Letzten Sonntag befassten wir uns mit dem Schicksal von Lutz Eigendorf, dieses Mal ist der Protagonist des G’schichterls, der story, ein Mann, der ein... G’schichterln ums runde Leder (18) – Die Ernst-Willimowski-Story: Deutschland, Polen, Schlesien.

Letzten Sonntag befassten wir uns mit dem Schicksal von Lutz Eigendorf, dieses Mal ist der Protagonist des G’schichterls, der story, ein Mann, der ein Stück Schlesische Zeitgeschichte verkörpert: Ernst Willimowski.

Unbekannt ist, dass Willimowski vor allem ein brillanter Fußballer war. Der deutsche Weltmeisterkapitän Fritz Walter nannte ihn den „größten aller Torjäger“. An die 1.175 Tore soll der 172cm kleine Stürmer erzielt haben. Unauffällig wie eine Kobra lauerte Willimowski in Strafraumnähe und verwertete alles, was es zu verwerten gab. Sein Talent flog ihm jedoch nicht zu, er trainierte für damalige Verhältnisse zielführend und modern: „Jeder Stürmer musste schnell sein. Ich habe beispielsweise den ganz kurzen Start geübt, 10-Meter-Start, schwupp, war ich dem Gegner weg.“ Darüber hinaus war er aber mit Beidfüßigkeit und Ballgefühl gesegnet, so beherrschte er auch hervorragend die Sportarten Handball, Eishockey und Tischtennis.

Noch ist Polen nicht verloren

1526 erlangten die Habsburger die Herrschaft über Schlesien, die sie 1742 an Preußen abgeben mussten. Heute gehört die über 40.000 km2 große Region zu Polen. Schlesien hat den Weltkrieg und den kalten Krieg überlebt, mit dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus alle schlechten -Ismen durchgemacht und ist inzwischen eine Region, deren Besonderheiten durch die Europäische Union geschützt werden sollen.  Kattowitz liegt im oberschlesischen Industrierevier. Die Spuren des deutschen Lebens sind dort heute kaum mehr sichtbar, ironischerweise sind die einzigen Hinweise auf die Jahrhunderte andauernde Siedlung deutschsprachiger Völker auf dem jüdischen Friedhof der Stadt zu finden.

Ernst Willimowski sah sich sein Leben lang als Oberschlesier. Der spätere Wunderstürmer erblickte am 23. Juni 1916 in Kattowitz das Licht der Welt. Seinen Vater lernte er nie kennen, dieser blieb im Ersten Weltkrieg vermisst. Der Bub trug zunächst den Mädchennamen seiner Mutter, ehe er 1922 als Ernest Wilimowski [sic!] eingeschult wurde. Ernest ist die polnische Form von Ernst, denn Kattowitz gehörte zu diesem Zeitpunkt schon zu Polen. Willimowski kickte zunächst auf der Straße, bis er als Elfjähriger zum 1. FC Kattowitz kam. Dort wuchs er zu einem robusten Mittelstürmer heran. Für die (damals) horrende Ablösesumme von 1000 Złoty wechselte der 17-jährige zum Serienmeister Ruch Wielkie Hajduki nach Chorzów (Königshütte). Der Mann mit Henkelohren und brandrotem Haar machte sich rasch einen Namen. So debütierte er ein Jahr später im polnischen Nationalteam und wurde bei der Wahl zum Sportler des Jahres 1934 auf Platz vier gewählt. In 22 Spielen für die Nationalmmanschaft sollte „Ezi“, wie er gerufen wurde, 21 Tore schießen. Mit seinem Klub wurde er vier Mal Meister.

Das Bewegungstalent mit sechs Zehen am rechten Fuß hatte allerdings nicht das Glück in Zeiten zu leben, wo er sich voll und ganz auf seinen Sport konzentrieren konnte. Im Jahre 1939 besetzte die Deutsche Wehrmacht Polen. Willimowski schrieb sich – diesmal mit zwei „L“ im Namen – in die deutsche Volksliste ein, um die Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen. Er wechselte über den Verein Bismarckhütter SV zurück zu seinem Kattowitzer Stammklub, ehe er für Chemnitz auf Torejagd ging. International kickte Wilimowski zunächst für eine oberschlesische Auswahl. Was ihn zu diesen Handlungen bewegte, kann heute nicht aufgeklärt werden. Angeblich fürchtete der Stürmer Repressalien des Regimes, seine Tochter charakterisiert ihn dagegen als Opportunisten: „Er hat sich nie viel aus Nationalitäten gemacht. Er war mal der Pole, mal Deutscher, so wie er am besten durchkam.“

Point of No Return

Neben seiner sportlichen Karriere meldete sich der Angreifer zum Polizeidienst, vorgeblich um einem Einsatz als Wehrmachtssoldat zu entgehen. 1941 debütierte Willimowski schließlich in der deutschen Nationalmannschaft. Gegen die Schweiz schoss er vier Tore – wie einst im Achtelfinale der WM 1938, damals als erster Spieler in einem WM-Match, damals aber für Polen. Das Schlitzohr knüpfte auch mit Hakenkreuz-Adler auf der Brust an seine erfolgreiche Karriere an. Scheinbar mühelos gelang es dem Schlesier aus jeder Lage zu treffen. „Ezi“ verfügte über eine makellose Technik und kannte keine Angst. Irgendwie schaffte er es immer den Ball über die Linie zu drücken. Unvergessen sein Auftritt, als er für 1860 München stürmte und gegen eine SS-Truppe aus Straßburg bei einem 15:1-Sieg sieben Tore erzielte. Trotz seines sportlichen Ehrgeizes war Willimowski aber auch kein Kostverächter: Er genoss sein Leben, liebte Alkohol und Frauen. 1983 porträtierte ihn der Regisseur Stanislaw Jedryka in seinem Spielfilm „Do góry nogami“ mit Segelohren und Wodkaflasche. Willimowskis Tochter Sylvia behauptet jedoch, dass ihrem Vater eigentlich nur zwei Dinge etwas bedeuteten:  Fußball und Schlesien.

Genau dorthin konnte Willimowski aber nach dem verlorenen Krieg nicht zurück. In Polen wurde er als Verräter geächtet und musste strafrechtliche Verfolgung befürchten. Der Stürmer tingelte von Klub zu Klub. 1959 beendete er beim Kehler FV seine aktive Karriere. Für eine Nationalmannschaft – gleich welchen Landes – war er nach dem Krieg nie wieder aufgelaufen. Am 30. August 1997 starb Ernst Willimowski in Karlsruhe. Seine historische Einordnung ist schwer: Zeitgenossen charakterisieren ihn als unpolitisch aber auch als stolzen Schlesier. Er soll Willy Brandt bewundert haben, da dieser einer der wenigen deutschen Nachkriegspolitiker war, die aktiv eine Aussöhnung mit Polen betrieben hatten. Der Stürmerstar, der ein Lotterleben führte, war ein Mensch, der zerrissen war: Einerseits war er tiefgläubiger Katholik andererseits Partymonster. Er konnte schwierig und grob sein, dann wieder kameradschaftlich. So oder so entstammte der Stürmerstar jenen alten Völkern, die bewusst gemischt waren und deren Identität sich nicht in einem Pass manifestierte. Post mortem scheint es zu einer Versöhnung gekommen zu sein: Der polnische Verband listet ihn als einen seiner Fußballlegenden, Ruch-Chorzow-Fans schmücken regelmäßig sein Grab. Es ist aber an und für sich schade, dass nationale Querelen dazu führten, dass die Karriere und die sensationellen Qualitäten des Ernst Willimowski heute vergessen sind.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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