Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (12) –  Ilčo Naumoski (KW 12)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. In der zwölften Episode lassen wir Ilčo Naumoskis Karriere Revue passieren…

Mit seinem verschmitzten Lächeln wirkt Ilčo Naumoski auf dem 2009 aufgenommenen Foto, das seinen Wikipedia-Artikel ziert, wie ein großer Bub. Tatsächlich galt der langjährige Mattersburg‑Spieler früher aber als – noch freundlich ausgedrückt – Bad Boy der österreichischen Bundesliga. Naumoski wurde viel Talent und noch viel mehr Starrsinn und Verrücktheit zugeschrieben: Er legte sich mit Trainern, Mit- und Gegenspielern sowie Fans an. Dabei ging seine Bandbreite von harmlosen Scherzen bis zu strafrechtlich belangbaren Handgreiflichkeiten. In Mattersburg, wo der gebürtige Mazedonier lange Zeit spielte, wurde Ilčos Temperament aufgrund seiner sportlichen Qualität geduldet und Skandale unter den Teppich gekehrt, bis – so hört man es munkeln – das Fass voll war.

Der Stürmer schien sich weder mit dem Beruf noch mit dem Geschäft Fußball anfreunden zu können: So widerstieß er gegen ungeschriebene arbeitsethische Grundsätze, wenn er Kollegen wie Dober oder Ortlechner öffentlich vorwarf, dass sie nicht kicken könnten. Von den Schiedsrichtern fühlte sich der jähzornige Angreifer ohnehin immer ungerecht behandelt: „In 50 Länderspielen habe ich keine rote Karte bekommen. Da waren immer andere Schiris. In der Bundesliga aber, wo immer dieselben waren, habe ich einen schlechten Ruf gehabt.“

Doch neben dem Menschen Ilčo gab es eben auch den Fußballer Naumoski, dem Walter Schachner Anfang der 2000er attestierte Europas bester Stürmer im Ballhalten zu sein: Ein Spieler, der groß und technisch gut war, sich vorne festbiss und ein Tor nach dem anderen erzielen konnte. Diese Qualitäten hätten dem 1,91 Meter großen Profi beinahe einen Vertrag bei der AS Roma eingebracht. Letztendlich war die Bank auf der Ilčo irgendwann landete, aber nicht die (Auswechsel)bank des Stadio Olimpico sondern die (Anklage)bank des Wiener Landesgerichts für Strafsachen: 2016 wurde er wegen zweifacher Körperverletzung zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Aktuell arbeitet der 49-fache mazedonische Teamspieler als Trainer beim SC Ebergassing.

Heißsporn mit Torriecher, Genie und Partizan [sic!]

Die Weichen für die Fußballkarriere des späteren Nationalspielers wurden schon vor seiner Geburt gestellt: Ilčos Vater kam in den 70ern als Gastarbeiter nach Wien, verfolgte in seiner Freizeit die Spiele des SK Rapid und war ein Verehrer von Goleador Krankl. Sohn Ilčo, der im Sommer 1983 im damaligen Jugoslawien geboren wurde, startete seine Jugendkarriere 1995 schließlich über den Umweg Korneuburg bei den Hütteldorfern. Schon damals zeigte sich sein streitbarer Charakter. Nicht nur seine Leidenschaft für Fußball und Rapid dürfte Ilčo von seinem Vater geerbt haben, sondern eben auch sein hitziges Gemüt: Als sein Junior in der U 19 einmal ausgewechselt wurde, querte Naumoski Senior mitten im Spiel das Feld um sich lautstark und ausfallend mit dem Nachwuchstrainer anzulegen. Man kann sich redlich ausmalen, dass die Profikarriere im Westen Wiens für den Stürmer schwer zu erreichen war. Letztendlich verdiente sich Naumoski in Amateurteams erste Sporen im Erwachsenenfußball. Über den SV Stockerau und Klingenbach landete er schließlich in Graz.

Der Stürmer wechselte 2002 zum GAK, dem damals Dritten der Liga. Die Steirer hatten ihn bei Klingenbach, die zunächst als Fix-Absteiger gehandelt worden waren, aber – dank Naumoskis Toren – nur knapp am Zweitliga-Meistertitel vorbeischrammten, beobachtet und holten ihn als Nachwuchshoffnung in die Landeshauptstadt. Bei den Grazern kickten damals arrivierte Spieler wie Ramusch, Tokic, Bazina und Toni Ehmann. Bei Letzterem stellte sich Ilčo gleich an seinem ersten Tag gebührend vor: „Ich komme zum ersten Training, er sagt: ,Trag das Tor!‘ Wenn Bazina oder Tokic das sagt, okay, Respekt. Aber so? Ich sage: ,Kannst es selber tragen, oder deine Mutter soll es tragen, du Volltrottel.‘“ Tja. Noch Fragen, warum Ilčo es mit seinen Mitspielern oft schwer hatte? Oder besser gesagt: Diese mit ihm. Damals träumte er aber davon in der Champions League-Quali zu spielen und biss sich durch. In jener Zeit sollte der Offensivfußballer auch mazedonischer Nationalspieler werden. Letztendlich kam er in zwei Saisonen zwar nur in 32 Spielen zum Einsatz, war aber so Teil der roten Meistermannschaft des Jahres 2004.

Der Zwist mit Kapitän Ehmann und sein Wunsch ins Ausland zu wechseln, führten schließlich dazu, dass der Angreifer auf Vermittlung seines Freundes Mohammed Akagündüz einen Leihvertrag bei Malatyaspor in der türkischen Liga unterschrieb. Dort verhinderten jedoch Knieprobleme, dass er sich durchsetzen konnte. Der Mazedonier entschloss sich zu einer neuen Leihe bei Calcio Catania auf Sizilien. Er erinnert sich: „Ich habe sechs Monate nur trainiert, durfte aber nicht spielen.“ Die Grazer erteilten dem Stürmer keine Freigabe für die Serie B und Ilčo packte erneut seine Koffer.

2005 fand er sein Glück im beschaulichen Mattersburg. Mäzen Martin Pucher hatte den Offensivspieler schon zu dessen Klingenbacher-Zeit auf dem Zettel gehabt, jetzt stimmte Naumoski, der kaum mehr wählerisch sein konnte, dem Transfer zu. Außerdem war der Vertrag – wie man seit dem Bank-Burgenland-Skandal weiß – überdurchschnittlich gut.

Lokalstar im Burgenland, Häferl, Versehrter

Schon wenige Wochen nach Beginn der Saison bombte sich der Teamstürmer in die Herzen der Mattersburger: Drei Treffer in sieben Spiel. Naumoski und der SVM – es begann eine bis 2013 andauernde Hass-Liebe: Zeitweilig war der Angreifer on fire und bescherte dem Underdog so manchen wichtigen Punkt, dann schwächte er durch Revanchefouls, Tätlichkeiten und Kritik seine Mannschaft oder agierte lustlos. Es war hopp oder dropp.

Die Höhepunkte seiner Karriere in grün-weiß waren zwei verlorene Cupfinali: Schon in seiner ersten Saison schoss Naumoski im legendären Cup-Halbfinale gegen Salzburg nach einer zwei Tore-Führung der Bullen zunächst den Ausgleich und dann in der 110. Minute den entscheidenden 3:2 Treffer. Im Endspiel hatte man zwar gegen die Austria keine Chance, schaffte es aber in der folgenden Saison erneut ins Finale, wo man den großen Triumph gegen denselben Gegner nur äußerst unglücklich verpasste. Unterm Strich reichte es nicht zu einem lucky punch.

In der Liga spielte Naumoski wechselhaft und sollte unter dem langdienenden Trainer Franz Lederer schließlich der Spielmacher der als „Holzhackertruppe“ verschrienen Elf werden. Dies gelang nur phasenweise. Mit dem Abstieg 2013 war auch das Kapitel Naumoski beim SVM zu Ende geschrieben, er wechselte zu Inter Baku und anschließend nach Skopje.

Insgesamt standen am Ende seiner Karriere 17 Sperren; der exzentrische Profi bekam dabei 88 gelbe Karten und wurde ganze achtmal vom Platz gestellt. 2010 gelang dem damals fast 29-jährigen das Kunststück noch vor Beginn der Saison mehrere Wochen gesperrt zu werden, da er sich in einem Testspiel mit dem Schiedsrichter angelegt hatte. Selbst seine Mitspieler waren vor ihm und seinen cholerischen Ausbrüchen nicht sicher, so würgte er seinen Teamkollegen Róbert Waltner oder brüllte Tormann Borenitsch an. Große Teile der Bundesliga-Fanszene schossen sich irgendwann auf Naumoski ein und bedachten ihn regelmäßig mit Hohn. Naumoski machte brav mit: Jetzt stell dir einmal vor, du kommst aufs Feld, und die beschimpfen deine Mutter. Was soll ich denn sagen? Super? Ich bin einfach nicht der Typ dafür, und wenn ich ein Tor mache, dann reize ich sie auch. Geben und nehmen.“ Der damalige Rapidler Jürgen Patocka brachte auf den Punkt, was viele dachten: „Naumoski ist einfach ein unguter Spieler.“

Selbst den eigenen Fans wurde es zeitweise zu bunt, der Offensivspieler schadete sowohl sportlich als auch außerhalb des Platzes dem Ansehen seines Arbeitgebers. In einer Gruppe in den sozialen Medien forderten SVM-Fans seinen Rauswurf. Soweit sollte es jedoch nie kommen, die Karriere des Ilčo N. nahm aber trotzdem ein trauriges Ende: Bei Vardar Skopje erlitt er ohne Fremdeinwirkung einen offenen Schien- und Wadenbeinbruch sowie einen mehrfachen Bänderriss, der seine Karriere abrupt beendete. Dank schlechter medizinischer Behandlung humpelt der einstige Tormannschreck bis heute. Seither arbeitet der Ex-Spieler als Trainer und war schon in China, Serbien sowie seiner mazedonischen Heimat aktiv. Jetzt ist er wieder in Österreich, wo er seit Jahren seinen Lebensmittelpunkt im 16. Wiener Gemeindebezirk hat.

Keine Frage, Ilčo Naumoski war einst einer der begabtesten Stürmer der Bundesliga: Ein echter Brecher – kopfballstark, schnell, torgefährlich. Für seinen Spielstil war auch seine Mentalität als „Grätzn“ wichtig, leider konnte er diesen unbändigen Durchsetzungswillen aber nicht kanalisieren, wie es für einen Klassespieler à la aggressive leader wichtig wäre: Van Bommel, Ibrahimovic, Keane. Der Mazedonier wurde schnell persönlich, kannte keine Grenzen und war von Humanaskese, wie sie für einen Berufssportler bis zu einem gewissen Grad, notwendig ist, soweit entfernt wie sein Nationalteam vom WM-Titel. Ungeniert erklärte der eingefleischte Partizan Belgrad-Fan vor einiger Zeit etwa, er habe sich absichtlich Sperren durch gelbe oder rote Karten geholt, damit er zum Lokalderby seines Herzensklubs gegen Roter Stern fahren könne. Seine Prioritäten waren wohl eindeutig verteilt.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag