Zwei Farben zwischen denen augenfällig ein deutlicher Unterschied besteht. Dies ist aber nicht nur für jeden Maler, Farbpsychologen, Modeschöpfer oder Innendekorateur ausschlaggebend. Mitte der... Aufgezuckerte Berliner  – Eine Zeitreise in die Fußballfanszene der DDR (1)

Fußball in DeutschlandZwei Farben zwischen denen augenfällig ein deutlicher Unterschied besteht. Dies ist aber nicht nur für jeden Maler, Farbpsychologen, Modeschöpfer oder Innendekorateur ausschlaggebend. Mitte der 60er bis Anfang der 90er Jahre musste sich fast jeder männliche Ost-Berliner Jugendliche zu einer Couleur in der Farbe der Liebe bekennen. Die unterschiedlichen Pigmentstärken auf der politischen Bühne der DDR sind damit jedoch nicht gemeint, ungleiche Rotschattierungen waren im sozialistischen Mehrparteiensystem zwar präsent, jedoch in einer Diktatur nicht sonderlich erwähnenswert. Zinnober, Kupferfarben, Blutrot oder Purpur spielten keine Rolle: Einzig und allein zwischen Weinrot und Rot hatte sich ein Anhänger des hauptstädtischen Rasenballsports damals zu entscheiden: Der Berliner FC Dynamo (BFC Dynamo) absolviert seine Spiele noch heute in weinrot-weißer Montur, sein Stadtrivale, der 1. FC Union Berlin, betritt den Rasen der „Alten Försterei“ bevorzugt in rot-weiß. Neben dem Grundfarbton haben die beiden Vereine auch das gleiche Gründungsjahr (1966)  gemeinsam. Die Aufzählung ihrer „verwandtschaftlichen Kennzeichen“ endet hier allerdings, der Rest ihrer Beziehung ist nicht gerade von Harmonie geprägt. Auf den ersten Blick besteht keine Ungewöhnlichkeit darin, dass zwischen zwei Fußballvereinen aus derselben Stadt eine große Rivalität herrscht. „El Clasico“, Grün-Weiß gegen Violett, das deutsche Nordderby und viele andere sind wichtige Bestandteile einer lebendigen Fußballkultur.

Die Konkurrenz zwischen den beiden Ostklubs wurzelte damals jedoch in einer Besonderheit, die in einer Diktatur aber grundsätzlich nicht unüblich ist: Der BFC Dynamo galt als „Stasi-Klub“, war er doch der erklärte Lieblingsverein des Staatssicherheits-Chefs Erich Mielke, der sich zugleich auch als dessen Ehrenvorsitzender betätigte. Dynamo profitierte von einem staatlich-geförderten Leistungszentrum, das ihn zum nationalen und internationalen Aushängeschild machen sollte. Da aber alle legalen Förderungen nicht immer halfen, wurden die Spiele des Klubs regelmäßig zu dessen Gunsten manipuliert. Für viele Fans übte gerade dieses Moment eine zusätzliche Anziehungskraft aus, in der „Höhle des Löwen“ wollte man provozierend seinem Freizeitvergnügen frönen. Die staatliche Führung konnte nicht verhindern, dass sich auf den Tribünen immer mehr systemkritische Jugendliche versammelten, die im „toten Winkel“ Krawall gegen Staat und Polizei auslebten. Der Kontakt mit der „sozialistischen Lebensschule“ fing bei vielen jungen BFC-Fans direkt im eigenen Elternhaus an. Überdurchschnittlich viele ihrer Väter und Mütter waren im Ministerium für Staatssicherheit beschäftigt oder Mitglieder der Nationalen Volksarmee. Ende der 80er liefen solche Jungs scharenweise in die offenen Arme des BFCs.

In der sportlichen Nachbetrachtung können die „weinroten“ Berliner heute auf 10 DDR-Meistertitel und eine Siegesserie über 36 Spieltage in der höchsten Liga zurückblicken. Die genauen Auswirkungen von erwiesenen Schiedsrichterbeeinflussungen auf diese Leistungen sind gegenwärtig nicht mehr bestimmbar. Internationale Erfolge haben die Hohenschönhausener nicht vorzuweisen. Als Serienmeister maßen sie sich regelmäßig mit der europäischen Elite. Werder Bremen konnte man im Europacupspiel 1988 noch mit 3:0 nach Hause schicken, das Rückspiel an der Weser ging jedoch mit 0:5 verloren. Über fehlende Klasse täuschten aber auch „Überraschungscoups“, wie der Sieg im Elfmeterschießen 1984 gegen den schottischen Meister FC Aberdeen, nicht hinweg.

Die Anfänge des 1. FC Union Berlin liegen lange vor der ostdeutschen Staatsgründung. Als FC Olympia Oberschöneweide im Juni 1906 aus der Taufe gehoben, fand der Fußballclub seine gegenwärtige Heimat bereits 1920 im Stadion „An der Alten Försterei“ in der Berliner Wuhlheide. Im selben Jahr errang die „Ur-Union“ erstmals den Berliner Fußballmeistertitel.  Nach turbulenten Kriegs- und Nachkriegsjahren wurde der Verein am 20. Januar 1966 als 1. FC Union Berlin neu gegründet. Ihre glorreichen Jahre erlebte die Union 1976 bis 1980, als sie als Gegenpol des BFC zum  „Kultklub“ aus dem Südosten avancierte. Zahlreiche Abstiege, Aufstiege und ein knappes Vorbeischrammen am Bankrott später sind die Rot-Weißen gegenwärtig um einiges erfolgreicher als der ehemalige Rivale. Seit 2009 jagt die Union dem Leder in der 2. Deutschen Bundesliga nach. Dynamo dagegen dümpelt nach einem erfolgreichen Insolvenzverfahren 2004 nur mehr in der Oberliga Nordost/Nord herum.

Rebels with a cause!

Zum Aufeinandertreffen der beiden Klubs auf Ligaebene kann es also heute nicht mehr kommen, auch ihre sportliche Bedeutung hat seit dem Ende der DDR rapide abgenommen. Für Schlagzeilen sorgt aber immer noch der berüchtigte Anhang des BFC. Laut Polizeiangaben sind 75 Personen der aktuellen Fanlandschaft der Hooligan-Kategorie C zuzurechnen, circa 350 Personen gehören der Kategorie B an.

Im grauen DDR-Alltag war der Besuch professioneller Fußballspiele für junge Männer eine willkommene Abwechslung. Arbeitsplätze gab es wie Sand an der Ostsee, selbst die  Wiedereingliederung in den Beruf nach einem Haftaufenthalt wurde leicht möglich gemacht. Wer faul war, riskierte sogar eine Strafe wegen „asozialen Verhaltens“. „Shoppen“ sowie die Beschäftigung mit neuester Technologie als Freizeitbeschäftigungen – in einer konsumuninteressierten Staatsordnung  undenkbar. Als klassischer Sport der „einfachen Leute“ fand der Fußball im Arbeiter- und Bauernstaat daher einen guten Nährboden vor.

Zehn- bis zwanzigtausend Zuschauer stürmten an Spieltagen die heimischen Stadien. Schnell wurde jedoch vielen bewusst, dass dem sportlichen Fachsimpeln in einer Diktatur Grenzen gesetzt waren. Schließlich machte die Parteiführung der SED sogar vor der Beeinflussung simpler Matchergebnisse nicht halt. Wer auf rein athletisches Kräftemessen hoffte, wurde dementsprechend schnell enttäuscht. Fußball stand im DDR-Leistungssportsystem nicht an erster Stelle, es konnten auch keine Spieler von außen zugekauft werden. Die ostdeutschen Vereine traten deshalb auf der Stelle und kamen nicht aus der Bedeutungslosigkeit heraus.

Dennoch bestand ein essentieller Teil des Fantums für viele Anhänger darin, ihre Farben auswärts und zuhause vertreten zu können. Es bildeten sich eingeschworene Kurven, die oft mit innovativ-sarkastischen Aktionen punkteten. So entwickelten BFC-Fans Schlachtgesänge, in denen sie mit ihrer Rolle als Mielkes Lieblingsverein kokettierten, warfen 1000 Gummifrösche aufs Spielfeld oder gingen spaßhalber aufeinander los, wenn sich kein Gegner fand.

Die DDR, die sich als Verwirklichung einer einheitlichen Volksgemeinschaft verstand, vermochte es nicht Ungleichheiten zwischen einzelnen Regionen auszumerzen. Lokalpatriotismus spielte in der Fankultur eine wichtige Rolle, die berüchtigten Preußen waren in der Rest-DDR enorm verhasst.

Der Bananen-Faktor

„Juden-Berlin, Juden-Berlin“, hallte es bei Auswärtsspielen durch die ostdeutschen Stadien. Verwöhnte Metropolenbewohner waren in strukturschwachen Gebieten unbeliebt: „Ihr kriegt alles hinten rein!“, stellten Sachsen, Thüringer und Mecklenburger geschlossen fest. In der DDR ging es dabei auch um die sprichwörtliche (goldene) Ananas.  Berliner hatten sowohl besseren Zugriff auf bestimme Markenkleidung, ebenso standen in einem Ballungsgebiet die Chancen besser, Südfrüchte und andere Produkte, die in der DDR knapp und teuer waren, gelegentlich zu konsumieren. Wenn also aus dem Berliner Block in der Halbzeitpause Bananen aufs Feld geflogen kamen, war der Obst-Neid quasi perfekt. In diesen Gefühlsregungen griffen die Fans des FC Carl-Zeiss Jena, Lok Leipzig oder Erzgebirge Aue demonstrativ auf alte antisemitische Sprüche zurück.

Im engen sozialistischen Lebensraum staute sich also Aggressivität nicht nur gegen besser gestellte Mitbürger sondern besonders gegen die Staatsgewalt an sich auf. Frustabbau am Wochenende war für viele dringend notwendig. Berliner und insbesondere die BFC-Fans akzeptierten ihre Rolle als Antagonisten und genossen ihr „Spielglück“. Was gab es Schöneres als in der 93. Minute noch einen fragwürdigen Elfmeter zu bekommen? Preußen im Paradies.

„Erlebnisorientierte“ sahen derartige Ungerechtigkeiten als noch größeren Anreiz nach dem Spiel dem gegnerischen Fanblock zu begegnen. Die Feindschaft zu den „anderen“ DDR-Bürgern war so groß, dass der BFC und die Union Ende der 1980er ihr Kriegsbeil teilweise begruben, Extremgewaltbereite fuhren auch in den Farben des Stadtrivalen nach Leipzig, um den Lok-Fans Saures zu geben.

Gewalt

Schon bald war einem Teil der Szene klar, dass Gewalt gegen den gegnerischen Fanblock und die eingesetzten Polizisten besonders attraktiv war. Schlichte Gewaltdelikte wurden in der DDR nicht so scharf bestraft wie Vergehen gegen Staatseigentum oder politischer Widerstand. Randale am Fußballplatz bewirkten gelegentlich auch Verhaftungen, die Presse beschäftigte sich mit diesem Thema aber fast gar nicht. Diese Tatsache führte dazu, dass sich besonders bei BFC-Spielen viele junge Männer einfanden, für die das Jagen und Prügeln ein wichtiger Bestandteil ihrer Wochenendplanung geworden war.

Bald formierten sich Gruppierungen, die ihre Mannschaft quer durchs Land begleiteten. Zeitgenossen berichten von „legendären Zugfahrten“, wo sich ein ganzer Haufen Männer schon mal eine Glatze schnitt. Die Evolution vom Punk über den Skinhead und schließlich zum (eigentlich nichtssagenden Modebegriff) Fußballrowdy durchlief ein nicht verachtenswerter Teil der Ostberliner Fanszene.

Besonders Augenmerk lag auf den Derbys, die im Stadion der Weltjugend ausgetragen wurden. Heute hat der deutsche Bundesnachrichtendienst seinen Sitz auf dem Areal, das einst 70.000 Ostdeutschen vorwiegend Sportereignisse präsentierte. Auch in der nahen Friedrichsstraße zeugt nichts mehr von Szenen, die sich dort in den 80er Jahren abgespielt haben.

Die das Stadion verlassenden Union-Fans wurden meist von den herausströmenden Dynamo-Anhängern überfallen, es entstanden Massenkeilereien, die für manche Unterlegene in der Spree endeten. Ein 700 bis 800 mannstarker Mob war in den besten Zeiten schlagkräftiger Bestandteil der Dynamo-Fans. Dazu kamen noch „Muttis Lieblinge“:  Mitläufer, die bei siegessicheren Prügeleien sich auch noch anschickten, ein paar Ohrfeigen zu verteilen, ansonsten aber den Faustkampf scheuten.

Klar verteilte räumliche Grenzen gab es in der Hochblüte der Feindschaft: Der Berliner Süden, besonders der Bezirk Köpenick, galt als BFC-befreite Zone, umgekehrt mussten Union-Fans um den zentralen Alexanderplatz einen Umweg machen.

Die DDR-Exekutive beschäftigte sich trotz aller Krawalle und Schlägereien eher weniger mit der Gewalt am Fußballplatz. Die Staatsführung sah ihre Aufgabe eher in der Grenzbewachung, als sich um Hooligans zu kümmern. Naturgemäß wurde auch die Überwachung im Stadion kleingehalten, erste Videoaufzeichnung gab es erst Ende der 1980er Jahre.  Man munkelte auch noch, dass BFC-Fans aufgrund der Stellung ihres Vereines oft vor Anklagen verschont wurden. Stasi-Agenten machten Befehle von Volkspolizisten schlicht und ergreifend rückgängig. Schließlich sollte jegliches negative Licht auf den „Eliteverein“ verhindert werden.

Als „Kontrastprogramm“ zu Dynamo war Union Berlin eine Zeitlang für viele vorwiegend männliche Jugendliche eine beliebte Anlaufstelle, ab 1985 endete diese jedoch abrupt. Prügelnachwuchs, dafür in rauen Mengen, sammelte sich ab diesem Zeitpunkt nur mehr beim BFC an.

Die alte Zwietracht wurde trotz einzelnen Bündnissen, wenn es gegen alte Ostfeinde oder neue Westklubs ging, nie richtig beendet. Selbst 2006 kam es noch zu einem Platzsturm, als sich Dynamo und die Union gegenüberstanden.

Marie Samstag

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