Ruppen, „Rangerfrühstück“, weinrot-weiß, „Schiebermeister“, Paragraf 47/48, auswärts nach Chorzow, Belgrad oder Moskau, Rowdy, Inoffizieller Mitarbeiter, Keilerei, BFC – (Fußball)vokabel mit denen ein österreichischer Fan... Buchrezension: „Stadionpartisanen“ hg. von Anne Hahn und Frank Willmann

Ruppen, „Rangerfrühstück“, weinrot-weiß, „Schiebermeister“, Paragraf 47/48, auswärts nach Chorzow, Belgrad oder Moskau, Rowdy, Inoffizieller Mitarbeiter, Keilerei, BFC – (Fußball)vokabel mit denen ein österreichischer Fan vermutlich nicht viel anfangen kann. Das ändert sich aber, wenn man „Stadionpartisanen“ fertiggelesen hat: Das von Anne Hahn und Frank Willmann herausgegebene Buch lässt Fußballanhänger in der damaligen DDR über ihre Leidenschaft sprechen. Im Oktober 2021 ist es in dritter, nachbearbeiteter Auflage erschienen.

Wer sich – wie ich – schon mit der Materie beschäftigt hat, der erlebt bei der Lektüre von „Stadionpartisanen“ keine Überraschungen. Ich war mit der Rivalität des Berliner FC Dynamo (BFC) und dem 1. FC Union Berlin schon gut vertraut, dennoch hat bisher kaum ein Buch ein so authentisches Bild erzeugen können, wie jenes das eben nicht durch retrospektivische Erläuterungen von Experten, sondern durch Fanerinnerungen geprägt ist. In „Stadionpartisanen“ werden die Anhänger nicht nur nach ihren momentanen Gefühlen für ihre Herzensvereine gefragt, es kommen neben Anhängern von Dynamo Dresden, dem 1. FC Magdeburg oder Hansa Rostock auch Journalisten, Trainer und sogar Angehörige der Staatssicherheit zu Wort.

Keine Ostalgie

Die meisten Protagonisten haben ihre Jugend als schön und erfüllend empfunden. Für den Leser ist „Stadionpartisanen“ eine Reise in eine andere Zeit, in ein Land, das es nicht mehr gibt. Mag man gewisse Ausprägungen des Fantums per se ablehnen, empfindet wohl niemand Nostalgie, wenn die Ost-Deutschen von den Zustanden in sogenannten „Bruderstaaten“ erzählen: So berichtet ein Fan, dass Kinder im Zielland noch nie in ihrem Leben eine Wurst gesehen hatten, Zöllner im Staatsdienst um Zigaretten bettelten oder sich eine rumänische Hotelangestellte im Keller prostituierte, um frisches Obst für ihr kleines Kind zu bekommen. Hässliche, alte Welt!

Dagegen erscheint die Deutsche Demokratische Republik wie ein Ponyhof. Fußball diente auch in dieser Diktatur vorwiegend als Ablenkung, bot allerdings fruchtbaren Boden für das Entstehen von Subkulturen: Als harmloser Freizeitspaß und Familienvergnügen gedacht, trafen sich in den Stadien bald unangepasste Jugendliche, die ihren Frust über den tristen Alltag und die politischen Schikanen diesseits der Mauer herauslassen wollten. Im Oktober 1977 kam es anlässlich eines Rockkonzertes auf dem Berliner Alexanderplatz zu einer ersten Konfrontation mit der Obrigkeit an der Union Berlin-Fans maßgeblich beteiligt waren. In den 80ern versammelten sich angefangen von Punks bis zu Mods und Skins Alternativszenen in den Fankurven. Der Kessel bekam immer mehr Druck. Ein BFC-Fan erzählt: „Zu Ostzeiten hat es bestimmt auch Tote gegeben. Nach einem Spiel gegen Karl-Marx-Stadt (Anmerkung: das heutige Chemnitz) war ich der festen Meinung, einen Toten gesehen zu haben. Das Feld wurde von hinten aufgerollt, da sind zwei Sachsen so platt gewesen. Es sind sechshundert Leute drüber gestiefelt […]. Ich weiß auch nicht, was aus den Leuten wurde, die in die Spree gefallen sind, teils in Panik. Es gab immer Gerüchte von Toten bei anderen Begegnungen.“ Besonders im Lager des DDR-Rekordmeisters BFC, der als Lieblingsverein von Stasi-Chef Erich Mielke zu einigen Meisterschaften „geschoben“ wurde, versammelte sich ein gewaltbereiter Anhang. Die Stasi versuchte diesen zu infiltrieren – mit mäßigem Erfolg.

Alles was recht(s) ist

Die meisten Fankarrieren scheinen überall und zu allen Zeiten gleich zu beginnen: Der Herr Papa oder Freunde nehmen den Auserwählten mit ins Stadion. Ungewöhnlicher ist es da schon, dass Unionerin „Motte“ 24 Jahre lang mit BFC-Anhänger Mischa verheiratet war, waren sich die beiden Fangruppen doch spinnefeind. Mischa entschied sich jedenfalls wegen seiner unangepassten Partnerin gegen eine Karriere im Ministerium für Staatssicherheit, obwohl er in die Fußstapfen seiner Eltern treten sollte. Motte berichtet von der ersten Begegnung mit ihren Schwiegereltern: „Aber schon mit meinen Levi’s Klamotten, natürlich aus dem Westen, war ich seinen Eltern suspekt.“ Ob Union oder BFC – nach der Familiengründung war jedenfalls Schluss mit Stadionbesuchen und „Allesfahren“, denn „die Kinder hatten Priorität“. Heute fühlt sich „Motte“ in der Union-Community nicht mehr wohl, da früher der Zusammenhalt im Mittelpunkt gestanden sei. Man habe sogar die Schals selbst gestrickt, wogegen man jetzt mit Fanartikel überschüttet werde. Im Westen nichts Neues.

