Dass Hans Orsolics im vergangenen Mai seinen 75. Geburtstag feiern konnte, war so nicht zu erwarten: Zwar einte „Hanse“ als jüngster Boxeuropameister im Halbweltergewicht... Anekdote zum Sonntag (155) – Schlag-fertig

Dass Hans Orsolics im vergangenen Mai seinen 75. Geburtstag feiern konnte, war so nicht zu erwarten: Zwar einte „Hanse“ als jüngster Boxeuropameister im Halbweltergewicht und Weltranglistenerster einst das graue Nachkriegsösterreich vor den TV-Apparaten und wurde zu einem Sportstar, als er jedoch seine Karriere im Alter von 28 Jahren beendete, sollte sein Leben wie ein Kartenhaus zusammenfallen.

Hoch verschuldet, arbeitslos, alkoholabhängig und von den falschen Freunden verlassen, strandete der Wiener sogar im Gefängnis. Über zehn Jahre dauerte diese Talfahrt, ehe Hans‘ zweite Luft kam: Der Ex-Champion bestritt seinen wichtigsten Kampf – die Entziehungskur -, heiratete und schlug mit der Austropop-Single „Mei potschertes Leben“ aus seinem Schicksal Kapital. Orsolics wurde zum Stehaufmännchen der Nation. Er lebt heute in einer kleinen Gemeindewohnung in Wien-Meidling, hat den Krebs besiegt, bekommt Pension aus seiner Tätigkeit als Lagerarbeiter und musste seinen letzten alten Freund Sigi Bergmann beerdigen. Nüchtern zieht der Ex‑Europameister Bilanz: „Ich war immer entweder ganz oben oder ganz unten. Die Mitte hat mich nie interessiert.“

Ganz unten begann auch sein Leben: Orsolics Eltern stammten aus dem strukturschwachen Südburgenland und zogen mit ihren drei Kindern in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Wien. Der Vater arbeitete als Elektroschweißer, die Mutter war Hausmeisterin. Trotzdem war das Geld immer knapp und durch die ewig feuchte Wohnung und das karge Essen kränkelte der kleine Hansi in seinen ersten Lebensjahren viel. Als Teenager jedoch begann der nur 1,70 Meter Große Bärenkräfte zu entwickeln. Mit seinen Freunden zog der spätere Boxer durch das hässliche Nachkriegswien: Erst in Ottakring, dann in Kaisermühlen. Meinungsverschiedenheiten regelte Hans gerne mit seinem gefürchteten rechten Haken. Ab 1959 versuchte er seine überschüssige Energie beim Vereinsfußball loszuwerden und begann beim SV Donau zu kicken.

Dort wuchs damals eine goldene Generation heran: So schnürte zu dieser Zeit die Austria-Legende Robert Sara gemeinsam mit Bruder Sepperl ihre ersten Fußballschuhe bei den Blau-Schwarzen. Spielmacher und Holland-Legionär Willy Kreuz begann als Siebenjähriger beim SV Donau und Ferdinand Milanovic, der 1974 mit VOEST Linz Meister werden sollte, genoss seine fußballerische Ausbildung ebenfalls im 22. Wiener Gemeindebezirk.

Während diese Talente über den SV Donau den Sprung zu den Profis schaffen sollten, endete die Spielerlaufbahn ihres Teamkollegen Orsolics jedoch in einem Eklat: Eines Nachmittags brachte ein Spieler der Gegenmannschaft den späteren Kampfsportler mit einem Foul zu Fall. Der Schiri pfiff und die Sache hätte vorbei sein können: Ballfreigabe, Freistoß, weiterspielen. Doch in Sekundenbruchteilen war ein Kabelbrand in Hans‘ Hirn entfacht: Zornentbrannt rappelte er sich auf und jappelte dem Übeltäter, der gemächlich in die eigene Hälfte zurücktrabte, nach. Weit hinter der Mittelline streckte Orsolics seinen Kontrahenten mit einem gezielten Schlag ins Gesicht nieder. Die anwesenden Kicker konnten bei diesem Mordshieb ihren Augen kaum trauen. Der Schiedsrichter zeigte dem Hauptschüler mit schlotternden Knien Rot. Dass ein schmächtiger Bub eine derartige Eisenfaust sein Eigen nannte, hatte er noch nicht gesehen.

Orsolics selbst blieb ruhig und nahm den Platzverweis ohne Widerspruch zur Kenntnis: Mit der Racheattacke an seinem Gegner war der Kas‘ für ihn gegessen. Später auf den Vorfall angesprochen meinte er nur nüchtern: „Da hab‘ ich mir gedacht: Kannst ja gleich Boxer werden.“ Gedacht, getan.

Der straßenkampferfahrene Zwölfjährige tat es seinem um zehn Jahre älteren Bruder Fredl, der bereits regelmäßig in der Märzstraße trainierte, und seinem besten Freund „Jolly“, der kurioserweise im Polizeiboxsportklub Sandsäcke verdrosch, in der Folge gleich. Vier Jahre später war Hans österreichischer Jugendmeister und seine Boxkarriere begann zu florieren. Als diese jedoch vorbei war, sorgte sein unbeherrschtes Naturell wieder für Schwierigkeiten: Schlägereien endeten für Orsolics nach dem Ende seiner Karriere nicht mehr vor dem Punkte- sondern vor dem Strafrichter. Nicht nur einmal musste er sich vor Gericht verantworten. „Wer lässt sich schon gerne eine Watsch’n runterhauen?! Kein Mensch!“, verteidigte er sich dann. Obwohl er damals bereits weit über 30 Jahre alt war, sprach immer noch jener Halbwüchsige aus ihm, der einst für den SV Donau gekickt hatte.

Marie Samstag