Das „Finalwochenende“ im europäischen Bewerb läutete die Europa League mit der Begegnung zwischen dem italienischen Vizemeister Inter Mailand und dem FC Sevilla ein.... Analyse: Spektakuläres Europa-League-Finale endet mit Erfolg für den Rekordsieger

 

Das „Finalwochenende“ im europäischen Bewerb läutete die Europa League mit der Begegnung zwischen dem italienischen Vizemeister Inter Mailand und dem FC Sevilla ein. Die Italiener aus der Modestadt setzten sich dabei mit einem komfortablen 5:0-Sieg gegen Shakhtar Donetsk durch und spazierten ins Finale, während der FC Sevilla einen zwischenzeitlichen Rückstand gegen Manchester United noch in einen 2:1-Erfolg umdrehte. Das Spiel versprach also im Vorfeld viel Spannung und diese sollte letztlich auch nicht zu kurz kommen.

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Italienische Organisation vs. Spanisches Juego de Posicion

Bei diesem Duell trafen nicht nur zwei stark besetzte Mannschaften mit klingenden Namen, sondern auch fußballerische Gegensätze aufeinander. Bei Inter Mailand steht unter Trainer Conte die Organisation an oberster Stelle, weshalb das Team vor allem in der Defensive schwer zu knacken ist. Inter setzt auf eine flexible 5-3-2/3-5-2-Formation mit einem extrem kompakten Block, der die Räume in der eigenen Hälfte nahezu in Perfektion verschließt. Aus dieser Kompaktheit fährt man gerne über die beiden Stürmer Martinez und Lukaku brandgefährliche Konter, was sich bei diesem Finalturnier bereits mehrmals bewährt hatte. Doch Inter ist nicht nur in der Defensivbewegung gut organisiert, auch fußballerisch weiß man Akzente zu setzen und speziell Sechser Brozovic weiß das Spiel von hinten zu gestalten.

Auf der anderen Seite liegt der Fokus beim FC Sevilla in Sachen Spielanlage eindeutig in der Offensive. Unter Trainer Lopetegui halten die Prinzipen des „Juego de Posicion“ Einzug und die Spielanlage basiert auf dem Positionsspiel. Das gesamte Feld wird in Zonen unterteilt und alle Positionen müssen dabei besetzt werden, wobei dies mit einem aggressiven Pressing garniert wird. Das führt dazu, dass die Andalusier eine sehr attraktive und zügige Spielweise pflegen und fußballerische Ausnahmekönner wie unter anderem Ever Banega dabei gut zur Geltung kommen. Daher war auch die spannendste Frage im Vorfeld dieses Spiels, welche Spielweise letztlich die Oberhand behalten würde. Bevor die Partie überhaupt Fahrt aufnehmen konnte, gab es schon den ersten Paukenschlag.

Sevilla versuchte von der ersten Minute an, die Italiener sehr aggressiv und forsch zu attackieren und gleich zu demonstrieren, dass man das Heft in die Hand und die Kontrolle über das Spiel übernehmen wollte. Das ging prompt in die Hose, denn nach einem Ballverlust von Banega, wurde Inter-Torjäger Lukaku in ein Eins-gegen-Eins-Duell gegen den Innenverteidiger geschickt, welches er dank seiner Athletik mit Leichtigkeit gewann und ein Elfmeterfoul provozierte. Den fälligen Strafstoß verwertete der gefoulte Lukaku selbst und brachte damit seine Mannschaft früh in Front. Das war für die Italiener und ihre bevorzugte Spielweise natürlich Wasser auf die Mühlen, weshalb Sevilla eine Antwort geben musste. Inter zog sich mit ihrer 5-3-2-Formation zurück in die eigene Hälfte und verschloss mit dem Block so gut es ging die relevanten Räume, während die Spanier diesen bespielen mussten.

Positionsspiel knackt Inter

Sevilla musste daher mit ihrer 4-3-3/4-2-3-1-Grundformation Lösungen finden. Die Andalusier konzentrierten sich dabei auf Flügelangriffe, die ein Markenzeichen darstellen. Dabei gibt es unterschiedliche Herangehensweisen auf den beiden Flügeln, die unterschiedliche Rollen einnehmen. Der rechte Flügel wird meist strategisch überladen und dort versucht man, konstant ein „Dreieck“ zu bilden. Der „Achter“ Jordan unterstützt dabei die beiden Flügel Jesus Navas und Suso tatkräftig und kontinuierlich, wobei die gesamte Vorgehensweise sehr flexibel ausgelegt wird. Viele Rotationsbewegungen sind bei Sevilla zu sehen und mal ist Rechtsverteidiger Navas im Halbraum präsent, während beispielsweise der Achter Jordan dessen Position übernimmt. Wie in den Prinzipien des Positionsspiels beschrieben, ist es nur wichtig, dass die Positionen besetzt sind, welcher Spieler das übernimmt, ist zweitrangig. Daneben tendierte Offensivspieler Suso recht stark ins Zentrum und zog mit seinem begnadeten linken Fuß kontinuierlich in die Mitte.

Auf der anderen Seite versuchte das Duo Reguilon und Offensivspieler Ocampos dagegen wesentlich direkter und zielstrebiger zu agieren. Ihr Tempo und ihre Dynamik sollten für Durchschlagskraft sorgen und Inter vor Probleme stellen. Das Ziel dieser Bemühungen war in erster Linie, den Zielspieler De Jong im Sturmzentrum mit Hereingaben zu füttern und in weiterer Folge auch mit einer passenden Strafraumbesetzung für Präsenz zu sorgen. Das funktionierte auch in mehreren Situationen recht gut und führte nicht von ungefähr zum Ausgleich. Das „Dreieck“ auf der rechten Seite spielte sich dank der Positionswechsel frei und der Ball kam zu Jesus Navas, der mit einer Hereingabe De Jong bediente, welcher per Kopf zum 1:1 traf. Das stellte die Uhren wieder auf null und damit war das Spiel wieder offen. Die Partie entwickelte sich immer mehr zu einer rassigen Angelegenheit, wobei das Pressing von Sevilla dabei eine wichtige Rolle spielte. Die Andalusier liefen Inter konstant an und wählten dabei eine interessante Vorgehensweise. Man formierte sich gegen den Ball zu einem 4-2-3-1 und wollte damit die Aufbauformation von Inter de facto spiegeln.

Das Ziel von Sevilla sah vor, dass man die zentrale Ballzirkulation der Mailänder unterbinden wollte, was die Paradedisziplin von Inter darstellt. Vor allem über Brozovic läuft diesbezüglich sehr viel und der Sechser zieht oftmals aus einer tieferen Position vor der Abwehr die Fäden. Also stellte Sevilla dem Kroaten mit Banega einen Manndecker zur Seite, weshalb es da oftmals zum direkten Duell der beiden Schlüsselspieler kam. Des Weiteren orientierten sich die beiden Flügelspieler von Sevilla an den Halbverteidigern und versperrten ihnen die Passwege nach vorne, während Mittelstürmer De Jong an Innenverteidiger und Landsmann De Vrij dranblieb. Inter sollte durch diese Vorgehensweise auf den Flügel gelenkt werden, wo man den Gegner dann isolieren wollte. Das klappte meist auch recht gut, da die Flügelverteidiger der Italiener dem Team spielerisch nicht wirklich einen großen Mehrwert verschafften. Nur selten gelang es Inter, gegen das Pressing von Sevilla, Lösungen zu kreieren und wenn doch, gelang es meist nur im Kampf um die zweiten Bälle, da man meist zu unkontrollierten hohen Pässen nach vorne greifen musste.

Auf der anderen Seite stachelte dies Inter scheinbar ebenfalls an, vermehrt die Spanier anzupressen und immer mal wieder den eigenen Rhythmus zu verändern. In dem Fall rückte oftmals ein zentraler Mittelfeldspieler in die Spitze nach vorne, um entweder einen Außenverteidiger anzupressen oder den Ankersechser von Sevilla anzulaufen. Das war dann auch der Grund, warum das Spiel so kurtweilig ablief und nicht nur emotional, sondern auch hektisch wurde. Beide Teams kamen zu ihren Möglichkeiten, wobei Sevilla mit wesentlich mehr Ballbesitz aufwarten konnte. Inter wollte zwar sicherlich mehr den Ball haben, aber durch die Manndeckung von Brozovic, lahmte das gesamte Aufbauspiel ziemlich und man fand kaum Lösungen gegen das Pressing von Sevilla. Es fehlte da schlicht am Plan B und wenn die Last der Spieleröffnung auf Routinier Godin gelegt wird, wird das klarerweise zum Problem.

Sevilla drehte dann sogar das Spiel und stellte nach einem schön einstudierten Freistoß durch De Jong auf 2:1. Doch die Führung von Sevilla wehrte nicht lange, denn quasi im Gegenzug traf auch Inter nach einem Freistoß und Godin stellte mit dem 2:2 den Gleichstand wieder her.

Spiel wird zerfahrener

Nach dem Wiederanpfiff versuchte Inter Lösungen gegen das Pressing-Problem zu finden und vor allem die Herausnahme von Spielgestalter Brozovic zu kompensieren. Man nahm in der Positionierung der zentralen Mittelfeldspieler kleine Adaptierung vor und schob Brozovic etwas nach vorne, während Barella und Gagliardini sich fallen ließen und etwas mehr Verantwortung übernahmen. Dadurch sollte für Unordnung bei der Zuteilung der Gegenspieler bei Sevilla gesorgt werden und die entstandenen Freiräume in weiterer Folge ausgenutzt werden. Das gelang zwar oftmals, allerdings hatte Inter dafür Probleme dann beim Übergang ins nächste Spielfelddrittel, wo man sehr fehlerhaft agierte. Allerdings konnte man immerhin im Spielaufbau vermehrt den Ballbesitz sichern, weshalb Sevilla nicht mehr so dominant agierte. Das führte dann auch in weitere Folge zu einer Großchance von Lukaku, der alleine vor dem Kasten am gegnerischen Torhüter scheiterte.

Sevilla passte zunehmend auch die Pressinghöhe an und agierte immer vorsichtiger und tiefer, was nicht wirklich überraschte. Durch das Aufrücken boten sich für die beiden Stürmer von Inter immer wieder Konterchancen und Räume an, was gegen die Mailänder ins Auge gehen kann – was man beim 1:0 von Inter sehen konnte. Es sollte also etwas mehr Kontrolle einkehren, da das Spiel ja auf Messers Schneide stand. Das war für das Spiel natürlich nicht förderlich, weshalb das Tempo und die Qualität rapide abnahmen. In dieser Phase merkte man, dass beide Teams das Risiko zunehmend scheuten und Angst hatten, einen Fehler zu begehen. Diesen Beging dann Inter – und Sevilla nützte ihn.

Nach einem Freistoß und anschließendem Fallrückzieher des aufgerückten Innenverteidigers Diego Carlos, lenkte Stürmer Lukaku den Ball unglücklich in das eigene Tor zum 3:2 für Sevilla ab. Daher war nun klar, dass die Italiener in der letzten Viertelstunde alles nach vorne werfen mussten, um noch den Ausgleich zu erzielen. Trainer Conte nahm auch einen offensiven Dreifachwechsel vor und brachte frische Kräfte, um für die nötige Durchschlagskraft zu sorgen. Inter kam auch zu Ausgleichschancen und Sevilla wackelte in einigen Momenten, jedoch konnten die Mailänder die vorhandenen Chancen nicht im gegnerischen Tor unterbringen. Dadurch blieb es letztlich beim 3:2 für Sevilla und die Andalusier krönten sich zum sechsten Mal zum Sieger der Europa League.

Fazit

Vor allem im ersten Durchgang war das Spiel auf einem hohen Niveau und recht kurzweilig, weshalb neutralen Zuschauern sehr viel geboten wurde und es an Spannung nicht mangelte. Sevilla überzeugte mit ihrer dominanten Spielweise, welche auf dem Positionsspiel beruht, während Inter sich ebenfalls als schwer zu knackender Gegner präsentierte und nicht viel zuließ, gleichzeitig im Konter aber brandgefährlich blieb. Allerdings erwischte das Sturmduo der Mailänder nicht den besten Tag und die Absicherung und das Gegenpressing der Spanier war meist gut, weshalb Inter im Umschaltspiel schwächer als zuletzt agierte. Im zweiten Durchgang veränderte sich der Rhythmus der Partie und Inter bekam durch einige Umstellungen mehr Ballbesitz, wobei man damit relativ wenig anfangen konnte und kaum Lösungen fand. Gleichzeitig versuchte Sevilla kontrollierter zu agieren und weniger Risiko einzugehen. Ein Lucky Punch kippte letztlich die Partie in Richtung Sevillas und sorgte letztlich für den nicht unverdienten 3:2-Erfolg und den sechsten Titel in der Europa League.

Dalibor Babic