Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (47): Lieber Hans Menasse!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an eine österreichischen Altkicker, der nicht so ganz den Status einer Legende hat …

Lieber Hans Menasse!

An manchen Wochenenden fällt es mir schwer jemanden zu finden an den ich diesen Brief adressieren kann. Dann wieder gibt es zahlreiche Persönlichkeiten, die es ob ihrer Taten und Untaten verdient hätten, sie mit Textspenden zu beglücken. Heute hätte ich an Dietmar Hopp schreiben oder Grüße an Eric Dier schicken können, aber ich habe mich entschlossen dir diese Zeilen zu widmen.

Lieber Hans, du bist am Donnerstag 90 Jahre alt geworden, hast bei der Vienna und bei der Austria gespielt, bist für das A-Team aufgelaufen und 1955 Meister geworden. Vor einem dreiviertel Jahr ist eine Biografie erschienen, die von deinem Leben auf dem Platz, als Mitarbeiter eines amerikanischen Filmverleihs und natürlich von deiner Kindheit in England erzählt. Es ist ein aufregendes Leben, das du lebst und gelebt hast. Trotzdem bist du vielen heute vor allem als Vater bekannt. Als Vater von Eva und Robert Menasse, die beide mit dem Schreiben von Kommentaren, Essays und Büchern mehr als erfolgreich sind.

Woran liegt das? Wohl nicht daran, dass du nie Profi warst und immer nebenbei gearbeitet hast. Das haben ja alle Legenden der 50er und 60er-Jahre getan. Es liegt wahrscheinlich eher daran, dass du gewisse Meilensteine des österreichischen Fußballes verpasst hast: Als die Rot-Weiß-Roten 1954 bei der WM in der Schweiz Dritter wurden, sahst du „wie ein Postkasterl“ aus. Diagnose: Gelbsucht. Vier Jahre später warst du wegen einer möglichen Lungenerkrankung wieder nicht im Kader der Nationalmannschaft. Na gut, damals war es kein Unglück nicht dabei gewesen zu sein, schließlich ist Österreich als Gruppenletzter in Schweden ausgeschieden.

Zwar bist du schon als Kind dem Fetzenlaberl nachgerannt, richtig kicken hast du aber erst auf der Insel gelernt. Als Halbjude musstest du fliehen und deine Familie zurücklassen. Ein richtiges Schicksal. Vor allem für einen Achtjährigen. Die (halbe) Welt gegen Hitler-Deutschland – du lebtest bei foster parents in der Nähe von London und hast nicht gewusst, wie es mit deinen Eltern und Geschwistern weitergeht.

Später als du bei der Vienna angeheuert hast, machte die Presse aus dir einen „englischen Wunderstürmer“, nur um ja nicht zu erwähnen, dass du ein Wiener Kind bist, das aus Döbling emigrieren musste. Man hat Gras über die Sache wachsen lassen. Ich frage mich manchmal, welche Alt-Nazis dir zugejubelt haben, mit welchen ehemaligen HJ-Mitgliedern du zusammengespielt hast. Mich würde interessieren, wie du es siehst: Soll es für „Minderbelastete“, für Mitläufer einfach weitergehen oder muss es mit Strafe als Selbstzweck einen totalen Neubeginn geben. Sicher bin ich mir jedenfalls, dass individuelle Geschichten (wie deine) mehr bewirken, als Lichtermeere für Massen. So traurig es ist.

Alles Gute zum Geburtstag, viel Gesundheit wünscht dir

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag