Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (91): Lieber FC Schalke 04!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an einen deutschen Fußballverein …

Lieber FC Schalke 04!

Du wirst aktuell von vielen als Fix-Absteiger gehandelt und ich kann mir vorstellen, wie schwer das für dich sein muss, denn hinter einem Verein stehen immer Menschen: Die Spieler, die Betreuer, die Angestellten, die Fans, die Sponsoren. Kollektiv hat diese bunt zusammengewürfelte Menge jetzt panische Angst: Die Knappen sind auf sportlicher Talfahrt.

Lieber FC Schalke, du bist die erste Fußballmannschaft, die in der deutschen Bundesliga saisonübergreifend 30 Bundesligaspiele in Serie nicht gewonnen hat, und noch dazu hochverschuldet. Jetzt läufst du Gefahr dein einziges Kapital – deine Fanszene – auch noch zu verspielen. Ich hatte einmal die Ehre (und das große Vergnügen) deine Geschichte für einen Artikel aufzuarbeiten. Du bist ein Verein nach meinem Geschmack: Ein Klub gegründet von Arbeitern für Arbeiter, der in einer strukturschwachen Gegend zum Religionsersatz mutiert ist. Du bist Mythos in all seinen Facetten. Du bist 4-Minuten-Meister, „Kreiselerfinder“, Ruhrpottlegende. Aber leider ist seit den 90er-Jahren der Hund drin und da spreche ich nicht vom sportlichen Aspekt, sondern vor allem von finanziellen und unternehmerischen Faux-pas, die du dir geleistet hast. Schließlich hast du bis vor wenigen Jahren oben mitgespielt, bist immer wieder Pokalsieger geworden und hast international für Erfolge gesorgt. Aber hinter den Kulissen brodelte es schon lange: Der Aufsichtsrat segnete schräge Geschäfte ab und dein Schuldenberg wuchs. Viele sagen, das „System Tönnies“ sei schuld. Tja. Clemens Tönnies ist seit Juni nicht mehr Aufsichtsratsvorsitzender des Vereins. Er hat jedoch einen Scherbenhaufen hinterlassen, dazu kommen aktuell die Corona-Krise und deine miserable sportliche Bilanz.

Das ist bitter und ich stelle mir die Frage: Wie lange machen das die Anhänger noch mit? Schalker Fans sind geduldig, aber man sollte ihre Liebe nicht überstrapazieren. Was mich positiv stimmt? Jede Krise ist die Möglichkeit eines Neuanfanges: Es stand schon einige Male schlecht um dich. Zuletzt etwa in den 80ern. Du hast dich immer wieder erfangen. Wie das ging? Mit Neuorientierung, ohne die Wurzeln zu vergessen. Lieber FC Schalke, du kannst das!

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag