Wir wissen was du letzten Sommer getan hast! Wir vermuten es zumindest, denn es ist ziemlich wahrscheinlich, dass  – unter anderem – die Fußball... Russland ein Jahr nach der WM: Für manche Standorte wird es schwierig

Wir wissen was du letzten Sommer getan hast! Wir vermuten es zumindest, denn es ist ziemlich wahrscheinlich, dass  – unter anderem – die Fußball WM in Russland lief. Die war erstmals im flächenmäßig größten Land der Erde zu Gast und wurde in zwölf WM-Stadien ausgetragen, alle neu- oder komplett umgebaut. Elf davon im europäischen Teil Russlands. Präsident Wladimir Putin bezifferte die geplanten Investitionen zur „Vorbereitung der Stadien und der umliegenden Infrastruktur“ auf 7,3 Mrd. Euro. Anfang 2015 wurde mit Zustimmung der FIFA Einsparungsmaßnahmen beschlossen, teilweise die geplanten Kapazitäten reduziert. Vor allem in der russischen Provinz droht einigen Stadien eine ungewisse Zukunft. Wir blicken auf den Status Quo zwölf Monate nach dem Turnier.

Moskau (Luzhniki Stadium, renoviert, 7 Spiele, 78.011 Plätze)

Im größten der WM-Stadien, fanden das Eröffnungsspiel und das Finale statt. Schon 1997 wurden bei der Spielstätte alle Plätze überdacht, was Moskau die Finalis im UEFA-Cup 1999 und der Champions-League 2008 bescherte. Im Olympiastadion „Luschniki“ begannen 2014 ausgiebige Renovierungsarbeiten. Dabei wurde die Kapazität – um modernsten Ansprüchen zu genügen – etwas reduziert und die Laufbahn entfernt. Ein Brand überschattete die von Pannen und Unfällen verschonten Arbeiten. Neben der Funktion als Heimspielstätte der „Sbornaja“ und als Austragungsort für andere bedeutende Sportveranstaltungen, ist das „Luzhniki“ auch Anlaufpunkt für die musikalischen Top-Acts.

aktuelle Nutzung: Nationalteam

Moskau (Otkritie Arena, Neubau, 4 Spiele, 44.190 Plätze)

Für 200 Millionen entstand ein wahres Schmuckkästchen. Die Fassade kann beliebig im Look des Vereins oder der Nationalmannschaft beleuchtet werden. Nach dem Turnier soll ein modernes Wohnviertel rund um das Stadion entstehen, die U-Bahn-Station „Spartak“ ist schon im Betrieb. Seit der Eröffnung ist der Rekordmeister zum Publikumsmagneten mutiert, für Fans an Spieltagen aber auch Touristen dazwischen. Gleich nach der WM füllten Guns N‘ Roses und erst vor wenigen Tagen Ed Sheeran die Arena.

aktuelle Nutzung: Spartak Moskau, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 30.941

Sankt Petersburg (Krestovsky Stadium, Neubau, 7 Spiele, 64.468 Plätze)

Knapp eine Milliarde Euro kostete dieser Neubau und stellt damit einen Rekord bei Bauten für Fußballweltmeisterschaften dar. Explodierende Baukosten, Korruption bei der Vergabe der einzelnen Bauaufträge, große Probleme beim Bau, gerüchtweise nordkoreanische Sklavenarbeiter. Die List der Skandale und Verfehlungen der neuerdings als „Gazprom-Arena“ firmierenden Arena ist lang. Schlussendlich wurde es nicht nur zu einem der teuersten, sondern auch einem der modernsten Sportstadien weltweit. Die Konstruktion soll an ein Raumschiff erinnern. Mit dem verschließbaren Dach kann die ganze Arena auf fußballtechnisch optimale zwanzig Grad temperiert werden, unabhängig vom russischen Wetter draußen.

Schon bald wird wieder international aufgegeigt: 2020 finden hier drei Vorrunden- und ein Achtelfinalspiel der länderübergreifenden Europameisterschaft statt.

aktuelle Nutzung: Zenit St. Petersburg, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 48.122

Sotschi (Fisht Olympic Stadium, Neubau, 6 Spiele, 44.287 Plätze)

Das Zentrum der Feierlichkeiten der Olympischen Spiele 2014 soll durch die eigenwillige Dachkonstruktion an einen schneebedeckten Berg erinnern. Dazu war Sotschi der einzige Ausrichter, der im subtropischen Teil Russlands liegt. Keine Ironie: Um den Mannschaften perfekten Bedingungen zu bieten, wurde niederländisches Gras eingeflogen – feinster Rasen versteht sich. Erstligaklub hat als Wintersportort bekanntgewordenen Badeort am Schwarzen Meer keinen. So könnte hier gelten, die hohe Zeit ist längst vorüber…

aktuelle Nutzung: FK Sochi, 2. Liga, Zuschauerschnitt: 3.776

Samara (Cosmos Arena, Neubau, 6 Spiele, 41.970 Plätze)

Die Planungen zogen sich hin und her, in der Letztversion wurde die Kosmos-Arena dann im Stadtgebiet veranschlagt. Mit der Glaskuppel auf 65 Metern Höhe, will an die Weltraumfahrt erinnert werden. Für die futuristisch wirkende Arena wurden über 13.000 Tonnen Metall verbaut. Immerhin ist der Fußballklub der Millionenstadt wieder in die Premjer Liga zurückgekehrt, so besuchen knapp 20.000 Zuschauer die Heimspiele. Ansonsten – konzert- oder veranstaltungstechnisch – passiert derzeit wenig.

aktuelle Nutzung: FC Krylya Sovetov Samara, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 19.182

Kasan (Kazan Arena, Neubau, 6 Spiele, 42.873 Plätze)

Bescheidenheit gefällig? Dann bitte dieses Stadion überspringen… Die Kasan-Arena – gestaltet in Seerosen-Optik – wurde bis 2013 fertiggestellt um besondere bautechnische Rekorde zu brechen. Fünf Millionen Ziegelsteinen sind doppelte so viele wie für die Pyramide von Gizeh. Das Dach besteht aus über 12.000 Tonnen, mehr als das berühmte Wembley Stadion in London. Die größte LED-Fassade an einem Fußballstadion weltweit leuchtet hier. Unglaubliche 150 m ist sie breit und am höchsten Punkt 35 m hoch. Etwa drei Millionen LEDs beleuchten die 3.622 Quadratmeter. In der Arena finden auch häufig Schwimm-Events oder andere Sportveranstaltungen statt. Auch für Touristen ist die Stadiontour ein „Must-See“ in der sechstgrößten Stadt Russlands.

aktuelle Nutzung: Rubin Kazan, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 9.760

Rostow am Don (Rostov Arena, Neubau, 5 Spiele, 43.472 Plätze)

Die Rostov Arena ist der Nachfolger des 1930 eröffnete Olimp-2. Die Spielstätte liegt südlich des Flusses Don, während die Stadt nördlich des Stromes liegt. Allgemein ist der Don das bestimmende Element bei der Rostow Arena: Die Dachform soll an seine Windungen und Kehren erinnern. Etwa eine Hälfte der Einnahmen soll zukünftig Fußball ausmachen. Die andere soll durch Ausstellungen, Gastronomie, Hotellerie oder Fitness-Zentren gedeckt werden.

aktuelle Nutzung: FK Rostov, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 31.034

Wolgograd (Volgograd Arena, Neubau, 4 Spiele, 43.713 Plätze)

Spät aber doch noch rechtzeitig wurde der 330 Millionen Euro Neubau, direkt am Ufer der Wolga fertig. Dieser war von zahlreichen Pannen begleitet. So stürzte 2016 eine Metallträgerkonstruktion zusammen, drei  Arbeiter wurden verletzt. Neben einem Sportzentrum, Festivals oder Messen sollen vor allem kulturelle Veranstaltungen helfen, die laufenden Betriebskosten zu decken.

aktuelle Nutzung: Rotor Volgograd, 2. Liga, Zuschauerschnitt: 18.725

Nischni Nowgorod (Nizhny Novgorod, Neubau, 6 Spiele, 43.319 Plätze)

Für 220 Millionen Euro wurde in Nowgorod das neue Stadion am über zwanzig Hektar großen Areal errichtet.

Das Stadion in Nischni Nowgorod wurde eigens für die WM gebaut. Die Fassade ist transparent und lässt somit Tageslicht durch. Jetzt nutzt der zweitklassige FC Olympier Nischni Nowgorod die für die eigenen Ansprüche etwas überdimensionierte Spielstätte. Kurioserweise waren die bis vor drei Jahren das Farmteam von FK Wolga Nischni Nowgorod, der Verein wurde aber aufgrund von Schulden aufgelöst. Die Arena enthält auch einen Park mit Tennisplätzen, einem Futsal-Feld und soll in Zukunft eine Messe oder Festivals beherbergen.

aktuelle Nutzung: FC Nizhny Novgorod, 2. Liga, Zuschauerschnitt: 15.218

Jekaterinburg (Central Stadium, renoviert, 3 Spiele, 33.061 Plätze)

Knapp vierzig Kilometer östlich der imaginären Grenze zwischen Europa und Asien liegt das zweitkleinste WM-Stadion der Endrunde 2018. Auch wenn nur drei Spiele ausgetragen wurden, dürfte der Anblick beim Fußballfan hängengeblieben sein. Wegen der zweckmäßigen, bei Turnieren in diesen Zeiten aber doch unübliche Variante, eine Tribüne außerhalb des Stadions dazuzustellen. Jetzt rollt der Ball beim FC Ural und soll wieder auf 27.000 zurückgebaut werden. Dazu sollen Tennis und Volleyballveranstaltungen in der Arena stattfinden.

aktuelle Nutzung: FC Ural Ekaterinburg, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 15.753

Saransk (Mordovia Arena, Neubau, 4 Spiele, 41.685 Plätze)

In Flughafen- und Bahnhofsnähe nur 2,4 km wurde das Stadion in Saransk extra gebaut. Die Stadionarchitektur soll an die Tradition des mordowischen Kunsthandwerks erinnern. Auch diese Arena soll wieder rückgebaut werden. Für die 300.000 Einwohnerstadt und den FC Mordovia ist sie mit Zweitligafußball überdimensioniert. Ansonsten herrscht gähnende Leere, es riecht nach einem „Weißen-Elefanten-Schicksal“.

aktuelle Nutzung: FC Mordovia Saransk, 2. Liga, Zuschauerschnitt: 10.255

Kaliningrad (Kaliningrad Stadium, Neubau, 4 Spiele, 33.973 Plätze)

Für das kleinste WM-Stadion in Russland musste vor Baubeginn noch ein Bodenaustausch vollzogen werden, damit das Vogelnest auf einem stabilen Grund steht. Nach den vier WM-Spielen ist jetzt der graue Alltag eingekehrt. Zu den Zweitligaspielen kommen kaum Fans, so wird die Kapazität auf 25.000 Sitzplätze reduziert. Im September wird das Nationalteam gegen Kasachstan zu Gast sein, sonst stehen hier eher lokale Laufveranstaltungen und Konzerte von Acts regionaler Berühmtheit an.

aktuelle Nutzung: FC Baltika Kalingrad, 2. Liga, Zuschauerschnitt: 5.912

Fazit – Unterschiedliche Regionen mit unterschiedlichen Vorzeichen

Die hohen Investitionskosten für die Weltmeisterschaft wurden zentral von Russlands öffentlicher Hand finanziert. Noch fünf Jahren werden die Betriebskosten auch von Moskau getragen, spätestens dann müssen sie sich aber selber rechnen. Gerade in kleineren Städten weit weg von Moskau in den Weiten der russischen Provinz, oft ohne Erstligafußball und auch für Konzerte bedeutender Acts nicht unbedingt erster Wunschdestination, wird es schwierig. Die Zusatzverdienste abseits der Fußballspiele werden das Entscheidende sein. Möglicherweise werden es millionenschwere Investitionsruinen oder weiße Elefanten. Andererseits spielt Moskau mit den beiden WM-Arenen und Sankt Petersburg (wieder) in der sportpolitischen High-Society mit.

Profitiert hat in erster Linie der russische Fußball. Die Premjer-Liga hat laut Verband etwa ein Fünftel mehr Zuschauer angezogen. Im Amateurbereich gibt es deutlich mehr aktive Spieler, vor allem Neuanmeldungen von Kindern.

Innenpolitisch versuchte die Regierung im Schatten der WM eine unpopuläre, weitreichende Pensionsreform durchzuboxen, was aber dann doch nicht aufging. Wie so oft bei Turnieren in dieser Größenordnung profitiert die Mehrheit der Landsleute kaum bis gar nicht von der Veranstaltung. Abseits von touristischen Mehreinnahmen und der ein oder anderen sanierten Straße, fallen eher die Bau- und Erhaltungskosten zu Lasten des Steuerzahlers.

Einen Rundflug durch Russlands WM-Stadien haben wir hier für euch:

Werner Sonnleitner

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