegen scheint ein Torjäger zu sein, der in der Schützenliste ganz vorne zu finden ist. Mit zwei Ausnahmen (Henry 2000 und Charisteas 2004, jeweils Vierter) war der Toptorschütze des Titelträgers (teils auch ex aequo) zumindest Zweiter im Ranking der treffsichersten Akteure, achtmal sogar Schützenkönig. Mit Abstand die meisten Tore bei einer Endrunde erzielte Michel Platini 1984 mit neun Treffern in nur fünf Spielen, gefolgt von Marco van Basten 1988 mit fünf Toren. Obwohl es seit 1996 sechs Spiele zu bestreiten gibt, erzielten seither nur noch drei Stürmer fünf Tore (Kluivert und Milosevic 2000 sowie Baros 2004).

Ganz spannend wird es, wenn man sich ansieht, gegen welche Gegner die Europameister zu bestehen hatten. Zuerst zu den Gruppenspielen und hier zu Beginn wenig überraschend: in keinem einzigen Fall spielte man gegen Deutschland. Dafür musste man insgesamt viermal gegen Russland und dreimal gegen Tschechien ran (Deutschland hatte 1996 beide Mannschaften als Gruppengegner), was bei acht Gruppenphasen schon eine erstaunliche Häufung ist. Nur Dänemark 1992 und Frankreich 1984 mussten nicht gegen die beiden starken Mannschaften aus Osteuropa antreten, beide übrigens als einzige auch nicht in den Playoffspielen. Bei der Analyse der Playoffspiele verstärkt sich der aus der Gruppenphase gewonnene Eindruck nochmal ganz deutlich: sechsmal musste Russland eliminiert werden, dreimal Tschechien. Dazwischen liegt noch Deutschland, das viermal besiegt werden musste, die Tschechen teilen sich den dritten Platz hier mit Spanien und Portugal. In Summe heißt dies, dass in dreizehn Europameisterschaften elf Titelträger entweder gegen Russland (zehnmal) oder Tschechien (sechsmal) antreten mussten, um den Pokal in die Höhe stemmen zu dürfen.

Fazit: in der Gruppenphase ist die Qualifikation für die Entscheidungsspiele das Wichtigste, weitere untersuchte Faktoren stellen sich als nicht signifikant heraus. Ab den Eliminierungsspielen ist die Defensive deutlich wichtiger als die Offensive, wobei ein Torgarant, der in entscheidenden Spielphasen seine Chancen verwertet, den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmacht. Und last but not least: vermeide Deutschland in der Gruppenphase und spiele bevorzugt gegen Russland oder Tschechien, dann kann schon fast nichts mehr schiefgehen mit dem begehrten Titel: Europameister.

Christian Ditz, abseits.at

Christian Ditz

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