Sie können sich beide noch daran erinnern: Ein schöner Pass von Arouca aus dem Mittelfeld – der Jungspund schießt gleich – Tor! Nach 48... Buchrezension: Ich bin Neymar

Sie können sich beide noch daran erinnern: Ein schöner Pass von Arouca aus dem Mittelfeld – der Jungspund schießt gleich – Tor! Nach 48 Jahren hat der FC Santos 2011 endlich wieder die Copa Libertadores gewonnen. Und das durch einen Treffer des neunzehnjährigen Neymar da Silva Santos Júnior. Neymar Senior, der auf der Tribüne sitzt, fehlen die Worte.

„Ich bin wahnsinnig stolz auf Juninho und Rafaela und sehr dankbar dafür, der Vater von zwei so besonderen und verantwortungsbewussten Menschen zu sein.“, weiß er. Damit lüftet der Fußballerpapa kein Geheimnis, denn alle Eltern lieben ihre Kinder und sind stolz auf sie. In dieser Hinsicht sind Senior und Junior also kein besonderes Vater-Sohn-Gespann, aber die Tatsache, dass Neymar, der in der Familie liebevoll „Juninho“ genannt wird, einer der bekanntesten Kicker der Welt ist, macht seine Biografie speziell und so haben die brasilianischen Journalisten Mauro Beting und Ivan Moré in „Ich bin Neymar“ (2013) die Gespräche der beiden Männer für die Nachwelt aufgezeichnet.

Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr

Seinem eigenen Sohn, Davi Lucca, verspricht der 96-fache Nationalspieler in dem Buch, er werde für ihn der sein, der der eigene Vater für ihn ist.

Mittlerweile ist Davi Lucca siebeneinhalb Jahre alt, Neymar ist von Barcelona zu Paris Saint Germain gewechselt, hat in Spanien zweimal, in Frankreich einmal die Meisterschaft und 2015 mit Barcelona die Champions League geholt. (Groß)vater Neymar Senior ist die Konstante in seinem Leben und im Leben seines Sohnes geblieben.

„Ich bin Neymar“ ist also nicht auf dem aktuellsten Stand; fünf, sechs Jahre sind im Fußball eine Ewigkeit. Doch eine Lektüre des rund 200 Seiten starke Buches lohnt sich trotzdem. Neben Phrasendrescherei und gegenseitigen Lobpreisungen finden sich genügend ehrlich wirkende Zeilen. Der geschickte Aufbau des Buches macht es zu einem lockeren Lesevergnügen. Jene Vorurteile, die man mit Neymar dank seiner leidlichen Schauspieleskapaden und seines gockelhaften Auftretens verbindet, werden in dem Buch (logischerweise) nicht bedient. 2013 war der Hype um den Flügelstürmer noch wesentlich leiser als heute. „Ich bin Neymar“ beschäftigt sich nur ansatzweise mit dem manchmal allürenhaften Auftreten des Flügelstürmers. Der Spieler selbst charakterisiert sich als „einfachen Menschen“: Neymar liebt Bohnen, Pommes, geröstetes Maniokmehl und Eis. Steht auf auffällige Frisuren, Tattoos und lebt „25 Stunden am Tag für den Fußball.“ Ein ganz normaler brasilianischer Bub, der mit 19 Jahren selbst Vater wurde.

Neymar Senior rekapituliert im Buch zunächst seine eigene Karriere: Die ersten Fußballschuhe zerreißt er – wie später sein Sohn – im Nachwuchsteam vom FC Santos. Seine Reise geht danach als Halbprofi im Saisontakt von Klub zu Klub. Eine Tuberkuloseerkrankung im Alter von 19 Jahren kündigt schon an, dass seine körperlichen Voraussetzungen eine erfolgreiche Laufbahn verhindern sollten. Neymar Senior kickt am rechten Flügel, ist mit gutem Spielverständnis gesegnet, aber zu wenig kreativ und torgefährlich.

Mit 32 Jahren beendet er schließlich seine Laufbahn, zu diesem Zeitpunkt sind „Juninho“ und seine vier Jahre jüngere Schwester schon auf der Welt.

Projekt Neymar

Eigentlich hätte Neymar Jr. ja Mateus heißen sollen, doch der Vater entscheidet sich im letzten Moment noch für seinen eigenen Vornamen. Fatalistisch sieht er einen Autounfall, den das Baby beinahe unverletzt überlebt, während er selbst rund acht Monate rekonvaleszent ist. Im Haus des Großvaters bewohnt die vierköpfige Familie damals ein kleines Zimmer, zu viert schlafen sie auf einer Matratze. Der Knirps übt dort mit dem Ball und Neymar Senior sieht mehr: „Mithilfe eines Balles wollte er mit seinem Gegenüber kommunizieren. Auf diese Weise verständigte er sich.“ Neymar Junior ist beidfüßig und schon als Stöpsel ein besserer Torjäger, als es der Vater je war. Dieser jobbt nach dem Ende seiner Sportkarriere für den Mindestlohn bei der Straßenbehörde, ehe er 2009 seinen Beruf ganz aufgibt um sich nur mehr um die Karriereplanung des Sohnes zu kümmern. „Beweg dich richtig, mein Sohn. Lauf in alle Richtung, lass den Gegner müde werden, bleib nicht stehen.“, trichtert er ihm schon als Jungspund ein.

Bald tragen Juniors Fußballkünste zum Familieneinkommen bei: In der U13 von Santos bekommt er Grundnahrungsmittel und Benzingutscheine. Die Familie ist mit dem Klub stark verbunden und dieser möchte das Talent zur Vereinslegende aufbauen: Projekt Neymar. Die Rechnung geht auf: Der damals Siebzehnjährige debütiert in der Kampfmannschaft und lernt vom großen Robinho. „Das waren die besten Jahre meines Lebens. Wir waren glücklich, hatten Spaß und konnten unseren Fans und allen anderen, die Fußball lieben, viel Freude bereiten.“, erinnert er sich.

Chronologisch erzählen die beiden Neymars die Lebensgeschichte des heute 27-jährigen Offensivspielers von dem Moment an, als bei Mutter Nadine die Fruchtblase platzte bis zur Zukunft, die beide 2013 noch in Barcelona und bei der Heim-WM planen. Vater und Sohn – immer im Zwiegespräch. Sie betonen ihr inniges, aber ehrliches Verhältnis zueinander. Selbst nach dem Triumph bei der Copa kritisiert der Vater seinen Sprössling im Freudentaumel, weil er zu viele Chancen ausgelassen hat. „So sind wir eben.“ Die wertvollen Tipps des Herrn Papa begannen schon in der Kindheit, daran denkt Neymar heute noch: „Wenn dir im Strafraum ein Verteidiger gegenübersteht, spielst du ihm den Ball einfach durch die Beine. Mein Vater sagte: „Du musst dich vor dem Abwehrspieler bewegen. Er wird die Beine automatisch öffnen und du schießt den Ball einfach hindurch.“  Der Leser durchlebt die Vergangenheit durch die Augen der beiden Männer, ob „Juninho“ im Pacaembu-Stadion „O Fenômeno“ Ronaldo gegenübersteht, als 13-jähriger Real Madrid absagt („Er war in Spanien nicht glücklich.“, O-Ton Vater Neymar) oder mit den Samba-Kickern Olympiazweiter wird.

Langweilig wird das erstaunlicherweise nicht und so anormal die Geschichte der Beiden ist, so normal ist das Fazit des Vaters: „Mein Sohn ist ein toller Typ. Er ist ein anständiger Junge. Das ist im Leben am wichtigsten: ein guter Mensch zu sein.“ So sei es.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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