Flucht, Fußball, Filme – so charakterisieren die drei Autoren der vorliegenden Biografie das Leben von Hans Menasse, Ex-Nationalspieler, der heute vielen Fußballfans nur mehr... Buchrezension: „Hans Menasse – The Austrian Boy“

Flucht, Fußball, Filme – so charakterisieren die drei Autoren der vorliegenden Biografie das Leben von Hans Menasse, Ex-Nationalspieler, der heute vielen Fußballfans nur mehr als Vater der erfolgreichen Schriftsteller Robert und Eva bekannt ist. Tatsächlich war unter anderem eine Gelbsucht daran schuld, dass sich der Sohn jüdischer Eltern keinen Stammplatz als rot-weiß-rote Alt-Fußballlegende sichern konnte. „Gelb wie ein Postkastl“ lag Hans kurz nach der Bekanntgabe des österreichischen Kaders 1954 im Spital. Seine Teamkollegen schrieben in der „Hitzeschlacht von Lausanne“ ohne ihn österreichische Fußballgeschichte und holten mit dem dritten Platz die bisher beste Platzierung bei einer Weltmeisterschaftsendrunde. Trotzdem gibt Menasses Leben auf und außerhalb des Platzes genügend Stoff für eine interessante Erzählung her. In seinem Werdegang spiegelt sich ein Stück Zeitgeschichte wider: Hitler machte aus ihm einen Emigranten, England einen Fußballer, das Nachkriegs-Wien einen Weltbürger. In der kurzen, nüchternen Lebensdarstellung wird dieser Werdegang prägnant mit genügend Hochachtung vor dem rüstigen Herrn geschildert. Die Autoren – darunter Menasses Neffe – ehren ihn schon im Vorwort: „Danke, Hans.“

Kind der Monarchie

Als echter Wiener kommt Menasse am 5. März 1930 zur Welt. Als echter Wiener nicht nur weil er im 19. Bezirk aufwächst, sondern auch weil seine Wurzeln in der Donaumonarchie liegen und seine Familie stark von der Kultur der Hauptstadt geprägt ist. Schon Vater Richard ist glühender Anhänger der Vienna, die im nahe gelegenen Hohe-Warte-Stadion ihre Heimspiele austrägt. Doch, bevor das jüngste von drei Kindern ernsthaft Vereinsfußball betreiben kann, ist der Anschluss an Nazi-Deutschland gekommen und die Menasses schmieden fieberhaft Auswanderungspläne. Klein-Hans erlebt die Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung zwar mit, kann diese Ereignisse aber nicht wirklich einordnen. Durch das Engagement der Israelitischen Kultusgemeinde, der Freikirche der Quäker und einer Londoner Hilfsorganisation schaffen es Hans und sein älterer Bruder Kurt mit einem Kindertransport nach England. Die Abenteuerfahrt wird durch den Ernst des Lebens abrupt beendet: Der Volksschüler muss sich bald allein durchschlagen. Erst bei den Cooks, einer englischen Arbeiterfamilie, gelingt es ihm sich etwas einzuleben: Fußball spielt er zunächst im Team des Pioneer Boys Club, ehe er in den Nachwuchs von Luton Town wechselt. Hans verdrängt den Krieg und das Exil schließlich so gut, dass er einen Brief seiner Eltern, der im Winter 1945 eintrifft, erst übersetzen lassen muss, weil er seine Muttersprache völlig verlernt hat. „Ich hatte einen guten Job in England, ich habe Fußball gespielt und angefangen mit Mädchen auszugehen.“, erzählt er. Tatsächlich sind die Menasse bei seiner Rückkehr nach Wien eine zerstörte Familie: Die älteste Tochter Trude war 21-jährig völlig überraschend im Exil in Kanada verstorben, Kurt kommt verstört von seinem Fronteinsatz in Burma gegen die mit Deutschland verbündeten Japaner wieder. Vater Richard, der Zwangsarbeit verrichten musste, entging dem Tod nur, da ihn seine „Mischehe“ zu Mutter Dolly – sie war zum Judentum konvertiert – geschützt hatte. Für Hans ist alles „very strange“. Die Eltern wollen über die Vergangenheit nicht reden. „Hör auf, gib‘ a Ruh‘!“, sagt Dolly. Sie knüpfen wieder an die Vorkriegszeit an: Kaffeehaus, Kartenspiel und – eben auch – Kicken. Obwohl mit Karl Rainer, ein Vienna-Spieler, die Wohnung der Menasses in der Döblinger Hauptstraße „arisiert“ hat, bleibt Richard Menasse mit der Vienna verbunden: Er meldet Hans, ohne ihn zu fragen, bei den Blau-Gelben an. So beginnt die Fußballkarriere des Hans Menasse.

„Entschuldigung, jetzt bin ich in die Mitte gezogen und habe ein Tor geschossen!“

Im Nachwuchs spielt der junge Ex-Exilant zunächst im Mittelfeld, bevor er – ungewöhnlich – Stürmer wird. Tatsächlich ist Menasse ein guter Techniker, der gerne im Eins-gegen-Eins nach innen zog, oder einen Stanglpass spielte. Das bleibt auch Arsenal London nicht verborgen, die den „young Austrian Boy“ zurück auf die Insel lotsen wollen, Hans hatte sichtlich Eindruck hinterlassen.

An seinem Debüt für die „Erste“ der Döblinger ist schließlich unter anderem Rohopium schuld: Denn dieses Rauschmittel hatten sich auf einer Orient-Reise drei Vienna-Spieler gekauft, die daraufhin postwendend aus der Mannschaft geschmissen werden. Trainer Hofmann holt – nachdem sich der Ersatz schwer verletzt hatte – Menasse in die Mannschaft, der am 23. September 1950 sein Debüt am WAC-Platz feiert. Bald macht er sich als Rechtsaußen einen Namen, die politische Vergangenheit interessiert ihn nicht: „Heutzutage werde ich immer wieder gefragt, ob ich nicht ein unangenehmes Gefühl hatte, dass ich damals von ehemaligen Nazis umgeben war. Nein, habe ich nicht gehabt. Ich habe in England gelebt und wusste nicht, wer ein Nazi war.“

Aufgrund seiner Englischkenntnisse fängt er neben dem Fußball bei einem US-Filmverleih zu arbeiten an, organisiert so Schönheitswettbewerbe, um Elvis-Filme zu promoten oder lässt Disney-Motive auf die Verteiltaschen der Sonntagszeitung drucken, um für einen Trickfilm zu werben.

Hollywood und Hohe Warte

Im April 1953 macht Hans Menasse das Spiel seines Lebens: Vier Tore gegen die Austria. Wenig später trifft er privat auf Nationalstürmer Walter Schleger, der ihm mitteilt, er würde am Wochenende für das A-Team auflaufen: Der Vienna-Stürmer debütiert gegen Puskás „Goldene Elf“ in Budapest. Seine Nationalmannschaftskarriere ist emotional aber kurz – es bleibt bei zwei Teameinsätzen.

1955 markiert Hans Menasses erfolgreichstes Jahr: Er wird Pressechef der Österreich-Dependance von „Paramount“ und mit der Vienna Meister. Auch privat läuft es gut: Seit der Geburt von Sohn Robert sind Hans und seine Frau Hilde zu dritt. Der bisher letzte Meistertitel der Blau-Gelben bleibt Hans einziger Titel und ist zugleich Startschuss seines langen Abschiedes von der Hohen Warte. Der Kicker pendelt nach Streitigkeiten mit dem Vorstand und Verletzungen fast vier Jahre lang zwischen Reserve und Rekonvaleszenz, ehe er bei seinem heimlichen Lieblingsklub, der Wiener Austria, anheuert. Doch auch in Wien-Favoriten ist nach einer Saison Schluss: Sein letztes Spiel ist ein verlorenes Derby.

Als 29-jähriger beginnt er seine Karriere bei unterklassigen Vereinen ausklingen zu lassen. 1969 wird Menasse Sektionsleiter beim WAC, später sitzt er im Austria-Vorstand, eine Tatsache, die vor allem seiner Freundschaft zu Joschi Walter geschuldet ist, mit dem er gemeinsam bei der Vienna gekickt hatte. Nebenbei betreut der Ex-Fußballer Filmstars wie Sophia Loren, Danny Kaye oder Charlton Heston, wenn diese in Österreich arbeiten. Während ihn Regisseur Brian de Palma ignoriert, verrät ihm Steven Spielberg, worum es in seinem nächsten Film geht: „It‘s about a big shark.“

Hans Menasse, der Teamplayer und Netzwerker, arbeitet fast 47 Jahre erfolgreich im Filmbusiness, ehe er in Pension geht. Mit seiner zweiten Ehefrau Christine, mit der er noch zwei Töchter bekommen hat, lebt er bis heute in der Nähe des Hundertwasserhauses im dritten Bezirk. Kokett meinte er vor einigen Jahren „Drei Kinder, zwei Schriftsteller – womit hab‘ ich das verdient?“. Dass ein Buch seinem Leben gewidmet wurde – wenn auch nicht von seinen Kindern – wird ihn wohl trotzdem freuen.

„Hans Menasse – The Austrian Boy“ von Alexander Juraske, Agnes Meisinger und Peter Menasse ist 2019 bei Böhlau erschienen und kostet 18,99 €.

Marie Samstag