Sensationstransfers gehören zum Fußball wie Schienbeinschoner und Viererkette: Immer wieder unterschreiben gestandene Kicker überraschend bei Vereinen, mit denen sie nicht an die sportlichen Erfolge... Anekdote zum Sonntag (164) – Kein Samba in Liebenau

Sensationstransfers gehören zum Fußball wie Schienbeinschoner und Viererkette: Immer wieder unterschreiben gestandene Kicker überraschend bei Vereinen, mit denen sie nicht an die sportlichen Erfolge von einst anknüpfen können, aber noch vor ihrer ersten Spielminute zum Heilsbringer mutieren. Es kommt aber auch vor, dass Talente unterschätzt werden und sich kleinere Klubs Jahre später in den Hintern beißen, weil sie den Wert der Spieler anno dazumal nicht erkannt haben und die zukünftigen Weltstars einfach ablehnten oder vor die Tür setzten: Man erinnere sich, dass Rapid Wien Anfang der 2000er einen Transfer vom damaligen Bayern‑Jungprofi Philipp Lahm mit den Worten, man sei in der Außenverteidigung gut besetzt und außerdem sei der 1,70 Meter große Münchner sowieso viel zu schmächtig, abgelehnt hatte. Lahm heuerte daraufhin für zwei Spielzeiten in Stuttgart an, kehrte aber anschließend zu den Roten zurück und der Rest ist Geschichte. Ein noch größerer Weltstar hätte jedoch rund 150 Kilometer südwestlich von Wien auflaufen sollen und das kam folgendermaßen:

Odilon Ribeiro Tesourinha ‑ genannt „Ossi“ ‑ war ein brasilianischer Stürmer, der 1963 beim FC Dornbirn unterschrieb und ein Jahr später zu Sturm Graz wechselte, wo er nach fünf Jahren seine aktive Karriere beendete. Er kehrte daraufhin in seine Heimat zurück und begann dort als Spielervermittler zu arbeiten. Ossi hielt jedoch weiterhin Kontakt zum Umfeld seines steirischen Ex-Vereins und tauschte sich regelmäßig mit einigen Edelfans der Schwoazn aus. Einer von diesen bekam von Ossi Videobänder seiner Schützlinge geschickt.

Damals waren gerade die „Goldenen Jahre“ in Graz-Liebenau angebrochen: Der charismatische Hannes Kartnig lenkte zaristisch den Kultverein, Reinmayr, Mählich, Vastić und Co. zauberten unter der Führung von Trainergott Osim. Das Resultat: Sturm war das Maß aller Dinge in der österreichischen Bundesliga und sorgte in der Champions League für Furore. Genau in dieser Zeit trudelte eines von Ossis Videos bei einem Trainingskiebitz und Sturm-Connaisseur ein. Darauf zu sehen war ein noch nicht volljähriger Kicker, der trickste und zauberte, als wäre er nicht von dieser Welt: Tempo-Dribbling, Stanglpass, Maßflanke – es schien nichts zu geben, das dieser Brasilianer nicht beherrschte.

Der Sturm‑Fan und seine Freunde waren begeistert und wurden prompt bei Manager Heinz Schilcher, den man gut kannte, vorstellig. Sie schwärmten von dem Rohdiamanten und baten Schilcher sich mit „Ossi“ in Verbindung zu setzen, um den Jungspund zu verpflichten, doch der Sturm-Mitarbeiter winkte nur ab: „Funktioniert net. De Brasilianer san kane Skifahrer“ – Schilcher spielte auf die mangelnde „Winterfestigkeit“ der südamerikanischen Fußballer an. Die begeisterten Fans wollte sich aber nicht so einfach geschlagen geben und versuchten Präsident Kartnig für ihre Sache zu gewinnen. Der Werbefachmann erklärte sich aber – kurz und bündig – für sportliche Fragen unzuständig und verwies auf Trainer Ivica Osim. Letzterer scheute bei Transfers Verantwortung und war nicht bereit eine Leihe des Wunderkickers zu forcieren. Dabei wollte dessen Verein, Grêmio aus Porto Alegre, nur, dass die Grazer – im Fall einer sechsmonatigen Leihe – die Spesenkosten zahlten. Die Ablösesumme selbst war auf 1,7 Millionen Dollar festgesetzt.

Nachdem die Sturm-Anhänger bei den Offiziellen ihres Herzensvereins abgeblitzt waren, überlegten sie kurz die Leihe des vielversprechenden Angreifers mit einem Bankkredit selbst zu finanzieren. Da Sturm jedoch nie wirklich Interesse an dem Spieler gezeigt hatte, verwarfen sie den riskanten Plan wieder. Besagter Kicker zog also nicht an die Mur, sondern an die Seine – zu Paris Saint-Germain. Er sollte in den kommenden Jahren zu einem der besten Fußballer der Welt aufsteigen und seine Leistungen wurden 2005 mit dem Ballon d’Or honoriert. Der Stürmer kickte fünf Jahre lang beim FC Barcelona, holte die Champions League und wurde 2002 mit Brasilien Weltmeister: Ronaldinho war der wohl bedauerlichste Leider-Nein-Transfer von Sturm und der österreichischen Liga.

Tragischerweise war das Theater um den 1980 Geborenen jedoch kein Einzelfall, denn ein halbes Jahr wiederholte sich die chose: Diesmal war auf der VHS‑Kassette, die den Atlantik überquert hatte, der noch unbekannte Adriano zu sehen. Auch dieses Mal schüttelten die Sturm-Verantwortlichen den Kopf, woraufhin der brasilianische Stürmer Inter Mailand beglückte, wo er vier Mal die italienische Meisterschaft holte und sich in dem Jahr, als Kollege Ronaldinho mit dem Ballon d’Or geadelt wurde, mit 18 Treffern zum Welttorjäger krönte.

Sturm Graz investierte sein Geld (54 Millionen Schilling) lieber in Charles Amoah, der nur für die Brauerei Puntigam (wo er nach seiner Fußballkarriere arbeiten sollte) eine echte Verstärkung war: Der ghanaische Nationalspieler wurde während seiner Zeit in Liebenau meist nur eingewechselt und beendete 2007 seine Karriere in Linz. Ronaldinho war zu diesem Zeitpunkt amtierender CL-Sieger, Adriano litt an Depressionen und Sturm rehabilitierte sich von jenem finanziellen Crash, den es nie gegeben hätte, wenn man sich mit den beiden Jungstars aus Brasilien saniert hätte.

Marie Samstag