Der SK Rapid muss sich in der 3. Qualifikationsrunde zur UEFA Champions League der KAA Gent geschlagen geben. In einer Partie, in der die... Analyse: Kühbauer vercoacht Millionen-Spiel in Gent

Der SK Rapid muss sich in der 3. Qualifikationsrunde zur UEFA Champions League der KAA Gent geschlagen geben. In einer Partie, in der die Physis zugunsten der Belgier entschied, leistete sich Rapid-Trainer Kühbauer zwei haarsträubende allgemeine Fehler. Das Spiel ist getrost als „vercoacht“ zu bezeichnen.

Der neue Gent-Coach Wim De Decker wartete mit kleineren Umstellungen, aber keinen besonderen Überraschungen auf. Dass etwa Yaremchuk ins Team zurückkehren würde, war klar – weniger allerdings, dass der robuste Laurent Depoitre als Raumöffner für Yaremchuk und Chakvetadze beginnen würde. In der Innenverteidigung entschied sich De Decker für seinen langjährigen Schützling Dino Arslanagic und gegen den routinierteren Igor Plastun. Auch im Tor setzte der Coach weiter auf den fehleranfälligen Davy Roef und entschied sich damit gegen Sinan Bolat.

Dreifachsechs und die Extraportion Physis im Angriff

Auch in der Dreifachsechs setzte De Decker auf Altbewährtes und brachte das Trio Dorsch-Owusu-Kums und ließ damit den wiedergenesenen Kapitän Odjidja-Ofoe auf der Bank bzw. nutzte ihn später als stabilisierenden Joker. Die Variante mit Chakvetadze als Zehner und dem geradlinigen Yaremchuk als spielenden Stürmer war auch eine Option, die zu vermuten war. Nach Chakvetadzes verletzungsbedingter Auswechslung nach einer Stunde agierte Gent weiter im 4-3-1-2, in dem die Automatismen aber ebenfalls weitgehend vorhersehbar waren, zumal Bezus statt Chakvetadze in dieser Ausrichtung ein reiner Position-für-Position-Wechsel war. Mit Ausnahme der Extraportion Physis, die Depoitre ins Spiel brachte, war Gent also keineswegs überraschend eingestellt.

Guter Beginn, aber Gent stabilisiert sich

Rapid wusste also binnen kürzester Zeit, was auf sie zukommen würde. Zu Beginn im 3-4-1-2-System kamen die Wiener auch zu guten Chancen und drängten Gent durchaus in die eigene Hälfte. Es schien so, als würde sich ein Spiel auf Augenhöhe entwickeln, allerdings mit einem grundlegenden Unterschied: Rapid wurde von Kühbauer nämlich so eingestellt und gecoacht, als würde es noch ein Rückspiel geben…

Eigene Asymmetrie macht Rapid Probleme

Sowohl Maximilian Hofmann, als auch Leo Greiml waren im Zuge des Dreierkettensystems in der ersten Stunde stark auf Depoitre und Yaremchuk konzentriert, während Stojkovic stärker nach außen pendelte und viele Duelle in der Region der Seitenlinie „zog“. Arase agierte als rechter Flügelverteidiger und hatte damit ein riesiges Laufpensum abzuspulen. Murg gab indes die Zehn, antizipierte aber deutlich zu wenig und positionierte sich eher als Zielspieler auf ähnlicher Höhe wie Fountas oder Kara. In diesem Muster bzw. dieser Staffelung gab es gleich mehrere Kardinalsfehler.

Gents Weg zur Kontrolle über das Mittelfeld

Die Dreierkette agierte asymmetrisch, was Gent immer wieder Schnittstellen öffnete. Die Mittelfeldstaffelung passte nicht bzw. verunmöglichte es, die massive Dreifachsechs der Belgier zu spiegeln. Hinzu kam, dass mit Owusu der beste Mann des Spiels über weite Strecken praktisch unpressbar war. Dies wäre die Aufgabe der zweiten Pressinginstanz hinter dem anlaufenden Kara gewesen – also am ehesten die von Fountas und Murg. Während man in der Anfangsphase noch einige gute Ballgewinne verzeichnen konnte, übernahm Gent nach und nach die – vor allem physische – Kontrolle über das Mittelfeld.

Arase-Positionierung als Schlüssel für Gent

Rapid bekam somit absolut keinen Zugriff auf die Zentrale. Das größte Problem war dabei die Asymmetrie und der damit verbundene Laufaufwand. Ljubicic wurde zu häufig ins „Leo“ gestellt, Petrovic war der einzige positionstreuetechnisch konstant agierende Sechser und Arase wurde eine Aufgabe zuteil, die er einfach nicht beidseitig – also defensiv und offensiv – gut lösen konnte. Die Probleme: Arases technische Mängel, seine körperliche Unterlegenheit gegen seine direkten Gegenspieler und schlussendlich die Tatsache, dass er als Flügelverteidiger – speziell gegen einen derart physischen Gegner und in Bezug auf die defensive Komponente – einfach nicht geeignet ist.

Das Problem des „offensiv denkenden Defensivspielers“ vor dem 0:1

Das 1:0 für den belgischen Vizemeister durch Niklas Dorsch war das Resultat aus diesem Problem. Hier die Spielszene unmittelbar vor Sven Kums‘ Flanke:

Greiml bewacht Depoitre, Hofmann besetzt die Zentrale, Stojkovic muss sich an Yaremchuk (7) orientieren. Auch Ullmann hat seinen Gegenspieler Castro-Montes im Blick, könnte ihn im Fall der Fälle problemlos stellen. Durch den geringen Zugriff in der Zentrale – Petrovic übt zu wenig Druck auf Kums aus und Ljubicic hat gleich zwei Spieler in seinem Rücken – können die Belgier ihren Prellbock Depoitre anspielen.

Depoitre schirmt den Ball gegen Greiml ab und zieht Ljubicic und Petrovic auf sich. Yaremchuk orientiert sich an Hofmann und entzieht sich der Deckung von Stojkovic, der aber gleich seinen Fokus auf einen möglichen Vorstoß von Chakvetadze (10) fokussiert ist. Dadurch geht die Lücke für den Laufweg von Dorsch (30) auf, den Arase viel zu spät bemerkt. Man sieht hier, dass Arase speziell den Ballführenden beobachtet und sein direktes Umfeld zu wenig scannt.

Die Mittelfeldspieler können Depoitre nicht an der Ablage hindert, was aber angesichts der ansonsten soliden Mannorientierung nicht zwangsläufig problematisch sein muss. Allerdings läuft nun Dorsch durch und hat bereits den entscheidenden Meter Vorsprung auf Arase, der sich noch immer zum Ballführenden orientiert. Die Flanke von Sven Kums kommt perfekt und Dorsch stellt auf 1:0.

Den Moment der nötigen Umstellung verpasst

Es war eine Fehlerkette, wie sie in einem 4-2-3-1 vermutlich so nicht passiert wäre. Klar hätte es hier andere potentielle Fehlerquellen gegeben, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre Dorsch – wenn überhaupt – in ein Duell mit einem etatmäßigen Defensivspieler gekommen. Da Arase auch zuvor schon massiv fehlerbehaftet agierte, wäre spätestens hier der Moment dagewesen, umzustellen, das System auf ein 4-2-3-1 zu ändern und den spielstarken Demir statt Arase zu bringen. Dies hätte die Anfangsformation vom starken Admira-Spiel wiederhergestellt. Bis hierher ließ Kühbauer aufgrund des 0:0-Zwischenstandes legitimerweise in der Anfangsgrundordnung spielen – dass er es aber danach noch immer tat, obwohl Rapid nun ins Schwimmen kam, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar.

Entstehungsgeschichte des Elfers als Folgeerscheinung

Nach einer Stunde sorgte Chakvetadzes Durchbruch für einen Elfmeter für Gent. Ebendiese Durchbrüche des jungen Georgiers sind ebenfalls absolut keine Überraschung. Alleine in den letzten Spielen von Gent war dies immer wieder zu beobachten. Das Hauptproblem war jedoch, dass Kühbauer trotz des Rückstands die Grundordnung nicht änderte und den schwachen Arase weiterspielen ließ, anstatt für Esprit von der Bank zu sorgen.

Jetzt wird’s kurios: Kühbauer ändert das System, ändert sonst aber nichts…

Selbst nach dem 0:2 machte Kühbauer keine Anstalten personell etwas zu verändern. Zwar stellte der Rapid-Trainer nun auf ein 4-2-3-1 um, aber den ersten Wechsel – Demir für Arase – vollzog er erst nach 73 Minuten und damit um eine gute halbe Stunde zu spät. Dass Demir für viel Wirbel sorgte, mit seiner Technik die gegnerischen Defensivreihen vor Probleme stellte und schließlich sogar das späte Anschlusstor erzielte, geschah fast schon mit Ansage. Es scheint ein „österreichisches exklusive Salzburg“-Problem zu sein, dass man Jahrhunderttalente nicht „verheizen“ will, während sie bei Topvereinen immer jünger ihre Chancen bekommen. Dass mit Demir eine der größten Waffen in einem Fünf-Millionen-Spiel bis zur 73.Minute zuschauen muss, während der inferiore Arase immer mehr mit sich selbst haderte, ist fahrlässig.

Zu später Formationswechsel, viel zu späte Wechsel

So darf man ein derart wichtiges und vor allem teures, einzelnes K.O.-Spiel einfach nicht angehen. Der Rattenschwanz, der noch nachkommt, etwa, dass die Notwendigkeit von Spielerverkäufen damit wieder größer wurde, ist nur die Spitze des Eisbergs. Das größere Problem ist die Tatsache, dass man eine große Chance gegen einen individuell durchaus starken, aber taktisch und mannschaftlich weitgehend biederen Gegner ausließ. Kühbauer konnte von der Gent-Herangehensweise schlichtweg nicht überrascht gewesen sein – zu logisch war der Auftritt der Belgier. Dennoch sah er einigen Mannschaftsteilen beim permanenten Unterzahlspiel zu, ließ die schwächsten Spieler deutlich zu lange auf dem Platz und riss beispielsweise Arase aus seinem grundlegenden taktisch-spielerischen Korsett und tat ihm damit keinen Gefallen.

Miserables Coaching für ein Millionenspiel

Nach dem Spiel konstatierten einige Spieler, dass Rapid die bessere Mannschaft gewesen sei. Das lässt sich definitiv nicht pauschal so sagen, denn in Bezug auf Kampfkraft und Physis war man das ganz bestimmt nicht. Thematisiert wurden später auch Greimls Elfmeterfoul und seine vergebene Kopfballchance mit der letzten Aktion des Spiels. Auch das sollte nach einem solchen Spiel kein Thema sein, die Personalie Greiml wurde im Nachhinein viel zu intensiv thematisiert. Vielmehr vermisste man als Zuschauer das Eingeständnis Kühbauers, dass sein Matchplan komplett am Ziel vorbeischoss und man diesen nicht gerade facettenreichen Gegner völlig falsch bespielte bzw. auch das In-Game-Coaching schlichtweg miserabel war. Das deutlich zu lange Festhalten an der Dreierkette und die späten personellen Adaptierungen brachen Rapid gegen einen schlagbaren Gegner das Genick…

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen