Der italienische Rekordmeister Juventus Turin steckt in einer ernstzunehmenden Krise. System und Vision sind nur mit der Lupe erkennbar. In der Serie A konnte... Kommentar: Die Alte Dame im Treibsand

Der italienische Rekordmeister Juventus Turin steckt in einer ernstzunehmenden Krise. System und Vision sind nur mit der Lupe erkennbar. In der Serie A konnte man bisher lediglich gegen Spezia und Sassuolo gewinnen. Sogar gegen Monza setzte es zuletzt eine Niederlage. In der Champions League verlor man erstmals in der Geschichte gleich die ersten beiden Spiele. Neuzugänge und Hoffnungsträger wie Pogba und Chiesa sind allesamt verletzt. Locatelli, Rabiot und Alex Sandro fehlen ebenso. Zudem konnte man Chiellini und De Ligt nicht im Ansatz adäquat ersetzen. Der 35-jährige Leonardo Bonucci ist längst über seinen Leistungszenit und Neuverpflichtung Bremer bestaunt noch immer die Größe der Fußstapfen, die er eigentlich ausfüllen sollte. Die Summierung all dieser Umstände hat zur Folge, dass Juventus weit unter seinen Erwartungen performt und die Fans dem hoffnungslos überfordert wirkenden Trainer Allegri mittlerweile auch endgültig Ciao Ciao sagen möchten.

Dabei ist es nicht nur Schuld des Coaches, dass Juve nicht nur weithin so genannt wird, sondern auch wirkt wie eine alte gebrechliche Dame. Was sich seit dem Abgang von Sportdirektor Giuseppe Marotta transfertechnisch tut, ist schlichtweg als Level Down zu bezeichnen. Marotta landete in seinen acht Jahren bei Juve eine wirkliche Unzahl an genialen Transfer-Coups und war maßgeblich daran beteiligt, dass man auch auf höchstem internationalen Niveau mehr als nur konkurrenzfähig war. Mit Spielern wie Higuain, Dani Alves, Pirlo, Evra, Vidal, Dybala, Matuidi, Tevez, Ronaldo & Co. verpflichtete er fast durchgehend Ausnahmekönner, die den Club mit absolutem Weltklasse-Niveau bereicherten. Und das zudem meist sogar noch für (relativ) wenig Geld.

Nachfolger Arrivabene scheint es hingegen nicht zu gelingen, Spieler dieses Formats in die Via Druento zu lotsen. Der 34-jährige Di Maria kam zwar ablösefrei, hat aber nicht mehr die Durchschlagskraft vergangener Tage und grundsätzlich nicht das nötige Zeug, eine ganze Mannschaft zu tragen. Spieler wie Kostic oder Bremer wären vor wenigen Jahren noch weniger als Leistungsträger, sondern eher als Ergänzungsspieler geholt worden. Und so hört man von einigen Seiten nun Rufe nach Umbruch und Verjüngung. Argumente, denen man eher zweifelnd gegenübersteht. Denn mit einem Durchschnittsalter von 26,2 Jahren liegt man im Ligavergleich lediglich im hinteren Drittel und ein möglicher Umbruch gleicht aktuell eher einem Zusammenbruch. Was Juventus tatsächlich fehlt, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, ist Qualität.

Juve ist daher gezwungen, in den kommenden Transferperioden aktiv zu werden und mehr als nur Auslaufmodelle oder Jungspunde zu verpflichten. Gerüchte kursieren selbstverständlich bereits. So sollen Kimpembe von PSG und Pau Torres von Villareal den erforderlichen Säulen einer stabilen Innenverteidigung entsprechen. Roberto Firmino von Liverpool, Anthony Martial von Manchester United und Nicolo Zaniolo von der AS Roma gelten als mögliche Kandidaten für die Offensive. Geeignete Trainerfüchse und Teamentwickler gäbe der Markt mit Zidane, Tuchel, Pochettino oder Benitez ebenso her.

Die Bianconeri wären gut beraten, sich relativ bald schon schlagkräftige Argumente auszudenken, wie man entsprechend gehobenes Spieler- und Trainermaterial zu einer Unterschrift in Turin überreden möchte. Sonst droht Juventus noch im Treibsand zu versinken, in dem sie sich gerade erfolglos abkämpfen. Und das kann schneller gehen als man denkt.

Markus Keimel, abseits.at

Markus Keimel