Wir waren rechts, links, Punk, Hippie, Skinhead. Wir waren direkt und provozierend, lieb und böse, verliebt und besoffen. […] Wir waren in unserer Fangruppe alle gegen die DDR, Rebellion!“, weiß Uschi, einer der wenigen interviewten Frauen, über ihre Anhängerzeit zu berichten. In der ostdeutschen Szene ging es nie nur um Fußball. Schnell hatte – insbesondere die BFC-Fangruppe – den Ruf weg, einen rechtsextremen Kern zu haben. Klarerweise bemüht man sich in „Stadionpartisanen“ um Beschwichtigung: Die Bomberjacken seien doch nur Provokation gewesen: „Sieg Heil – die Presse war geil drauf.“. Daniel fragt: „Wie konnte man in einem sozialistischen System mehr provozieren als mit rechten Parolen?“ Auch beim 1. FC Union seien Skinheads aufgetaucht: „Heute ist ein Skinhead nicht gleichzeitig Fußballfan, in Ost-Berlin war das ab Mitte der Achtziger so.“ Man kann wohl nicht exakt herausfiltern, wer sich ideologisch im rechten Lager wohlfühlte oder nur der Staatsdoktrin den blanken Allerwertesten zeigen wollte, sicher ist aber, dass genau diese Mischung aus Fußball und Politik eine Nachbetrachtung dieser Zeit so spannend macht.

Anzunehmen, dass sich Neonazi Gottfried Küssel, der kurz nach der Wende in einem von Kameraden im (ehemaligen) Ost-Berlin besetzen Haus lebte, an diesem Phänomen orientierte, als in den 90ern versuchte im Umfeld der Rapid-Fanszene Unterstützer für seine faschistische Bewegung zu rekrutieren.

Da bot uns eine österreichische Dame Fluchthilfe an, kostenlos in ihrem Auto. Wir wollten aber zum Fußball!!“

Zurück zu „Stadionpartisanen“: Das Buch ist aufregender Geschichtsstrip, ein Märchenbuch mit wahren Geschichten. Inwiefern redaktionelle Eingriffe die Erzählung verfälschen, kann dahingestellt bleiben. „Stadionpartisanen“ macht einen koscheren Eindruck. Es ist ein Erinnerungsbuch nicht nur für die Protagonisten, sondern für zahlreiche andere Interessierte und das macht es zu einem der schönsten Fußballbücher 2021.

Besonderes Augenmerk wird in den Erzählungen auf Fanreisen gelegt, obwohl diese Auswärtstrips naturgemäß nur innerhalb eines geringen Radiuses stattfinden konnten. Eine Fahrt in den kapitalistischen Westen war nur für vom Schicksal begünstigte DDR-Bürger möglich: Jens kam etwa über seinen Vater, der im Außenhandel tätig war, zu Karten für das Match BFC gegen St. Etienne. Mit seinem roten Diplomatenpass schmuggelte er anschließend Platten und Fanartikel von Heavy‑Metal‑Bands in den Osten. Der Fußball stand aber im Vordergrund: „BFC im Europapokal und dann noch auswärts und in Frankreich! Davon zehrt man sein Leben lang.“

Viele DDR-Fußballfans nutzten Trips in andere kommunistische Länder, um über die Botschaften in den Westen zu gelangen. Ein Augenzeuge erzählt: „Am nächsten Tag kam in der ARD ein Bericht, wonach eine komplette Gruppe Hansa-Rostock-Fans nach dem Spiel gegen Ostrava über die Botschaft abgehauen ist.“ Die Fans, die eine Rückreise eingeplant hatten, zechten und soffen in den osteuropäischen Gebieten als gebe es kein Morgen: „An der Grenze zwischen Polen und Weißrussland mussten wir Zollpapiere ausfüllen […]. Der Einzige, der zu dem Zeitpunkt noch schreiben konnte, war ein Freund, der nichts trank.“ Für Renate, ihres Zeichens Hansa Rostock-Fan, endete eine Auswärtsfahrt in die ČSSR gar auf den Holzpritschen einer Psychiatrie.

Mögen die Motive solcher Auswärtsfahrten und überhaupt von der Leidenschaft Fußballfan zu sein heute ähnlich sein, sind sie in einer Diktatur doch von größerer Bedeutung: Sie stehen für den Traum von Freiheit, Jugend, Ungezwungenheit. Die Rebellion kanalisiert sich gegen Vater Staat und sorgt für reges Treiben auf und neben dem Platz. Davon weiß „Stadionpartisanen“ hervorragend zu berichten. Die Herausgeberin fand selbst in ihrer Jugend in der Punkszene Anschluss, versuchte Ende der 80er aus der DDR zu fliehen und musste schließlich für ein halbes Jahr ins Gefängnis. „Freunde hinter Stacheldraht“, gottseidank, gibt es die heute nicht mehr.

Stadionpartisanen“ hg. von Anne Hahn und Frank Willmann ist 2021 im mitteldeutschen Verlag erschienen und kostet (in Ö) 20,60 €.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag