Ein umfangreiches und unhandliches Sachbuch haben Helge Faller und Matthias Marschik über den historischen Wiener Frauenfußball verfasst. Zwischen 1935 und 1938 trugen die in... Buchrezension: „Eine Klasse für sich“ von Helge Faller und Matthias Marschik

Ein umfangreiches und unhandliches Sachbuch haben Helge Faller und Matthias Marschik über den historischen Wiener Frauenfußball verfasst. Zwischen 1935 und 1938 trugen die in der österreichischen Hauptstadt beheimateten Damen – weltweit einzigartig – eine Fußballmeisterschaft aus. Die beiden Historiker haben sich für die Recherchen zu diesem Buch vorrangig durch historische Zeitungsberichte gequält und so eine Mini-Enzyklopädie produziert. Neben der chronologischen Aufarbeitung des Wiener Frauenfußballs runden Fotos, Karikaturen und Kurz-Porträts der Protagonist:innen den Text ab. Die Autoren widmen sich auch interessanten Nebenthemen, wie z.B., warum Zuschauerinnen im Männerfußball rar gesät sind. Dies ist – heut wie damals – auch ökonomisch bedingt: „In Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit konnte sich nur mehr der Mann ein Ticket leisten“.

„Tormännin“ und Co.

Schon Anfangs des 20. Jahrhunderts – das legen Marschik und Faller bestens dar – warf man den kickenden Damen vor, sie verlören jene „weibliche Grazie, die im Tennis noch ihren Platz“ hätte. Die ersten Berichte über Frauenfußball am europäischen Kontinent gestalteten sich aber noch nicht zynisch, wie dies erst in den 20er-Jahren Mode werden sollte. Die Autoren sehen den Grund dafür, in der Tatsache, dass die Trennlinie im Sport zu diesem Zeitpunkt noch zwischen Bürgerlichen und Arbeitern und nicht zwischen Männern und Frauen verlief. Auf die heutige Zeit umgemünzt könnte man vereinfacht sagen: Früher sahen die Reichen den Armen beim Kicken zu; heute ist es umgekehrt.

Nach dem Ersten Weltkrieg erhoben sich jedoch bereits öffentliche Stimmen, die Frauen schon für anatomisch ungenügend für den Frauenfußball hielten. So ereiferte sich Austria-Präsident Emanuel „Michl“ Schwarz: „Eine Frau als Fußballerin wirkt entschieden unästhetisch. Außerdem ist Fußball für Frauen ungesund und viel gefährlicher als für Männer, da sie viel empfindlichere Organe haben.“ Dieser zeitgenössische Sexismus trieft dermaßen durch die ca. 350 Seiten, dass man sich nach der Lektüre des Buches am liebsten schütteln möchte.

Vor 99 Jahren, im Juli 1923, wurde anlässlich des Zehnjahresjubiläums des A. Sp. C. Liesing aus Niederösterreich ein „Damen-Fußballspiel“ als Vorspiel der Partie gegen Rudolfshügel angekündigt. Später gründeten viele lokale Klubs von den Leopolder Sportfreunden bis zu Hacking eigene Damenriegen. Die Fußballleidenschaft vieler Mädchen illustriert ein historischer Zeitungsbericht, der beklagt, dass sich sonntägliche Messbesucher über die im Schönbrunner Garten kickenden „Buben und Mädchen“ gestört fühlen würden.

Richtig los ging es im Wiener Frauenfußball jedoch erst mit Edith Klinger, die am 26. Oktober 1934 bei der Magistratsabteilung 49 den Antrag auf Gründung des. 1. Damen-Fußball-Clubs „Kolossal“ stellte. Nachdem die Behörde grünes Licht gab, folgte schon beim ersten Platztraining der Eklat und es kam im März 1935 zu einer Spaltung des Vereins. Klinger ließ sich jedoch nicht entmutigen und absolvierte (als erste Frau) die ÖFB-Schiedsrichterprüfung (mit Auszeichnung und als erste Frau weltweit nach FIFA-Standards). Der ÖFB zeigte sich darüber jedoch weniger beeindruckt und änderte nach Klingers Abschluss sogleich seine Statuten dahingehend, dass sich nur mehr Männer zum Referee ausbilden lassen konnten. Die zierliche Edith Klinger war die Mutter des Wiener Frauenfußballs. Sie initiierte im März 1936 auch die Gründung der „Österreichischen Damenfußball Union“ und war – trotz der ständigen Hindernisse, die die Herren der Schöpfung ihr und ihren Mitspielerinnen in den Weg legten – die Leitfigur des Wiener Frauenfußballs dieser Jahre. Trotzdem zeigte sie Ermüdungserscheinungen, so trat sie im Februar 1937 aus dem Vorstand ihres Vereins aus und blieb einfaches Mitglied. Am Platz war die gebürtige Wienerin zwar eher Ergänzungsspielerin, als Funktionären und Schiedsrichterin verstand sie sich aber durchzusetzen. Klinger absolvierte auch einen Lehrgang zur Eishockeyschiedsrichterin. Nach 1938 verliert sich ihre Spur.

Lehrjahre sind keine Damenjahre

Weltweit die ersten Fußballfrauen waren die kickenden Wienerinnen allerdings nicht: In Frankreich, Belgien oder den Niederlanden schnürten Frauen bereits früher ihre Kickstiefel. Nach Klingers mutigem Vorstoß gründeten sich zahlreiche Damenfußball-Vereinigungen in der österreichischen Hauptstadt. Für die erste Meisterschaft einigte man sich auf drei Regeln, die sich vom Herrenfußball unterschieden: Spielzeit: 2x 40 Minuten; Hands ist zum Schutz vor Verletzungen erlaubt und der Tormann (sic!) darf im Torraum nicht angegangen werden.

Dreieinhalb Saisonen kickte man im Austrofaschismus nicht nur zum Vergnügen, sondern um den Titel der ins Leben gerufenen Meisterschaft. Gespielt wurde am Olympiaplatz im Prater, am Schafbergplatz im 18. Wiener Gemeindebezirk und am Baumgartner Platz nahe der Hütteldorfer Pfarrwiese. Auch am Merkurplatz, wo heute der Wiener Sportclub sein Trainingsgelände hat, sowie am Lehrersportplatz zwischen Rosensteingasse und Roggendorfgasse in Wien 17 traf sich frau zum Fußballspielen, nachdem der ÖFB dem Frauenfußball die Benutzung seiner Plätze versagte. Die Damen veranstalteten Pfingst- und Osterturniere; duellierten sich in der Schweiz und in der damaligen Tschechoslowakei.

Die Beschreibung der Spiele von Marschik und Faller kann (naturgemäß) etwas langweilig anmuten; spannender sind aber die eingestreuten Porträts der Protagonist:innen. Unter den Wiener Fußballerinnen der 30er-Jahre findet sich z.B. Dolly Wagner, mehrmalige österreichische Meisterin über 100 und 200 Meter und im Weitsprung; oder die Handballerin Ilse Zaunrith. Emmy Redl galt als „weiblicher Sindelar“ und wurde von den Zeitungen gern gemeinsam mit Bruder Hans, der Tennis-Staatsmeister war, porträtiert. Dem „Papiernen“ ähnlich war aber die in Favoriten geborene Josefine Lauterbach, die nicht nur einen verwandten Spielstil hatte, sondern Sindelar schon als Kind auf dem Hertha-Platz auf die Füße sah. Lauterbach trat für Österreich beim olympischen 800 Meter-Lauf in Amsterdam an, spielte Handball und eben auch Fußball. Die ungekrönte Torschützenkönigin dieser Zeit ist Leopoldine Kantner, die mit 111 Toren wohl auch eine der besten Kickerinnen ihrer Zeit war.

Mitte Mai 1938 – wenige Wochen nach dem Anschluss an Nazi-Deutschland – stellten die Zeitungen jeden Bericht über Frauenfußball ein. Bis in den Sommer lösten sich langsam die Vereine auf; der starke Wille der Protagonistinnen auch im Dritten Reich weiter zu kicken, wurde durch ein gesetzliches Verbot gebrochen. Viele – wie Alice Maibaum – mussten wegen ihrer jüdischen Herkunft emigrieren. Der Wiener Frauenfußball war Geschichte.

Warum die Autoren diesen letztendlich so spektakulär finden, um ihm ein Buch zu widmen? Die Damen hätten sich gegen massive Widerstände aus Politik und Gesellschaft trotzdem zu einem regelmäßigen und geordneten Spielbetrieb zusammengefunden. Sie etablierten den „als Kirtagsvergnügen“ geltenden Damenfußball als ernsthaften Zeitvertreib und schafften es ihren Sport weitestgehend autonom zu verwalten. Eben eine „Klasse für sich“.

Eine Klasse für sich. Als Wiener Fußballerinnen einzig in der Welt warenvon Helge Faller und Matthias Marschik ist 2020 im Verlagshaus Hernals erschienen und kostet 39,– EUR.

Marie Samstag